6.2 Handlungsempfehlungen

6.2.1 Verfassungsrechtliche Situation

6.2.1.1 Artikel 4 Grundgesetz

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag, Artikel 4 GG weder zu ändern noch zu ergänzen.

6.2.1.2 Körperschaftsrechte

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag, Artikel 140 GG/ Artikel 137 Abs. 5 WRV weder zu ändern noch zu ergänzen.

6.2.2 Neu zu schaffende Rechtsvorschriften

6.2.2.1 Gesetz zur Einrichtung einer Stiftung

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, eine Stiftung als Stiftung des öffentlichen Rechts mit den in Kapitel 5.5.5.1 aufgeführten Aufgaben unter finanzieller Beteiligung von Bund und Ländern einzurichten.

6.2.2.2 Einführung einer gesetzlichen Regelung betreffend die staatliche
Förderung privater Beratungs- und Informationsstellen

Die Kommission teilt nach den in Kapitel 5.5.5.2 dargestellten Ergebnissen der Anhörung der Verfassungsexperten nicht die Auffassung der Bundesregierung, daß eine gesetzliche Grundlage für die Förderung privater Informations- und Beratungsstellen grundsätzlich verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Für den Staat kann sich unmittelbar aus Grundrechten eine Verpflichtung ergeben, ein geschütztes Rechtsgut, insbesondere Leben und körperliche Unversehrtheit, vor rechtswidrigen Verletzungen durch Dritte, auch Private, zu bewahren.

Die Kommission fordert daher den 14. Deutschen Bundestag auf, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die die Möglichkeit der direkten staatlichen Förderung von privaten Institutionen ausdrücklich eröffnet und zuläßt.

6.2.2.3 Gesetz zur Regelung der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag, in der nächsten Legislaturperiode ein Gesetz über die Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe auf der Grundlage des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs (BT-Drs. 13/9717) zu beraten und als Bundesgesetz zu beschließen.

6.2.2.4 Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für juristische
Personen und Personenvereinigungen

Die Enquete-Kommission stellt fest, daß sich die rechtspolitische Diskussion in diesem Feld noch in den Anfängen befindet. Der vorliegende Diskussionsentwurf (s. Kapitel 5.5.5.4) und die ausstehende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion (BT-Drs. 13/9682) werden voraussichtlich noch eingehender Beratungen bedürfen.

Die Kommission empfiehlt daher dem 14. Deutschen Bundestag, die Einführung gesetzlicher Regelungen zu beraten, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen betreffen und die Verhängung von Strafen, Maßregeln oder anderen Sanktionen gegen kriminelle Unternehmen, Vereine oder sonstige Personenzusammenschlüsse ermöglichen.

6.2.2.5 Schaffung eines selbständigen Straftatbestandes der Veranstaltung

von sogenannten Pyramidenspielen

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, angesichts der Zunahme der gemeinschädlichen Pyramidenspiele (s. Kap. 5.5.5.5) einen neben

§ 6c UWG selbständigen Straftatbestand für Initiatoren und Teilnehmer an derartigen Spielen zu schaffen.

6.2.2.6 Einbeziehung von Strukturvertrieben in die Gesetzgebung für Finanz-

dienstleistungsvermittler und Versicherungsvermittler

Die Enquete-Kommission regt an, bei den anstehenden Beratungen des 14. Deutschen Bundestages zu dem vom Bundesrat eingebrachten "Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Einrichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen" (BT-Drs. Nr. 13/9421 v. 29.01.1998) zu prüfen, inwieweit der Anwendungsbereich des Gesetzes auf Strukturvertriebs- und Multi-Level-Marketing-Systeme erweitert werden kann. Neben dem im Gesetzentwurf genannten "grauen Kapitalmarkt" hat sich, wie oben (s. Kapitel 5.3) geschildert, ein unübersichtlicher Vertriebsmarkt entwickelt, der sich nicht nur auf den Finanzdienstleistungsbereich beschränkt. Es sollte erreicht werden, daß die Rechtsunsicherheit für Betroffene verringert wird.

6.2.3 Anwendung und/oder Erweiterung des bestehenden Rechts

6.2.3.1 Tätigkeit des Bundesverwaltungsamtes im Bereich "Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen"

Die Enquete-Kommission empfiehlt der Bundesregierung, die Übertragung des folgenden Aufgabengebietes in Form einer eigenständigen Norm im Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes (BVAG) entsprechend der bisherigen Systematik aufzunehmen:



Das Bundesverwaltungsamt ist Informations- und Dokumentationsstelle unter der Bezeichnung "neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen".

Das Bundesverwaltungsamt hat hierbei insbesondere folgende Aufgaben:

1. Sammlung und Auswertung von Materialien, die für die Entwicklung im Bereich "neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen" ein- schließlich der mit diesen rechtlich, wirtschaftlich oder in deren religiöser oder ideologischer Zielsetzung verbundenen Organisationen oder Vereinigungen von Bedeutung sind,

2. Information der Dienststellen des Bundes und der Länder sowie aller Auskunfts- und Beratungsstellen von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder von (privatrechtlichen) Stellen, die sich die Fürsorge für Betroffene von "neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen" zur Aufgabe gemacht haben, über den Bereich "neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen",

3. Aufklärung der Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit über die Gefahren im Bereich "neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen" durch Informationsschriften und anderes.

6.2.3.2 Vereins- und Steuerrecht

Die in Kapitel 5.5.4.1 aufgezeigte unklare Rechtslage im Vereinsrecht bedarf einer Präzision.

Daher empfiehlt die Enquete-Kommission dem 14. Deutschen Bundestag, durch entsprechende Änderungen im Vereinsrecht sicherzustellen, daß das Wirken auch von Religionsgemeinschaften nicht gegen das Grundgesetz gerichtet sein darf. Hierbei wird zu prüfen sein, ob die Herausnahme von Religionsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes (§ 2 Abs. 2 Ziff. 3 VereinsG) zukünftig ganz entfallen kann.

Zudem muß sichergestellt werden, daß eine Begünstigung von Vereinen z. B. durch Anerkennung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit ein Mindestmaß von Verfassungs- und Rechtstreue voraussetzt.

6.2.3.3 Heilpraktikergesetz

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, eine klare Definition der Heilkunde im Heilpraktikergesetz mit der folgenden Formulierung vorzunehmen:

§ 1 (2) Heilpraktikergesetz: "Ausübung von Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Dabei reicht es aus, daß bei dem Behandelten der Eindruck erweckt wird, die Tätigkeit ziele darauf ab, eine Heilung oder zumindest eine Linderung der genannten Beschwerden zu erreichen."

Die Enquete-Kommission regt die Prüfung an, die Einführung eines Straftatbestandes des "Heilschwindels" in die Betrugsvorschriften des StGB vorzunehmen. Eine entsprechende Vorschrift sollte - als Klarstellung der bereits vorhandenen Regeln - die Fälle erfassen, in denen über die Wirksamkeit von Heilmethoden getäuscht wird.

Außerdem ist zu prüfen, ob einheitliche Zulassungsvoraussetzungen für die Erlaubnis der Heilkundeausübung geschaffen werden können. Derzeit erscheint es nicht hinreichend gewährleistet zu sein, daß Heilpraktiker bei ihrer Zulassung die erforderliche Qualifikation nachweisen müssen.

6.2.3.4 Gesetzliche Regelungen zum Kindschaftsrecht

a) Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG) und Kindschaftsrecht im

Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Als einzige inhaltlich neue Ergänzung im Kindschaftsrecht empfiehlt die Enquete-Kommission dem 14. Deutschen Bundestag, im Rahmen der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Personensorge dort eine Gesetzesnorm neu einzufügen, die in Anlehnung an den Wortlaut von § 1631 Abs. 2 BGB (gesetzliche Einschränkung von Erziehungsmaßnahmen im Rahmen des Personensorgerechts) ein Verbot ausspricht sowohl für entwürdigende Praktiken und Techniken im Zusammenhang mit religiöser Betätigung als auch für Praktiken und Techniken, die die Gesundheit oder das psychische Wohlbefinden des Kindes erheblich beeinträchtigen.

Darüber hinaus bedarf es keiner Neukodifizierung, denn das RKEG gilt gemäß Artikel 123 Abs. 1, 125 Nr. 1 GG als Bundesrecht bis heute fort. Begrifflich, sachlich und systematisch knüpft das RKEG grundsätzlich an das Recht der Personensorge gemäß den §§ 1626 ff. BGB an.

Im Ergebnis müssen im Hinblick auf das RKEG lediglich die Anwendungsdefizite behoben werden. Hierfür sieht es die Enquete-Kommission als ausreichend an, daß bei den entsprechenden juristischen Fachverlagen eine zentralere Plazierung des RKEG in den gängigen Gesetzessammlungen erfolgt.

b) Vereinheitlichung des Kindschaftsrechts auf europäischer Ebene

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, die Bundesregierung damit zu beauftragen, auf europäischer Ebene Richtlinien zur Vereinheitlichung des Kindschaftsrechts, insbesondere zur gegenseitigen Anpassung der Sorgerechtsregelungen, zu initiieren.

6.2.3.5 Wucher

a) Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, zur Klarstellung der bereits jetzt erfaßten Fälle der Ausbeutung der besonderen Situation Betroffener in neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen, die Vorschrift von § 291 StGB folgendermaßen zu ändern:

"Wer die wirtschaftliche, psychische oder eine sonstige Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen dadurch ausbeutet, daß ..."

Eine Ausweitung des unter § 291 StGB fallenden strafbaren Handelns ist damit nicht verbunden.

b) Im Zusammenhang mit Aktivitäten neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen kann es zu wucherischen Geschäften kommen, bei denen die psychische Lage Betroffener ausgenutzt wird und sie materiell geschädigt werden. Die Strafverfolgungsorgane sind darauf hinzuweisen, daß die Ermittlungen wegen entsprechender Straftaten nicht erst bei Vorliegen einer Anzeige eines Geschädigten aufzunehmen sind. Bereits wenn aus anderen Quellen, wie z. B. aus Presseberichten oder aus Mitteilungen von Beratungsstellen, hinreichende Anhaltspunkte für Straftaten nach § 291 StGB zu entnehmen sind, müssen Ermittlungen von Amts wegen aufgenommen werden.

c) Die Strafverfolgungsbehörden sind durch eine gezielte Aufklärungs- und Informationsarbeit besser über die Situation von Menschen in neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen zu informieren, um im Einzelfall eine sachgerechte Beurteilung (gerade auch psychischer Zusammenhänge) vorzunehmen zu können.

6.2.3.6 Psychotherapeutengesetz

Die Enquete-Kommission begrüßt, daß es nach über 20jähriger Beratung gelungen ist, das Psychotherapeutengesetz sowohl im Deutschen Bundestag wie auch im Bundesrat zu verabschieden. Sie fordert den Gesetzgeber auf, darauf zu achten, daß die Intentionen des Gesetzgebers nicht durch die Ausführungsverordnungen der Approbationsbehörden und Zulassungsausschüsse konterkariert werden.

Darüber hinaus ist sicherzustellen, daß eine ausreichende psychotherapeutische Versorgung mit wissenschaftlich anerkannten Methoden gerade auch für die Behandlung von Psychomarkt-Opfern, Esoterikgeschädigten und Aussteigern aus neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen gewährleistet wird. Eine Methodenvielfalt mit theoretisch fundierten und bisher in der Praxis bewährten Psychotherapieansätzen sollte sichergestellt sein.

6.2.4 Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungs-

schutz

Bereits in ihrem Zwischenbericht hat die Enquete-Kommission deutlich gemacht, daß sie die Beobachtung der Scientology-Organisation durch das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz begrüßt. Diese Maßnahmen sollten weiterhin fortgesetzt werden.

6.2.5 Internationale Zusammenarbeit

Die Enquete-Kommission fordert die Bundesregierung auf, auf der Regierungs- und der Fachministerebene für einen verstärkten internationalen Informationsaustausch zum Problembereich der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen zu sorgen. Auf europäischer Ebene empfiehlt sich dabei auch die Prüfung, ob in Zusammenarbeit mit den Gremien der Europäischen Union durch die Einrichtung einer zentralen Informationsstelle wichtige Maßnahmen - wie z. B. die Auswertung von grenzüberschreitenden Aktivitäten oder die staatliche Aufklärungsarbeit - besser koordiniert werden können. Soweit strafrechtlich relevante Aktivitäten betroffen sind, sollte der Informationsaustausch über Europol erfolgen.

Die Enquete-Kommission fordert den 14. Deutschen Bundestag auf, im Rahmen der Arbeitskontakte zu parlamentarischen Gremien anderer Staaten und internationaler Organisationen Beratungen über das Problemfeld der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen einzubeziehen, um auch auf dieser Ebene für einen besseren Informations- und Meinungsaustausch Sorge zu tragen.

6.2.6 Einheitlicher Umgang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen in der Europäischen Union

Die Bundesregierung wird aufgefordert, in der Europäischen Union auf einen einheitlichen Umgang mit dem Phänomen neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen hinzuwirken.

6.2.7 Okkultismus/Satanismus

Da die bestehenden Gesetze für Probleme im Zusammenhang mit Okkultismus/Satanismus (u. a. Körperverletzung, Nötigung, Jugendschutz) nach Ansicht der Enquete-Kommission ausreichen, wird im gesetzgeberischen Bereich kein Handlungsbedarf gesehen. Die Gesetze sollten allerdings konsequent angewendet werden.

Im übrigen empfiehlt die Enquete-Kommission im nichtkommerziellen Bereich des Okkultismus:

Aufklärungsveranstaltungen für Lehrer, Erzieher, Multiplikatoren in Schulen, Jugendzentren, Beratungsstellen, Jugendhelfer, Polizei usw. unter Berücksichtigung der rasch wechselnden Erscheinungsformen in der Jugendkultur und unter Erwachsenen,

Einrichtung von Jugendfreizeitstätten mit einem für Jugendliche sinnvollen und erreichbaren Freizeitangebot,

Schaffung von Dezernaten mit Schwerpunkt für Straftaten mit okkultem Hintergrund bei den Strafverfolgungsbehörden und entsprechender Aus- und Weiterbildung der Beamten,

Fortsetzung der Auswertung der vorliegenden Informationen im Bereich Okkultismus/Satanismus durch die Landeskriminalämter.

Auch im kommerziellen Bereich bilden die bestehenden Gesetze im Strafrecht und Wirtschaftsrecht (z. B. Wucher) eine hinreichende Grundlage. Das Gesetz zur Regelung der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe wird die bestehenden Lücken füllen.

Darüber hinaus empfiehlt die Enquete-Kommission:

Aufklärung zu leisten. In der Faszination am Okkultismus zeigen sich häufig auch die Wünsche, Ängste und Bedürfnisse der Menschen, die für viele anders keine Befriedigung erhalten. Staatliches Handeln ist hier sicherlich nur begrenzt möglich, aber es bleibt eine Aufgabe, Lebenszusammenhänge zu schaffen, die die Menschen vor Vereinsamung, Hilflosigkeit und vor allem Arbeitslosigkeit schützen.

Eine gezielte Forschungsförderung zu Fragen nach den Ursachen der Beteiligung an okkulten Praktiken.

6.2.8 Bildung und Weiterbildung

Die Enquete-Kommission empfiehlt im Bereich der Bildung und Weiterbildung Maßnahmen, wie in Kapitel 4.3 angegeben.


6.2.9 Forschungsförderung

Die Enquete-Kommission empfiehlt der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG (Bonn), einen interdisziplinären Forschungsverbund zu den Themen

neue religiöse und ideologische Gemeinschaften

Psychogruppen bzw. Psychokulte in der Gegenwart

neuzeitliche Esoterik, freie Spiritualität der Gegenwart

zu initiieren.

Beteiligt werden sollten die Sozial-, Kultur- und Humanwissenschaften sowie Wirtschaftswissenschaften, die Religionswissenschaft, Theologie und Medizin sowie die Rechtswissenschaft. Das Ziel wäre die Etablierung bzw. die Intensivierung der Grundlagenforschung in den genannten Bereichen.

Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, bei den Universitäten und Hochschulen darauf hinzuwirken, daß deren Aufmerksamkeit für die Forschungsthemen "neue religiöse und ideologische Gemeinschaften sowie Psychogruppen" steigt, so daß durch entsprechende Ausschreibungen und Stellenbesetzungen in den betreffenden Fakultäten Kapazität für die Erforschung dieser Themen geschaffen wird.

Im Bereich der angewandten Forschung, der Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung für die Praxis, fehlt es ebenso wie in der Grundlagenforschung bisher an systematischer Förderung. Hier wären auch die Fachhochschulen anzusprechen. Dabei sind insbesondere folgende förderungswürdige Felder angewandter Forschung zu nennen:

pädagogische Konzepte für die Aufklärung und Prävention innerhalb und

außerhalb des Bildungswesens,

psychologische und sozialtherapeutische Konzepte für die Beratung und

die Rehabilitation Betroffener,

juristische Klärung von zahlreichen in der Praxis anstehenden Rechtsfragen,

soziologische Konzepte für die Kommunikation mit radikalen Gemeinschaften,

für die Förderung ihrer Integration und der Konfliktentschärfung (Konfliktmanage-

ment),

Evaluationsforschung zur Effektivität von konventionellen und unkonventionellen therapeutischen und heilerischen Verfahren (s. Kap. 3.5.4),

Curriculare Berücksichtigung des Themas "Lebensbewältigung" in den akademischen Studiengängen Medizin, Psychologie und anderen professionellen Heildisziplinen (s. Kap. 3.5.4),

interdisziplinäre Forschung zu Gefährdungspotentialen, die durch die Kombination eingriffsintensiver psychologisch wirksamer Methoden und Techniken, ihrer unprofessionellen Anwendung, prekären Elementen von Gruppenkulturen und -organisationen sowie vulnerablen individuellen Prädispositionen entstehen (s. Kap. 5.1),

Epidemiologische Studien über die Häufigkeit der Inanspruchnahme von psychologisch wirksamen oder bewußtseinsverändernden Techniken bzw. Maßnahmen und ihrer Nebenwirkungen (s. Kap. 5.1.6),

Forschung zur sozialen, ethischen und rechtlichen Bewertung von rationalisierter und instrumentell betriebener Persönlichkeitsformung (s. Kap. 5.1.8),

Forschung zur Verbreitung und Ausbreitung unseriöser Angebote im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und -modifikation in der betrieblichen Weiterbildung, bzw. zur Attraktion des betrieblichen Rahmens für solche Angebote. (s. Kap. 5.1.11),

Sozialwissenschaftliche Forschung zur Gewinnung von quantitativen und qualitativen Erkenntnissen über die Auswirkungen auf Betriebsklima und innerbetriebliche Herrschaftsausübung und -sicherung im Gefolge des Einsatzes von Sozialtechniken, Persönlichkeits- und Managementtrainings in Unternehmen (s. Kap. 5.1.11),

die Situation von Kindern und Jugendlichen in neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen. Von besonderer Bedeutung wären empirische wissenschaftliche Studien zu Erziehungs - und Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen, die in diesen Gruppen und Milieus aufwachsen (s. Kap. 5.2),

Erforschung der Phänomene des "rituellen Mißbrauchs" (s. Kap. 5.2),

wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zu verschiedenen Auswirkungen

auf die Wirtschaft (s. Kap. 5.3),

Dogmatische und rechtstatsächliche Aufarbeitung zu ausländischen Regelungen im Bereich der sogenannten Geldwäsche, finanzieller Ausbeutung oder Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. (s. Kap. 5.4),

interdisziplinäre Erforschung der Frage, ob es im Gefolge typischer Risikoprofile bei der Anwendung von psychologisch wirksamen Methoden und Techniken, einem Helfer zurechenbare Ursachen für Gesundheitsschädigungen in Therapie und Lebensbewältigungshilfe gibt, auf die ein geschädigter Kunde in einem Haftungsprozeß einen Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Verhalten des Helfers stützen kann (s. Kap. 5.5.5.3),

interdisziplinäre humanwissenschaftliche Forschung zu den Phänomenen der sogenannten Pyramidenspiele, nämlich die Klärung der Gefahren autoritär ge- führter Strukturvertriebe sowie des exzessiven Einsatzes verhaltenspsycho- logischer Beeinflussungs- und Sozialtechniken (s. Kap. 5.5.5.5),

Forschung zu einer weiteren Klärung der Spezifik biographischer, lebensthematischer Hintergründe für neue religiöse, weltanschauliche Milieus und Psychogruppen (s. Anhang).



6.2.10 Transparenz des Psychomarkts

Die Enquete-Kommission hält es für erforderlich, daß die Angebote des Psychomarktes objektiv beschrieben und zum Zwecke der Transparenz für den Verbraucher bewertet werden. Heilkundliche Standesorganisationen, Verbraucherschutzzentralen usw. werden gebeten, solche Bewertungen vorzunehmen. Sie sollten dabei staatliche Unterstützung erhalten.

6.2.11 Konfliktreduzierung

Da es im Interesse des Staates und der Gesellschaft liegt, daß Konflikte zwischen neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen und ihrer sozialen Umwelt begrenzt und im Rahmen des bestehenden Rechts ausgetragen werden, hat die Enquete-Kommission für die unter Kap. 6.2.2.1 befürwortete Stiftung als ein Aufgabenfeld die Mediation zwischen Konfliktpartnern empfohlen.

6.2.12 Keine weitere Verwendung des Begriffes "Sekte"

In Anbetracht der in Kapitel 2 dargestellten Unschärfe und Mißverständlichkeit des Begriffes der "Sekte" hält es die Enquete-Kommission für wünschenswert, wenn im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auf die weitere Verwendung des Begriffes "Sekte" verzichtet würde. Insbesondere in Verlautbarungen staatlicher Stellen - sei es in Aufklärungsbroschüren, Urteilen oder Gesetzestexten - sollte zukünftig die Bezeichnung "Sekte" vermieden werden.

Statt dessen schlägt die Kommission vor, - ähnlich wie in diesem Bericht - eine differenzierte Terminologie zu verwenden, auch wenn diese in Anbetracht weiterer wissenschaftlicher Befassung mit dem Problembereich nur vorläufigen Charakter haben sollte.

6.2.13 Berichtspflicht der Bundesregierung

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem 14. Deutschen Bundestag, die Bundesregierung durch Beschluß zu verpflichten, jeweils 2 Jahre und 4 Jahre nach Verabschiedung dieses Endberichts einen Bericht über die Umsetzung der dort ausgesprochenen Handlungsempfehlungen vorzulegen.