5.5.4 Anwendung und/oder Erweiterung des bestehenden Rechts

5.5.4.1 Vereins- und Steuerrecht

Vereinsrecht

In Art. 9 Abs. 2 GG heißt es u. a., daß Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, verboten sind. Die dazugehörigen Verfahrensregeln (z. B. Ermittlungen, Anordnung und Vollzug eines Verbots, Folgen für Vermögenswerte etc.) finden sich im Vereinsgesetz von 1964. Das Vereinsgesetz nimmt aber ausdrücklich in § 2 Abs. 2 Ziff. 3 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus. Damit ist es möglich, daß als Vereine eingetragene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit verfassungswidrigen Inhalten existieren, ohne daß das im Vereinsgesetz für ein Verbotsverfahren vorgesehene Instrumentarium anwendbar ist. Die Lösung dieses Dilemmas ist in der Lehre umstritten; klare Präzedenzfälle gibt es insoweit nicht. So wurde bei der Anhörung von Experten in der Kommission die Ansicht vertreten, daß ein Verbot religiöser Gemeinschaften überhaupt nicht möglich sei. Das Bundesverwaltungsgericht geht dagegen wie selbstverständlich davon aus, daß von allen Religionsgemeinschaften kraft Verfassungsrecht ein Mindestmaß an Rechtstreue verlangt werde, was sich aus der Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 GG ergebe. Gestützt wird dies auf eine Entscheidung (sog. Ludendorff-Entscheidung, betraf u. a. das Verbot des "Bundes für Gotterkenntnis e. V.", BVerwG - Urteil vom 23. März 1971, BVerwG I C 54.66, in: BVerwGE, Bd. 37, S. 344 ff.), bei der aber die Rechtslage von 1961, also vor dem Inkrafttreten des Vereinsgesetzes in seiner heutigen Fassung ausschlaggebend war. In Anbetracht dieser unklaren Rechtslage hält die Kommission eine Überprüfung für geboten, ob Gesetzesänderungen möglich sind, die eine Anwendung des gesetzlichen Instrumentariums des Vereinsrechts auch auf als Vereine eingetragene Religionsgemeinschaften zulassen (s. hierzu die Handlungsempfehlung der Kommission im Kapitel 6.2.3.3).


Steuerrecht

Mit dem öffentlichen Auftreten von Religionsgemeinschaften ist häufig die Frage nach der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit verbunden. Der Status der Gemeinnützigkeit wird von den Steuerbehörden nach den Regeln von § 52 Abgabenordnung (AO) verliehen, wenn die Tätigkeit einer Gemeinschaft darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.

Die Enquete-Kommission ist der Ansicht, daß bei der Verleihung der Gemeinnützigkeit die Möglichkeiten der Kontrolle voll ausgeschöpft werden sollten, bei der auch die Verfassungstreue, die innerverbandliche Demokratie und die innerverbandliche Rechtsstruktur einer begünstigten Vereinigung zum Kriterium gemacht werden. Ein vom Staat durch Gemeinnützigkeit geförderter Verein muß in seinen Zielen und in seiner Verfassung rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen entsprechen. Diese Bewertung deckt sich mit der im Steuerrecht vertretenen Auffassung, daß ein Verein dann nicht gemeinnützig sein kann, wenn sich seine Tätigkeit nicht innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt.

5.5.4.2 Heilpraktikergesetz

Geschichtliche Entwicklung

Mit dem staatlich geregelten Heilpraktikerberuf steht der Bevölkerung in Deutschland neben der Ärzteschaft ein Berufsstand zur Verfügung, der - mit Ausnahme einiger Beschränkungen - ebenso wie die Ärztegemeinschaft befugt ist, berufsmäßig die Heilkunde auszuüben, ein Berufsstand also, den es in dieser Form, von einigen Spielarten in Nordeuropa und einzelnen Schweizer Kantonen abgesehen, in keinem anderen europäischen Land gibt. Dabei beruht freilich die Existenz dieses Berufs in Deutschland eher auf rechtshistorischen Zufälligkeiten, nachdem er ursprünglich im Jahre 1939 abgeschafft werden sollte, andererseits die ursprünglich restriktive Öffnungsklausel des Heilpraktikergesetzes nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für jedermann einen Berufszugangsanspruch brachte.

Das Heilpraktikergesetz von 1939 hat die seit 1869 existierende Kurierfreiheit beseitigt, derzufolge - so damals das Reichsgericht - jedermann ohne Rücksicht auf Kenntnisse, Fortbildung, Erfahrung, Geschick, Verleihung etc. die Heilkunde ausüben durfte. Das - damalige reichs-, heute bundesrechtliche - Heilpraktikergesetz war von folgenden Entscheidungslinien geprägt:

a) Besitzstandswahrung für bereits tätige Laienbehandler in dem Sinne, daß ihre Tätigkeit unter Erlaubnisvorbehalt gestellt wurde, wobei die Erlaubnis nur unter einer Reihe von subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erteilt werden konnte. Seit 1941 war dazu auch das Bestehen der gesundheitsamtlichen Kenntnisüberprüfung erforderlich, die keine Fachprüfung im üblichen Sinne ist, sondern auf die Abwehr von Gefahren für die Volksgesundheit im Sinne des "primum nil nocere" (etwa: "jedenfalls nicht schaden") gerichtet ist.

b) Neuzulassungen sollte es nur noch in besonders begründeten Ausnahmefällen geben, ansonsten sollte die nichtärztliche Heilkundeausübung zum Aussterben gebracht werden.

c) Der Betrieb von Ausbildungsstätten für Laienbehandler bzw. Heilpraktiker wurde als logische Konsequenz dieser Konzeption verboten.

In der früheren Deutschen Demokratischen Republik galt diese Rechtslage bis zur Wiedervereinigung fort, sie wurde sogar im Jahre 1949 dadurch verschärft, daß auch die ausnahmsweise Erteilung von Erlaubnissen abgeschafft wurde, während in der Bundesrepublik Deutschland genau das Gegenteil passiert ist: Die ausnahmsweise Öffnungsklausel wurde im Lichte des Grundrechts der Berufswahlfreiheit vom Bundesverwaltungsgericht für verfassungswidrig gehalten mit der Folge, daß heute jedermann Anspruch auf eine Heilpraktikererlaubnis hat, wenn er die grundgesetzlich wirksamen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt.

Methodenvielfalt bei der Ausübung des Heilpraktikerberufs

Von der Frage der Kurierfreiheit zu unterscheiden ist die Frage der Methodenfreiheit. Diese hat das Heilpraktikergesetz von vornherein unberührt gelassen. Für den Heilpraktikerberuf hat dieser Aspekt deshalb besondere Bedeutung, weil gerade er verschiedenartigste Methoden para- bzw. alternativmedizinischer Art pflegt, die nichts oder nur sehr wenig miteinander zu tun haben und die von der Natur- und Erfahrungsheilkunde über die Homöopathie bis hin zu esoterischen Heilverfahren reichen. Gerade deshalb handelt es sich beim Heilpraktikergesetz um ein sogenanntes Auffanggesetz, das sämtliche Arten heilkundlichen Tuns, ob wissenschaftlich begründet oder anerkannt oder nicht, erfaßt und seinem Erlaubnisvorbehalt unterwirft. Vor diesem Hintergrund wird der Heilpraktikerberuf von der Rechtsprechung auch als "inhomogen" bezeichnet.

Methodenfreiheit heißt, daß der Staat sich nicht in die Frage der Behandlungsmethoden einmischt. Er ist deshalb auch nicht befugt, Heilmethoden qua Rechtsnorm als wirksam oder als unwirksam, als mehr oder weniger nützlich zu qualifizieren. Dies zu klären, ist vielmehr Sache der Wissenschaft. Dementsprechend ist die Haltung des Staates zu den heilpraktikertypischen Heilweisen zwangsläufig indifferent, solange diese nur nicht erwiesenermaßen schädlich sind. Methodenfreiheit ist indes für keinen befugten Heilbehandler, sei dieser nun Arzt oder Heilpraktiker, ein Freibrief, denn er darf von den eingeräumten öffentlich-rechtlichen heilkundlichen Befugnissen nach straf- und zivilrechtlichen Sorgfaltsregeln nur im Rahmen seines individuell-persönlichen Wissens und Könnens Gebrauch machen. Und deshalb legt der Bundesgerichtshof an die Tätigkeit des Heilpraktikers einen ähnlichen Sorgfaltsmaßstab an wie an die Tätigkeit eines praktischen Arztes.

Hieraus folgt zwangsläufig, daß es für den Heilpraktiker keine einheitliche Berufsausbildung und dadurch keine staatliche Ausbildungsregelung geben kann. Denn der Heilpraktikerberuf ist untrennbar mit den von ihm gepflegten vielfältigen Heilweisen nicht schulmedizinischer Art verbunden. Wenn es um die Diskussion des Berufsbildes Heilpraktiker geht, dann geht es im gleichen Atemzug auch immer um die Erhaltung dieser Heilweisen, allen voran die Natur- und Erfahrungsheilkunde unterschiedlicher Provenienz, die nicht auf einen methodischen Nenner gebracht werden können. Zu diesen Heilweisen gehören z. B. Homöopathie, klassische Naturheilverfahren und Verfahren außereuropäischer Traditionsmedizin (Hydro- und Thermo-, Bewegungs-, Ernährungstherapie, Pflanzenheilkunde, Ordnungstherapie, anthroposophisch erweiterte Therapie und chinesische Medizin mit Akupunktur, Akupressur, Tai Ji, Qui Gong), aber auch Bach-Blütentherapie, Geistheilung, Entspannungsverfahren und schließlich biologisch-technische Verfahren, die im Grenzbereich der Wissenschaftlichkeit angesiedelt sind. Man spricht, um nicht von vornherein ein Werturteil über die Verfahren abgeben zu müssen, von "unkonventionellen medizinischen Methoden".

Bei den von den Heilpraktikern angewendeten Therapieformen handelt es sich - abgesehen von einem Großteil der klassischen Naturheilverfahren - oft um solche, deren Wirksamkeit naturwissenschaftlich entweder nicht anerkannt oder bestritten ist. Hier beginnt die Problematik, wenn der Staat im dringend erforderlichen Verbraucherschutz regelnd tätig werden will. Denn der Staat verfügt über keine von der Wissenschaft unabhängige Sachkunde. Er muß sich hier ganz allgemein am Stand der Wissenschaft orientieren. In einer pluralen Gesellschaft ist es aber auch strittig, wie im Heilbereich Wissenschaftlichkeit zu definieren ist.

Die unkonventionellen medizinischen Methoden sind stark verbreitet, zumal sich ihrer auch teilweise die Ärzteschaft bedient. Durch die unlängst eröffnete grundsätzliche Möglichkeit einer kassenrechtlichen Abrechnung für derartige Methoden durch die Neufassung des § 135 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung werden unkonventionelle Heilmethoden voraussichtlich noch weiter vordringen. Unter diesen Umständen ist der Handlungsspielraum für den Staat, in diesem Bereich einen effizienten Verbraucherschutz sicherzustellen, insbesondere den Kunden vor Kurpfuscherei und Scharlatanerie zu schützen, eng.

Kundenschutz auf dem Markt unkonventioneller und vorgetäuschter Heil-methoden

Immer wieder werden in der Öffentlichkeit Verfahren diskutiert, die auf der Grundlage unterschiedlichster Methoden Heilung bzw. Linderung von Krankheiten versprechen sollen. Die von Einzelpersonen oder von Gruppen angebotenen Leistungen reichen von "Hand-Auflegen" bis zum Versprechen, Krebs oder Aids auf spirituellem Weg heilen zu können.

Häufig vermischt sich eine vorgeblich religiöse Heilsbotschaft mit psychologischen oder pseudopsychologischen Angeboten. Neben den auf dem gewerblichen Lebensbewältigungshilfemarkt angebotenen Leistungen zur angeblich besseren Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung gibt es ein ebenso unübersichtliches Angebot auf diesem Heilungsmarkt. Die konfliktreichsten Gruppen vermischen ihre Angebote bzw. bieten von der Bewältigung von Geldproblemen bis hin zu Heilsversprechen alles an. Nur davon zu sprechen, hier habe sich neben der Schulmedizin eine Alternativ-Medizin entwickelt, würde das Gesamtphänomen nicht erfassen.

Die Regelungen des Heilpraktikergesetzes haben in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Heilerszene zu den verschiedensten gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt. Die in der Enquete-Kommission diskutierten Ansätze zum Bereich medizinischer und psychotherapeutischer Problematik in den weltanschaulich/ideologischen Bewegungen haben bereits einen Niederschlag im Zwischenbericht gefunden.

Um der bisherigen juristischen Auseinandersetzung Rechnung zu tragen, muß auf die rechtliche Problemstellung im Heilpraktikergesetz eingegangen werden.

Die Durchsetzung eines effizienten Kundesschutzes wird derzeit dadurch erschwert, daß in der Rechtsprechung keine einheitliche Auffassung darüber besteht, was unter dem Begriff "Ausübung der Heilkunde" im Sinne des Heilpraktikergesetzes zu verstehen ist. In der Rechtsprechung stehen sich im wesentlichen zwei Ansichten gegenüber, wie der Begriff "Ausübung der Heilkunde" auszulegen ist.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt in dieser Frage auf objektive Aspekte ab, sogenannte objektive Theorie. Danach setzt die erlaubnispflichtige Tätigkeit ärztliche bzw. heilkundliche Fachkenntnisse voraus. Dies gilt nach dieser Rechtsauffassung auch im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit sowie für die Entscheidung, ob mit einer Behandlung begonnen werden darf (hierzu BVerwG vom 10.02.1983, NJW 1984, 1414 m.w. Verweisungen). Voraussetzung für die Erlaubnispflicht heilkundlicher Tätigkeit ist außerdem, daß die in Aussicht genommenen Behandlungen gesundheitliche Schäden verursachen können. So geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, daß heilkundliche Verfahren, die keine nennenswerten Gesundheitsgefahren zur Folge haben, nicht unter die Erlaubnispflicht des Heilpraktikergesetzes fallen (hier BVerwG, NJW 1970, 1987 ff.). Nach dieser Auffassung gibt es somit eine Ausübung unkonventioneller Heilkunde, die nicht unter das Heilpraktikergesetz fällt.

Der Bundesgerichtshof geht dagegen von einer anderen Definition des Begriffs der "Ausübung der Heilkunde" aus. In Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz hat sich die vom Bundesgerichtshof entwickelte sogenannte "Eindruckstheorie" durchgesetzt. Der Bundesgerichtshof geht maßgeblich vom subjektiven Empfinden eines Patienten des Heilpraktikers/der Heilpraktikerin aus (BGHSt 8, 237). Danach ist unter Ausübung der Heilkunde nach § 1 Heilpraktikergesetz jedes Handeln zu verstehen, das bei den Behandelten den Eindruck erweckt, ihnen Heilung oder Linderung zu verschaffen. Entscheidend ist nach dieser Rechtsprechung nicht, welche Heil- oder Behandlungsmethoden von dem "Heiler" angewandt werden, sondern daß die ausgeübte Tätigkeit auf Heilung oder Linderung von Krankheiten, Schmerzen und Leiden abzielt. Ausübung von Heilkunde wird nach dieser Definition auch immer dann vorliegen, wenn körperliche Schmerz- und Leidenszustände durch vermeintliche oder vorgetäuschte Kräfte geheilt werden sollen (BGHSt 8, 237, 239).

Welche Risiken sich für Kunden aufgrund unkonventioneller oder vorgetäuschter Heilverfahren ergeben können, sei an folgenden Beispielsfällen aufgezeigt:

a) Das Auditing bei Scientology

Bereits in seinem Buch "Dianetik" spricht L. Ron Hubbard von seiner Methode als Therapie. Von der dort beschriebenen "Dianetik" leitet sich die Scientology-Therapie ("Auditing") ab und auch hier wird von Linderung von körperlichen Schäden bzw. Beeinträchtigungen gesprochen. Dem unbefangenen Leser und evtl. späteren Kunden der Dianetik wird also der Eindruck vermittelt, die Scientology-Organisation könne mit Hilfe ihrer Technik seine Gesundheitsbeeinträchtigungen, seien diese nun real oder nur empfunden, beseitigen.

Das "Auditing" kann als die zentrale Einwirkungsmethode bei Scientology bezeichnet werden. Zum besseren Verständnis ist es erforderlich, sich mit den Grundzügen der Theorie des Gründers der Scientology-Organisation L. Ron Hubbard vertraut zu machen.

Nach L. Ron Hubbard ist der menschliche Geist - der Verstand - einem großen Computer ähnlich. Dieser Verstand - der sogenannte "analytische Mind" speichert alle Wahrnehmungen in sogenannte Gedächtnisbanken, aus denen auf der sogenannten Zeitspur (time-track) alles wieder abgerufen werden kann. Nach dieser Theorie gibt es Zeiten sogenannter Bewußtlosigkeiten, damit sind Erfahrungen gemeint, in denen emotionale oder körperliche Schmerzen entstanden sind. Diese werden bei L. Ron Hubbard als sogenannte "Engramme" bezeichnet. Diese werden angeblich gespeichert. Als Speicherelement gilt nach L. Ron Hubbard der sogenannte "reaktive Mind". Dieser "reaktive Mind" gilt als an den Körper gebunden, ist damit vergänglich und wird negativ gesehen. Während der "analytische Mind", der sogenannte "Thetan", grundsätzlich gut ist und als unsterblich gilt.

Ziel der Hubbardschen Lehre ist es, den schlechten "reaktiven Mind" zu beseitigen, um den guten "analytischen Mind" zu befreien. Nach der Theorie müssen die störenden "Engramme" gelöscht werden. Dies geschieht in der dianetischen Therapie (Auditing) durch Wiederbeleben des sogenannten "Engrammes", also der emotionalen oder körperlich erlittenen Schmerzen in der Vergangenheit.

Ausgehend von diesem Ansatz sind alle Neurosen, Psychosen, psychosomatische Leiden wie auch sozial störende Verhaltensweisen stets als Probleme des "reaktiven Minds" anzusehen (in der scientologischen Sprache heißt dies "Abberrationen"). Da das Auditing nun aber die Löschung der "Engramme" ermöglichen soll, verspricht diese Methode die Heilung der genannten Leiden und Beschwerden (L. Ron Hubbard: "Bei all ihrer Einfachheit bewirkt die Dianetik folgendes: (...) Sie umfaßt eine therapeutische Technik, mit der alle nichtorganischen Geistesstörungen und alle organischen psychosomatischen Leiden mit der Gewißheit völliger Heilung in beliebigen Fällen behandelt werden können", Dianetik, 8. Auflage, S. 19).

Der/die zu "Auditierende" wird durch einen/eine in diesem scientologischen Verfahren ausgebildeten "Auditor/Auditorin" betreut. Es wird in der Organisation angestrebt, jeden Menschen, der Scientology Kurse absolviert, auch zum/zur "Auditor/Auditorin" auszubilden. Nach Angaben der Organisation dauert die Ausbildung für die erste Stufe zum/zur "Auditor/Auditorin" normalerweise drei Wochen. Man kann also schon nach dieser kurzen Zeit - wenn auch auf unterster Ebene - eine Ausbildung zum "Therapeuten" erreichen.

Die beispielhafte Schilderung macht deutlich, daß die Anwendung des "Auditing", einer Art Konditionierungsverfahren, wenn es zum Zwecke der Heilung eingesetzt wird, Ausübung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes ist, folgt man der "Eindruckstheorie" des Bundesgerichtshofs. Da die Auditoren in der Regel keine Zulassung nach dem Heilpraktikergesetz haben, wären somit laufend Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz organisationstypisch (vgl. Kapitel 5.5.5.4). Hinzu kommt, daß beim Einsatz von Auditing gegenüber weniger belastbaren Personen mit Gesundheitsstörungen bis hin zu ernstlichen Erkrankungen und Suizidgefahr zu rechnen ist.

b) Der Bruno Gröning-Freundeskreis

Bei dem 1959 verstorbenen Bruno Gröning kann man von einem klassischen "Wunderheiler" sprechen. Da Gröning selbst mit Aussagen zitiert wird, er sei von Gott gesandt, kann der heute bestehende "Bruno-Gröning-Freundeskreis" als eine aus der christlich-spiritistischen Tradition kommende Heilungsgemeinschaft gelten. Die Gröning-Gruppen lehren, daß ein Heilstrom den Menschen, der sich entsprechend "einstellt", durchdringt. Diesen Heilstrom habe man Bruno Gröning zu verdanken.

In die Schlagzeilen und in die gerichtliche Auseinandersetzung geriet Bruno Gröning bereits 1954. Seinerzeit gab es ein Verfahren gegen ihn wegen der unerlaubten Ausübung der Heilkunde. Um weiter tätig sein zu können, wurde er Heilpraktikergehilfe. Bis heute werden außerdem in den Bruno Gröning-Gruppen angeblich von ihm aufgeladene Stanniol-Kugeln geradezu verehrt. Dieser Umstand macht die hohe Problematik des Heilungsglaubens in dieser Gruppe deutlich. Gröning wurde aufgrund seiner Tätigkeit 1958 wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung verurteilt und zur Zahlung einer Geldbuße verpflichtet. Daß die Bruno Gröning-Gruppen auch nach seinem Tod 1959 nach wie vor in seinem Sinne tätig sind, beweisen eine Fülle von Schriften über Bruno Gröning. Problematisch ist im besonderen Maße, daß die Behauptung des Gründers "es gibt kein unheilbar" völlig unkritisch übernommen wird.

Dadurch wird ein Heil- und Wunderglaube an Menschen herangetragen, der im extremsten Fall dazu führen kann, medizinische Beratung im Krankheitsfall nicht anzunehmen.

Da sich allem Anschein nach dem Bruno Gröning-Freundeskreis auch ausgebildete Ärzte anschließen, kommt dieser Gruppe besondere Bedeutung zu. Ob künftig, wie angekündigt, eine medizinische Überprüfung der behaupteten Heilungen nach anerkannten wissenschaftlichen Standards erfolgen wird, muß abgewartet werden.

c) Exkurs

Dachverband geistiges Heilen e. V.

Die in verschiedenen Facetten auftretenden Geistheiler haben sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen, dem bis vor einiger Zeit auch der Bruno-Gröning-Freundeskreis zugehörte.

Dabei sind sich die Personen und Gruppen offenbar bewußt, daß sich "geistiges Heilen" in einer Spannung mit den Gesundheitsgesetzgebungen in der Bundesrepublik Deutschland befinden kann. So gibt der Dachverband eigens ein Rechtshandbuch für Heiler heraus, in denen Ratschläge im Umgang mit Behörden sowie Musterbriefe und Einschätzungen zur Rechtslage veröffentlicht werden.

Bereits die Einleitung dieses Handbuches unter der Überschrift "Praktische Anwendung des Heilpraktikergesetzes" zeigt, daß die Lücken des Heilpraktikergesetzes erkannt sind und weist darauf hin, wie Handlungen möglichst ohne Rechtsfolgen bleiben können. Unter dem Begriff "Juristische Wegbeschreibung" werden Ratschläge für das Heilen erteilt, ohne mit den Gesetzen in Konflikt zu geraten. So z. B.:

"Führen Sie ein Fahrtenbuch, indem Sie sich die Ausgabe Ihrer Parole vom Patienten bestätigen lassen. Muster dafür finden Sie in diesem Buch. Damit schaffen Sie Beweise für Ihr Auftreten. Selbstverständlich darf das Fahrtenbuch nicht frisiert sein. Dieses Muster enthält auch die Parole, die oben ausgegeben wurde. Die Adressen Ihrer Patienten sollten Sie nicht unbedingt in das Formular oder in Ihre Kartei aufnehmen. Dies wäre für jeden Staatsanwalt eine Einladung, die Patienten allesamt zur Vernehmung zu laden".

Verbesserungsmöglichkeiten des Kundenschutzes auf dem unkonventionellen Heilungsmarkt

Angesichts der wachsenden Methodenvielfalt im heilkundlichen Bereich bestehen erhebliche Risiken, daß Patienten versehentlich oder durch Heilschwindler vorsätzlich falsch behandelt werden und hierdurch Schaden erleiden. Der Staat hat unter diesen Umständen eine verstärkte Pflicht, den derzeit unübersichtlichen Markt der Heilmethoden zum Schutz der Kunden transparent zu gestalten - dies ist durch die Schaffung eines Gesetzes zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe für einen Teilbereich des Marktes bereits beabsichtigt (vgl. Kap. 5.5.5.3 und 6.2.3.3.) - und darauf hinzuwirken, daß für die einzelnen alternativen Heilmethoden auch Standards der Qualitätssicherung entwickelt werden.

Einer Verbesserung des Kundenschutzes würde es auch dienen, wenn der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehende Auslegungsstreit, was Ausübung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes ist, beigelegt würde. Die Enquete-Kommission hält es für notwendig, eine Klarstellung des Begriffs der Ausübung der Heilkunde im Heilpraktikergesetz entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 8, S. 237) gesetzlich zu verankern.

5.5.4.3 Gesetzliche Regelungen zum Kindschaftsrecht

a) Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG)

Die Anhörung der Enquete-Kommission zum Thema "Situation von Kindern und Jugendlichen in sogenannten Sekten und Psychogruppen - Teil III: Juristischer Teil" vom 20. März 1997 hat bestätigt, daß das Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG), welches seit dem 1. Januar 1922 in Kraft ist, in der Praxis der alltäglichen Rechtsanwendung keine wesentliche Beachtung mehr findet. Ungeachtet der noch heute aktuellen und begrüßenswerten inhaltlichen Wertungen des RKEG ist festzustellen, daß das Gesetz für den Praktiker im Normalfall nicht mehr sofort greifbar ist, nachdem es in der für die Praxis gängigsten Kommentierung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - dem "Palandt" - seit einigen Auflagen weder im Gesetzeswortlaut noch mit aktueller Kommentierung mit abgedruckt ist.

Inhaltlich bedarf es bei dem RKEG - abgesehen von den inzwischen überholten Aufhebungs- und Übergangsvorschriften der §§ 8 ff. - keiner Änderung.

Nachfolgend wird ein Überblick über die wichtigsten Bestimmungen des RKEG gegeben:

- Anknüpfend an den bürgerlich-rechtlichen Eltern-Begriff des BGB normiert § 1 RKEG neben dem auf freier Einigung beruhenden Bestimmungsrecht der Eltern in Fragen der religiösen Erziehung auch die Abhängigkeit des Rechts der religiösen Kindererziehung von der Berechtigung zur Personensorge.

- Für den Fall fehlender Einigung verweist § 2 Abs. 1 RKEG die Sorgerechtsinhaber auf deren Rechte und Pflichten aus §§ 1626 ff. BGB mit der Folge des gesetzlich geforderten Einigungsversuchs beider sorgeberechtigter Elternteile (§ 1627 S. 2 BGB) bzw. des Antrags eines Elternteils beim Vormundschaftsgericht, diese Entscheidung ihm allein zu übertragen, sofern dies dem Kindeswohl entspricht (§ 1628 Abs. 1 BGB).

- § 2 Abs. 2 RKEG beinhaltet ein Erfordernis der Zustimmung auch des anderen Elternteils für den Fall eines Bekenntniswechsels. Nach § 2 Abs. 3 RKEG kann bei Nichterteilung der Zustimmung eine Vermittlung oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden, welches hierzu neben dem Kindeswohl auch die Zwecke der Erziehung als maßgeblich zu beachten hat.

Die Bindung an eine Einigung über die religiöse Erziehung bzw. an ein Zustimmungsbedürfnis des anderen Elternteils erlischt jedoch nach dem noch bis zum 30.06.1998 geltenden Recht für den Alleinsorgeberechtigten nach der Scheidung. Das dann in Kraft tretende Kindschaftsrecht erhält die gemeinsame Sorge nach Scheidung grundsätzlich aufrecht, wenn keine Alleinsorge beantragt ist.

Die religiöse Erziehung eines nichtehelichen Kindes steht nach vorherrschender Auffassung allein der nichtehelichen Mutter zu, mit Ausnahme der Fälle, in denen ab dem 01.07.1998 von der Möglichkeit der beurkundeten gemeinsamen Sorge Gebrauch gemacht wird.

- Ist ein allein- oder mitsorgeberechtigter Vormund oder Pfleger bestellt, so greifen die Regelungen des § 3 RKEG.

- Im Außenverhältnis bestimmt § 4 RKEG die bürgerlich-rechtliche Unwirksamkeit von Verträgen über die religiöse Kindererziehung.

- Dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird schließlich durch § 5 RKEG Genüge getan: Die freie Wahl des religiösen Bekenntnisses ab vollendetem 14. Lebensjahr sowie kein Wechsel desselben gegen den Willen des Kindes mit Vollendung des 12. Lebensjahres sind dort festgelegt.

- Von besonderem Interesse im Hinblick auf den von der Enquete-Kommission zu behandelnden Untersuchungsgegenstand ist schließlich die Regelung des § 6 RKEG. Diese erstreckt den Regelungsbereich - in entsprechender Anwendung des Gesetzes - über den Bereich der religiösen Kindererziehung im engeren Sinne hinaus auch auf die Erziehung von Kindern in einer nicht bekenntnismäßigen Weltanschauung.

- § 7 RKEG bestimmt die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts bei Streitigkeiten aus dem RKEG sowie dessen Einschreiten von Amts wegen - bzw. ab dem 01.07.1998: Einschreiten des Familiengerichts - bei Gefährdung des Kindeswohls im Sinne von § 1666 BGB (etwa durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten). Hierzu zählen selbstverständlich auch die Fälle selbstbestimmungsausschließender Abhängigkeitsverhältnisse infolge der Wahl eines bestimmten Bekenntnisses durch die Eltern.

b) Vereinheitlichung des Kindschaftsrechts auf europäischer Ebene

Vor dem Hintergrund zunehmender - gerade auch religiös/weltanschaulich motivierter - Fälle von Kindesentführungen ins Ausland durch einen Elternteil ergeben sich gravierende Probleme wegen des zumeist unterschiedlich ausgestalteten Kindschaftsrechts. Vor allem die Regelungen auf dem Gebiet des Sorgerechts bedürfen hier einer - zumindest europäischen - Vereinheitlichung/Anpassung. Hierdurch können Wertungsunterschiede vermieden werden, die derzeit noch immer bei der gerichtlichen Durchsetzung von Herausgabe- bzw. Sorge- und Umgangsrechtsbegehren auftreten und letztlich dem Kindeswohl entgegenwirken.

5.5.4.4 Wucher

Rechtslage

Bei der Auseinandersetzung mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen tritt immer wieder die Frage auf, ob die Dienstleistungs- oder Warenangebote solcher Gruppen gegen den Straftatbestand des Wuchers nach § 291 Strafgesetzbuch (StGB) verstoßen.

Der insoweit relevante Teil der Vorschrift besagt, daß Wucher begeht, wer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines Anderen dadurch ausbeutet, daß er sich oder einem Dritten für eine sonstige Leistung (§ 291 Abs. 1 Ziff. 3 StGB) Vermögensvorteile gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen.

Nach Abs. 2 der Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall insbesondere dann vor, wenn der Täter durch die Tat einen anderen in wirtschaftliche Not bringt oder die Tat gewerbsmäßig begeht.

Berichte von ehemaligen Mitgliedern verschiedener Gruppen zeigen, daß sich Betroffene durchaus in Situationen befinden können, die durch eine Atmosphäre totaler Beeinflussung gekennzeichnet sind und in denen psychische Schwächesituationen vorliegen, die finanziell ausgenutzt werden können. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit der Schutzgedanke des § 291 StGB, der die materielle Ausbeutung einer Schwäche des Opfers unter Strafe stellt, eingreift.

Als Beispiele kommen in Betracht:

Druck zum Kauf eines oder sogar zweier "E-Meter" bei Scientology für jedes

Mitglied. Materialwert des wissenschaftlich wertlosen Gerätes ca. 500,- DM;

Verkaufspreise (Ende 1994) zwischen 5.168,- und 10.560,- DM (mit Zubehör).

Verkauf von angeblichen Heilmitteln zu Preisen, die entweder nicht dem Markt-

wert vergleichbarer, anerkannter Heilmittel entsprechen oder die von vornherein

wertlos sind.

Angebote von Kursen oder Seminaren mit groben Mißverhältnissen zwischen

Preis und tatsächlich erbrachter Leistung.

Verkauf von Anteilscheinen oder Geschäftsbeteiligungen ohne realen wirtschaft-

lichen Hintergrund, z. B. allein aufgrund einer angeblich extremen Gewinnerwar-

tung der Gruppe.

Der Wortlaut von § 291 StGB zeigt, daß die Vorschrift sehr kasuistisch aufgebaut ist. Neben der Nennung verschiedener Schwächesituationen, die wucherisch ausgebeutet werden können, nennt das Gesetz ausdrücklich einige typische Wuchergeschäfte (Miet- und Kreditwucher, sowie Vermittlung eines Wuchergeschäftes). Auch die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale orientiert sich häufig an entsprechenden Einzelfällen und ist dementsprechend schwer überschaubar. Zur Klarstellung, daß gerade auch der hier erörterte Problembereich der psychischen Beeinflussung mit unter die Tatbestandsmerkmale fallen kann, die die besondere Schwächesituation des Opfers umschreiben, erscheint es der Enquete-Kommission als Handlungsempfehlung sinnvoll, eine Ergänzung des Gesetzeswortlautes wie unter Kapitel 6.2.3.5 ausgewiesen, anzustreben. Die vorgeschlagene Klarstellung des Gesetzestextes macht deutlich, daß der Begriff der "Zwangslage" nicht nur wirtschaftliche Zwangslagen umfaßt, sondern auch persönliche Bedrängnis betrifft, die unter anderem aufgrund psychischer Beeinflussung hervorgerufen wurde. Die Subsumption einer psychischen Abhängigkeit unter den Begriff der "erheblichen Willensschwäche" bleibt daneben - wenn die Voraussetzungen in der erforderlichen Intensität vorliegen - unberührt.

Juristische Bewertung

Unumstritten in Lehre und Rechtsprechung ist, daß Waren, Geschäftsanteile, Kurse, Seminare und sonstige Dienstleistungen unter den Begriff der "sonstigen Leistung" im Sinne von § 291 StGB fallen. Im Hinblick auf das "auffällige Mißverhältnis" zwischen Leistung und Gegenleistung wird die Bewertung anhand der für solche Leistungen üblichen Markwerte vorgenommen. Soweit (in Ermangelung eines Marktes) kein Marktwert festgestellt werden kann, wird gelegentlich auf einen "gerechten Preis" oder "angemessenen Gewinn" abgestellt, der anhand individueller Gegebenheiten zu bestimmen sei. Überteuerte Angebote aus dem Bereich der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen unterliegen insoweit den gleichen Bewertungskriterien, wie sie in sonstigen Fällen des Wuchers anzuwenden sind.

Problematisch ist für die hier zu diskutierenden Fälle allein die Bewertung der Situation des Opfers, das aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe veranlaßt wird, einen maßlos überhöhten Preis für bestimmte Leistungen zu zahlen. Es ist zu überlegen, ob insoweit die Tatbestandsmerkmale der "Zwangslage" und/oder der "erheblichen Willensschwäche" vorliegen, die die Grundlage der materiellen Ausbeutung des jeweiligen Opfers bilden.

a) Vorliegen einer Zwangslage

Denkbar wäre zunächst, die besondere Situation von Mitgliedern in bestimmten neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaften oder Psychogruppen als Zwangslage zu begreifen, da sich das Opfer unter dem Eindruck der vermittelten Heilslehre dazu "genötigt" sehen kann, die angebotenen, überteuerten Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Unter einer "Zwangslage" im Sinne von § 291 StGB wird eine Situation verstanden, in der das Opfer sich in einer besonderen Bedrängnis befindet. Seit der Neufassung der Wuchervorschrift durch das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1. WiKG, 1976) besteht Einigkeit darüber, daß zum einen die Ausbeutung einer wirtschaftlichen Bedrängnis, unter den Begriff der Zwangslage fällt. Zum anderen soll eine Zwangslage aber auch dann vorliegen, wenn Umstände anderer, also nicht wirtschaftlicher Art, beim Opfer ein zwingendes Bedürfnis nach der wucherischen Leistung entstehen lassen.

Beispielsfälle für solche Zwangslagen sind:

Forderung wucherischer Zinsen bei der "Umschuldung" fälliger Kredite

(wirtschaftliche Zwangslage) oder

wucherischer Preis für sauberes Trinkwasser bei Seuchengefahr infolge

einer Überschwemmung (andere Zwangslage).

Die Bestimmung einer Zwangslage im Sinne der heutigen Gesetzesfassung geht damit über das früher vom Gesetz festgelegte und in der Praxis als zu eng empfundene Tatbestandsmerkmal der "Notlage" hinaus, worunter zumeist nur "dringende wirtschaftliche Not" verstanden wurde. Dies ergibt sich im übrigen auch daraus, daß das Hervorrufen wirtschaftlicher Not nach dem aktuellen Gesetzeswortlaut als zusätzlicher Strafschärfungsgrund in § 291 Abs. 2 Ziff. 1 StGB ausdrücklich aufgenommen wurde.

Die vorliegende Rechtsprechung und das wissenschaftliche Schrifttum zu § 291 StGB befassen sich kaum mit Fällen von Zwangslagen, die nicht wirtschaftlicher Art sind. Nach Auffassung der Enquete-Kommission ist es aber durchaus denkbar, daß durch die Aktivitäten einer problematischen Gruppe auf dem Gebiet der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen eine vergleichbare, andere Zwangslage beim Bewucherten entsteht, in der er sich der wucherisch angebotenen Leistung nicht entziehen kann. Erörterungen zu solchen "psychischen Zwangslagen" sind in Rechtsprechung und Lehre bislang aber nicht ersichtlich.




b) Erhebliche Willensschwäche

Darüber hinaus ist es denkbar, die innerhalb einer Gruppe geschaffenen Abhängigkeiten als "erhebliche Willensschwäche" desjenigen anzusehen, der sich überteuerten, wucherischen Angeboten nicht zu entziehen weiß.

Eine erhebliche Willensschwäche ist nach der allgemein anerkannten Auslegung von § 291 StGB dann gegeben, wenn die Widerstandskraft, einem wucherischen Angebot zu widerstehen, in so starkem Maße vermindert ist, daß dieser Schwächezustand den sonstigen in § 291 StGB genannten Situationen (nämlich Zwangslage, Unerfahrenheit oder Mangel an Urteilsvermögen) gleichkommt. Betroffen sind also psychische Defizite des Bewucherten, die ihre Ursache in seiner Person haben und die über die normale Verführbarkeit z. B. durch verlockende Werbung hinausgehen. Diese Defizite müssen keinen Krankheitswert erreicht haben; in der Literatur werden aber sehr häufig Fälle der erheblichen Willensschwäche erörtert, in denen die Widerstandsfähigkeit des Betroffenen durch Suchterscheinungen (Drogen-, Alkohol- oder auch Spielsucht) herabgesetzt ist.

Unter diesen Prämissen ist davon auszugehen, daß eine erhebliche Willensschwäche infolge einer psychischen Beeinflussung eines Menschen anzunehmen sein kann: Wird die Entscheidungsfähigkeit einer Person durch den Einfluß einer problematischen neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe in so weitgehendem Maße eingeengt, daß von einer freien Entscheidung für oder gegen die Entgegennahme einer überteuerten Leistung nicht mehr die Rede sein kann, so ist eine erhebliche Willensschwäche im Sinne von § 291 StGB naheliegend. Ob die Beeinflussung des Betroffenen diese - durchaus mit einer Sucht vergleichbare - Qualität erreicht hat, ist naturgemäß eine Frage des Einzelfalls.

Insgesamt kann daher gesagt werden, daß das Anbieten von kraß überteuerten Leistungen durch eine neue religiöse oder ideologische Gemeinschaft oder Psychogruppe insbesondere im Rahmen von kommerziellen Kulten (vgl. Kapitel 5.3.4) und Gewinnerwartungssystemen (vgl. Kapitel 5.3.5) bereits nach der jetzigen Gesetzeslage als Wucher bestraft werden kann. Der auf die Person ausgeübte Druck kann so stark sein, daß eine Zwangslage anzunehmen ist, die zu materiellen Vorteilen ausgebeutet wird. Auch kann die psychische Verfassung eines Betroffenen so beeinträchtigt sein, daß von einer erheblichen Willensschwäche ausgegangen werden muß.

Bisherige Praxis

Die Vorschrift des Wuchers führt in der strafrechtlichen Praxis eher ein Schattendasein. So weist die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 1993 bundesweit nur 454 Fälle eines Verstoßes gegen § 302 a StGB alter Fassung (§ 291 StGB neuer Fassung) auf. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß eine Strafanzeige einer durch Wucher geschädigten Person auch immer die unangenehme Offenbarung eigener Unzulänglichkeit beinhaltet. Zugleich ist denkbar, daß der Täter beim Opfer eine so starke Abhängigkeit ausnutzt, daß das Opfer befürchten muß, sich mit einer Strafanzeige noch weiter zu schädigen. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß eine Strafverfolgung wegen Wuchers nicht von der Stellung eines Strafantrages abhängig ist. Vielmehr handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt, bei dem von Amts wegen zu ermitteln ist, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Dieser Aspekt ist bislang nicht in ausreichendem Maße hervorgehoben worden.

Wie bereits erwähnt, sind bislang keine Gerichtsentscheidungen oder wissenschaftliche Stellungnahmen zu dem speziellen Problem der wucherischen Leistungen innerhalb neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen veröffentlicht worden. Die obige Darstellung hat aber gezeigt, daß Fälle mit strafrechtlicher Relevanz durchaus vorkommen können. Die strafrechtliche Ermittlungsarbeit setzt in diesen Fällen immer voraus, daß auf ausreichende Erkenntnisquellen zurückgegriffen werden kann, die den Ermittlungsbehörden eine fachgerechte Beurteilung insbesondere der oben diskutierten Merkmale "Zwangslage" und "erhebliche Willensschwäche" ermöglichen. Insoweit ist weitere Aufklärungs- und Informationsarbeit nötig.

Die Erkenntnis, daß innerhalb einer bestimmten Gruppierung immer mit gleichen oder ähnlichen Methoden auf Personen Einfluß genommen wird, kann zudem zu einer Vereinfachung der Ermittlungsarbeit genutzt werden. So könnte bei von Amts wegen eingeleiteten Ermittlungen auf Zeugen zurückgegriffen werden, die nicht den ersten Schritt der Strafanzeige getan haben. Für Betroffene kann dies hinsichtlich ihrer Aussagebereitschaft von erheblicher Bedeutung sein.

5.5.4.5 Psychotherapeutengesetz

Bereits in ihrem Zwischenbericht hatte die Enquete-Kommission auf die dringende Notwendigkeit der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes hingewiesen. Damit eine angemessene Versorgung von Menschen, die durch neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen sowie den boomenden Psycho- und Esoterikmarkte geschädigt wurden erfolgt, gibt sie die in Kap. 6.2.3.6 formulierte Handlungsempfehlung.

5.5.4.6 Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Sozialversicherungsrechtliche Fragen wurden bereits im Vorfeld der Enquete-Kommission in den Petitionen zu einzelnen Gruppierungen angesprochen.

Nach der geltenden Rechtslage ist bei der Sozialversicherung von Personen danach zu unterscheiden, ob sie Mitglieder geistlicher Genossenschaften oder Angehörige ähnlicher Gemeinschaften sind, oder ob sie in einem gewöhnlichen Arbeitnehmerverhältnis stehen.

Grundsätzlich besteht für alle Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Beschäftigung ist jede nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, die in persönlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber geleistet wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt ein Beschäftigungsverhältnis vor, wenn nach der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles und nach der Verkehrsauffassung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitenden gegeben ist, die sich vornehmlich in dessen Eingliederung in den Betrieb bzw. dem Direktionsrecht des Arbeitgebers ausdrückt.

Dies gilt auch für Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, während ihres Dienstes für die Gemeinschaft und während der Zeit ihrer außerschulischen Ausbildung (§ 1 Sozialgesetzbuch VI). In der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei sind die zuletzt genannten Personen dann, wenn ihnen nach den Regeln der Gemeinschaft eine Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit sowie im Alter gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist. Bei Ausscheiden aus einer ordensähnlichen Gemeinschaft sind die ehemaligen Mitglieder für die Zeit ihrer Tätigkeit in der Gemeinschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern. Die nachzuversichernden Entgelte müssen hier mindestens 40% der Bezugsgröße betragen. Die Bezugsgröße orientiert sich am durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Rentenversicherten im vorvergangenen Kalenderjahr.

In der Arbeitslosenversicherung werden satzungsgemäße Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen oder ähnliche Personen, die sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und aus ihrer kraft Gesetzes (§ 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB III) versicherungsfreien Beschäftigung ausscheiden - wie auch in der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht nachversichert.

In der Krankenversicherung sind die bezeichneten Personen dann versicherungsfrei, wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringes Entgelt beziehen, das nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung und dergleichen ausreicht. Darüber hinaus sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei die Geistlichen der als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Religionsgesellschaften, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe haben.

Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat erklärt, aus den dargelegten Grundsätzen folge, daß Mitglieder neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen, soweit sie wirtschaftlich verwertbare Arbeit leisteten, grundsätzlich versicherungspflichtig seien. Die Rentenversicherungsträger wollten im Rahmen der Betriebsprüfung versuchen, in Musterprozessen eine Klärung auch darüber herbeizuführen, welches Entgelt der Versicherung zugrunde zu legen sei, wenn der Beschäftigte ein auffallend niedriges Entgelt erhalte. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte führe derzeit ein Verfahren gegen eine Gemeinschaft, in dem die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen im Streit sei. Dieses Verfahren sei noch nicht entschieden. Zur Durchsetzung von Ansprüchen der Mitglieder neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen gegen die jeweilige Gemeinschaft sei darüber hinaus festzustellen, daß es zunächst den Mitgliedern selbst obliege, sich für die Verwirklichung ihrer Ansprüche einzusetzen.

Im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen fällt auf, daß sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum die Auseinandersetzung mit der Scientology-Organisation dominiert. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, Scientology nicht als Religionsgemeinschaft anzusehen (Bundesarbeitsgericht, Beschluß vom 22.03.1995, 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143) hat es Verfahren über Kündigungen im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu Scientology und Verfahren betreffend die Erlaubnis zur privaten Arbeitsvermittlung gegeben. In der Frage der Kündigung von Personen, die Mitglied bei der Scientology-Organisation waren, sind die Gerichte zum Ergebnis gekommen, daß eine Kündigung jedenfalls dann begründet ist, wenn das Verhalten der betroffenen Person im Einzelfall dies rechtfertigt (s. hierzu Landesarbeitsgericht Berlin, Urt. v. 11.6.1997, Az. 13 Sa 19/97 und Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.7.1995, Az. 9 Sa 890/93; in beiden Fällen führte das Verhalten der betroffenen Person im Einzelfall letztlich zur Bestätigung der Kündigung, im letzteren Fall zur Kündigung eines Betriebsrates wegen Störung des Betriebsfriedens durch Werbung für Scientology während der Arbeitszeit). Fraglich ist, inwieweit bereits die Zugehörigkeit zu Scientology den Widerruf einer Erlaubnis zur privaten Arbeitsvermittlung rechtfertigt.

Allgemein hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung darauf hingewiesen, eine Überwachung der Einhaltung arbeitsvertraglicher oder tarifvertraglicher Ansprüche durch eine Behörde sowie eine Sanktion oder Dokumentation von entsprechenden Verstößen sehe das deutsche Arbeitsrecht nicht vor. Allerdings würden Verstöße gegen Vorschriften des Arbeitsschutzrechts, z.B. des Arbeitszeitrechts, von den Arbeitsschutzbehörden der Länder geahndet.

In einem Gespräch mit einem Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung hat dieser hervorgehoben, eine Legaldefinition der Begriffe "Arbeitsverhältnis" bzw. "Arbeitnehmer" gebe es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liege ein Arbeitsverhältnis vor, wenn aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages Dienste in Leistung für einen anderen erbracht würden. Ob persönliche Abhängigkeit gegeben sei, sei unter Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles sowie nach der Verkehrsauffassung festzustellen. Außerdem sei die umfangreiche Kasuistik des Bundesarbeitsgerichts zugrunde zu legen.

Ein weiteres Problem bestehe bei der Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einer Betätigung auf vereinsrechtlicher Grundlage. Vielfach beriefen sich neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen darauf, ihre Mitglieder erfüllten lediglich ihre vereinsrechtlichen Pflichten. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, daß als Rechtsgrundlage für die Leistung von Diensten auch die Mitgliedschaft in einem Verein in Betracht komme. Dies sei unabhängig davon, welche Inhalte der Verein verfolge und ob es sich überhaupt um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft handele. Dabei könne es auch um Leistungen in persönlicher Abhängigkeit, also ein herkömmliches Arbeitsverhältnis, gehen. Die Qualifikation eines Vertrages zwischen einer neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe und einem Beschäftigten als Arbeitsverhältnis scheide nicht schon deshalb aus, weil sich die Organisation darauf berufe, hier liege ein vereinsmitgliedschaftliches Verhältnis vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dürfe die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten nicht zur Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen führen. Eine solche Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften nehme das Bundesarbeitsgericht immer dann an, wenn dem zur Leistung abhängiger Tätigkeit verpflichteten Vereinsmitglied keine Mitgliedschaftsrechte zustünden, die ihm eine Einflußnahme auf den Verein ermöglichten. Außerdem könne eine Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften dann vorliegen, wenn der Verein seinem in erheblichem Umfang zur Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichteten Mitglied weder einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung noch einen Anspruch auf Versorgung einräume. Bei Vereinen mit wirtschaftlicher Zwecksetzung komme ohnehin allein ein Arbeitsverhältnis in Betracht. Liege eine dieser Konstellationen vor, die darauf abzielten, das Arbeitsrecht zu umgehen, sei vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit allen daraus folgenden Konsequenzen auszugehen. Dieses habe auch das Bundesarbeitsgericht dazu veranlaßt, in der erwähnten Entscheidung zur Scientology-Organisation die Entscheidung zu treffen, daß es sich um ein Arbeitsverhältnis handele.

Ein Problem bei Anbietern von Dienstleistungen, beispielsweise bei Anbietern von Lebensbewältigungshilfe, besteht nach der Darstellung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung darin, daß die Anbieter scheinbar selbständig tätig seien, aufgrund der tatsächlichen Situation jedoch als klassische Arbeitnehmer neuer religiöser oder ideologischer Gemeinschaften oder Psychogruppen angesehen werden müßten. Diese Form der Scheinselbständigkeit sei der Versuch, das Arbeitsrecht und das Sozialversicherungsrecht mit den damit zusammenhängenden finanziellen Belastungen zu umgehen. Scheinselbständige, die in persönlicher Abhängigkeit Dienste leisteten, seien Arbeitnehmer, auch wenn die mit ihnen geschlossenen Verträge unrichtiger Weise als Werkverträge, freie Dienstverträge oder ähnlich bezeichnet würden, mit der Folge, daß die arbeitsrechtlichen Vorschriften anzuwenden seien. Die Abgrenzung zwischen echten Selbständigen und Scheinselbständigen sei auch im Kontext von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen an den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Kriterien vorzunehmen. Dies sei nicht ganz unproblematisch, da hierbei nicht mögliche besondere und psychische Abhängigkeiten, die im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auftreten könnten, berücksichtigt würden.

In den Fällen, in denen man davon ausgehen müsse, daß die betreffenden Personen Arbeitnehmer seien, liege eine besondere Problematik in der Entlohnung der Mitarbeiter von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen. Hier ergebe sich aus arbeitsgerichtlichen Verfahren insbesondere aus dem süddeutschen Raum, daß Arbeitnehmer vielfach zu Beschäftigungen verpflichten würden, die sie zeitlich voll in Anspruch nähmen und jede andere Beschäftigung ausschlössen. Dabei würden sie für ihre Tätigkeit eine extrem niedrige Entlohnung erhalten. Grundsätzlich sei die Höhe des Arbeitsentgelts von der vertraglichen Vereinbarung abhängig. Dabei werde in der öffentlichen Diskussion vielfach nicht beachtet, daß Anspruch auf ein tarifvertragliches Entgelt nur ein Arbeitnehmer habe, der selber tarifgebunden sei und dessen Arbeitgeber tarifgebunden sei oder wenn es sich um einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag handele. Nur dann habe der Tarifvertrag unmittelbare und zwingende Wirkung. Die einzelvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages sei im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen eher die Ausnahme. Im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen bliebe damit der Arbeitsvertrag außerhalb des tarifrechtlichen Bereichs. In den Fällen, in denen das Mißverhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Entlohnung extrem sei, so daß von der Nichtigkeit des Arbeitsvertrages nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit oder Wucher auszugehen sei, greife § 612 BGB ein und es müsse das ortsübliche Arbeitsentgelt für diese Beschäftigung gezahlt werden. In diesem Fall orientiere man sich wiederum an den tariflichen Arbeitsentgelten.

In den einzelvertraglichen Vereinbarungen falle auf, daß vielfach gesetzliche Ansprüche, insbesondere auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auf den gesetzlichen Mindesturlaub, gänzlich ausgeschlossen oder eingeschränkt würden. Auch eine solche Vereinbarung wäre nach § 134 BGB nichtig. Da es sich um Individualansprüche handele, müsse sie der jeweilige Arbeitnehmer persönlich einklagen. Ein weiteres Problem sei die Überschreitung der Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz. Dies sei besonders dort problematisch, wo eine derartige Drucksituation bestehe, daß die Leistung weit über die höchstzulässige Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz hinausginge. Hier bestünde die Möglichkeit, durch die Gewerbeaufsichtsämter einzuschreiten, Bußgelder zu verhängen oder in besonders schweren Fällen auch Freiheitsstrafen zu erwirken.

Ein weiteres Problem sei die betriebsinterne Schulung von Mitarbeitern. Die Gestaltung einer innerbetrieblichen Schulung sei prinzipiell Sache des Arbeitgebers. Allerdings habe der Arbeitgeber Schutzpflichten gegenüber den Arbeitnehmern betreffend die Gesundheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter. Ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitsgebers könne indes nur durch Anstrengung eines Verfahrens durch einzelne Arbeitnehmer überprüft werden. Sinnvoll wäre nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung hier eine Klarstellung, daß ein Arbeitnehmer die Teilnahme an einer innerbetrieblichen Schulung sowie deren Fortsetzung jederzeit ablehnen könne, wenn die Schulung im Inhalt und der Methode sein Persönlichkeitsrecht oder sonstige Rechte verletze. Auch wäre eine Regelung hilfreich, wonach der Arbeitnehmer nicht zum Stillschweigen über innerbetriebliche Schulungen verpflichtet werden könne und ein Recht zur Anzeige gegenüber den zuständigen Behörden bekäme, wenn in der Schulung gegen Grundrechte der Arbeitnehmer oder gegen Strafgesetze verstoßen werde oder der Arbeitnehmer zur Verletzung der Rechte anderer aufgefordert werde.

Ein weiterer Problemkreis sei die Situation von Angehörigen neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen, wenn sie in Arbeitsverhältnissen außerhalb der jeweiligen neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe beschäftigt seien. Bei vielen Arbeitgebern wachse das Bedürfnis, sich gegen die Einstellung von Mitgliedern neuer religiöser oder ideologischer Gemeinschaften oder Psychogruppen zu schützen. Dies betreffe insbesondere solche Organisationen, zu deren erklärten Zielen die Gewinnung von Einfluß im Wirtschaftsleben gehöre. Zu den Mitteln, mit denen der Arbeitgeber sich schützen könne, gehöre zunächst die Befragung der Bewerber im Einstellungsgespräch bzw. im Personalfragebogen bzw. die Aufnahme entsprechender Erklärungen des Arbeitnehmers in den Arbeitsvertrag. Das Fragerecht sei nur dann als Mittel anerkannt, wenn der Arbeitgeber einen berechtigtes und billigenswertes, schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Fragen habe. Dies folge aus den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Ein entsprechendes Interesse nehme das Bundesarbeitsgericht immer dann an, wenn es um die Feststellung solcher Informationen gehe, die für die Feststellung der Eignung für den Arbeitsplatz erforderlich seien. So seien z. B. Fragen nach der religiösen oder weltanschaulichen Prägung dann anerkannt, wenn es um die Beschäftigung bei sogenannten Tendenzträgern gehe. Im übrigen sei jedoch die Frage nach der Religion oder Weltanschauung unzulässig. Hier sei noch einmal darauf hinzuweisen, daß durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, Scientology nicht als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft anzusehen, die Frage nach der Zugehörigkeit zu Scientology zulässig sei. Auch die Zugehörigkeit zu Organisationen, die keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften seien, sei in der Regel für die Eignung eines Bewerbers für den jeweiligen Arbeitsplatz nicht maßgeblich. Daher müsse man regelmäßig ein Recht des Arbeitsgebers, nach der Zugehörigkeit zu Vereinen oder Organisationen zu fragen, verneinen müssen. Zulässig sei die Frage nur dann, wenn die Zugehörigkeit zu einer ganz spezifischen Organisation für unvereinbar mit der Tätigkeit in dem Unternehmen gehalten werde. Für das Fragerecht der privaten Arbeitgeber sei auch zu berücksichtigen, daß diese weitaus freier seien, als die öffentlichen Arbeitgeber. In diesem Zusammenhang sei auch von Interesse, daß nach dem Selbstverständnis von Scientology auf die Frage, ob der Betreffende Scientologe sei, die Unwahrheit gesagt werden dürfe. Dagegen dürfe auf die Frage, ob die Technologie von L. Ron Hubbard angewendet würde bzw. ob der Betreffende Mitglied der IAS sei, ausschließlich die Wahrheit gesagt werden. Ein Arbeitnehmer, der eine zulässige Frage des Arbeitgebers nach der Zugehörigkeit zu einer neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe falsch beantworte, müsse damit rechnen, daß der Arbeitgeber ein Recht zur Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nach § 123 BGB habe. Eine weitere Möglichkeit für den Arbeitgeber sei, als Anlage zum Arbeitsvertrag oder im Arbeitsvertrag eine Zusicherung vorzusehen, in der der Arbeitnehmer zusichern müsse, nicht Mitglied einer entsprechenden Organisation zu sein oder zu werden. Auch das komme selbstverständlich nur insoweit in Betracht, als ein Fragerecht des Arbeitgebers jeweils gegeben sei. Während des Arbeitsverhältnisses sei die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation eher zweifelhaft. Das Bundesarbeitsgericht lege das Fragerecht im laufenden Arbeitsverhältnis sehr restriktiv aus.

Zu Kündigungen von Mitgliedern neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen allgemein sei aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bisher kein Fall bekannt geworden, wonach allein die Zugehörigkeit zu einer neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe die Kündigung gerechtfertigt hätte. Vielmehr müßten andere Merkmale hinzukommen, die die Eignung für den jeweiligen Arbeitsplatz ausschlössen. Eine Möglichkeit sei außerdem die Druckkündigung in Fällen, in denen andere Beschäftigte, Kunden oder andere Personen einen Druck ausübten auf den Arbeitgeber, den Beschäftigten, der Mitglied einer neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe sei, zu entlassen, und der Arbeitgeber keine andere Möglichkeit habe, diesen Konflikt zu lösen, als durch Entlassung. Im übrigen komme eine Kündigung dann in Betracht, wenn ein Mitarbeiter sich aktiv im Sinne seiner Organisation im Betrieb betätige und dadurch Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse an die Organisation verraten habe, Betrügereien zugunsten der Organisation begangen habe, oder während der Arbeitszeit bei den anderen Beschäftigten des Unternehmens für die Organisation geworben habe und dabei Mittel des Arbeitgebers benutzt habe. Dazu gebe es zwei Entscheidungen von Arbeitsgerichten, die mittlerweile durch die Landesarbeitsgerichte Berlin und Rheinland-Pfalz bestätigt worden seien. Daß solche Kündigungen zulässig seien, sei im übrigen nicht spezifisch für das hier behandelte Problemfeld.