Anhang

Zum Forschungsprojekt "Aussteiger, Konvertierte und Überzeugte - kontrastive biographische Analysen zu Einmündung, Karriere, Verbleib und Ausstieg in bzw. aus religiös-weltanschaulichen Milieus oder Gruppen"

I. Zusammenfassung

Im folgenden handelt es sich um eine von den Forschern autorisierte Zusammenfassung des Forschungsprojekts:

Gemeinsamkeiten in den Ergebnissen der vier Teilprojekte

1. Die für alle Teilprojekte gemeinsame Ausgangsfrage, ob sich "Bleiber" und "Aussteiger" in ihren biographischen Hintergründen und Verlaufsformen deutlich unterscheiden lassen, wird von den Teilprojekten verneint oder zumindest relativiert. Diese Kontrastierung hat sich nicht als die markanteste erwiesen. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Differenziertheit der Gruppen- und Organisationsstrukturen in den unterschiedlichen Milieus. Auf der einen Seite stehen die esoterischen Milieus und sogenannten Psychokulte. Dort ist nur bei wenigen Gruppen ein klarer Mitgliedsstatus festzustellen, da sich in bestimmten Strömungen dieses Feldes teilweise keine festen Gruppen bilden, damit auch keine "Einmündungen" oder "Zugehörigkeiten" im eigentlichen Sinne entstehen. Somit kann für diese Segmente auch nicht sinnvoll von "Ausstieg" gesprochen werden. Für fernöstliche Gruppierungen und Milieus finden sich sowohl hohe Grade der Gruppenorganisation, als auch offenere Formen der Partizipation an Angeboten. Auf der anderen Seite stehen Gruppen mit christlich-fundamentalistischer Prägung bzw. radikale christliche Gruppen der ersten Generation, die stärker zu Geschlossenheit nach außen und einer stärkeren Organisiertheit ihrer Mitglieder neigen. Für diesen Teilausschnitt ist die Kategorisierung von "Bleibern" und "Aussteigern" bedeutsamer. Im Milieu christlich-fundamentalistischer Gruppen findet sich mit dem "traditionsgeleiteten Typus" darüber hinaus eine Form der schicksalhaften, frühen religiösen Einsozialisation, die lebensgeschichtlich bestätigend beibehalten oder intensivierend fortgeschrieben wird. Hintergrund ist hier eine deutlich abgeschirmte religiöse Enklave. Auch für diese Form kann nicht sinnvoll von Einstieg oder von "Bleibern" gesprochen werden, da Zugehörigkeit hier von Kindheit an konstitutiv ist. Dieser traditionsgeleitete Typus wird nur für dieses Milieu formuliert, dürfte aber - je deutlicher sich für die anderen untersuchten Milieus ebenfalls längere kulturelle Tradierungen ergeben - auch dort anzutreffen sein. Neben dieser Relativierung der Unterscheidung von Aussteigern und Bleibern durch die Differenziertheit der Milieus ergibt sich eine zweite, noch wesentlichere Infragestellung dieser Konstratierungslinie: Es lassen sich keine typischen Bleiber- und Aussteigerbiographien differenzieren, sondern sowohl für "Bleiber" wie für "Aussteiger" lassen sich analoge Problemlagen oder lebensgeschichtliche Konstellationen feststellen. Entscheidend dafür, ob es zu einer langfristigen sozialen Verortung in einer Gruppe kommt oder diese mehr oder weniger schnell verlassen wird, ist die "Passung" zwischen biographischen Konstellationen, dem in den meisten Teilprojekten als "Lebensthema" bezeichneten zentralen biographischen "Anliegen" der jeweiligen Person und den Möglichkeiten, die die Gruppe für die Artikulation, die Bearbeitung oder Realisierung dieser Lebensthematik bereitstellen kann. Wer länger bleibt, hat sein lebenspraktisches Problem entweder individuell befriedigend gelöst, es stillgestellt oder aber bearbeitet es noch im Kontext der jeweiligen Gruppe. Wer die Gruppe wieder verlassen hat, konnte entweder sein biographisches Anliegen dort nicht lösen oder aber hat dort in der Bearbeitung seines Lebensproblems eine Möglichkeit gefunden, die es ihm erlaubt, die Gruppe wieder zu verlassen. D. h. auch, eine Person kann - mit einem identischen biographischen Anliegen oder Lebensthema - solange sie auf der Suche nach einer optimalen Passung zwischen Person und Gruppe ist, "Aussteiger" aus Gruppen sein und schließlich - nach erfolgreicher Suche - zum "Bleiber" werden. Und umgekehrt kann die Beheimatung in einer Gruppe etwa durch Veränderungen in der Gruppe selbst relativiert werden und somit ein "Bleiber" - mit dem identischen Anliegen, das ihn einst langfristig in diese Gruppe einmünden und "bleiben" ließ - zum "Aussteiger" werden. Die Vorstellung, daß sich "Sekten-Aussteiger" grundlegend von denjenigen unterscheiden, die in neuen religiösen, weltanschaulichen Zusammenhängen und Psychogruppen verbleiben, muß gegenüber deutlich feststellbaren Gemeinsamkeiten gründlich relativiert werden.

2. Diese Überlegungen leiten direkt zu einem zentralen Ergebnis aller Teilprojekte über: Für das Verständnis der Einmündung in neue religiöse, weltanschauliche Zusammenhänge und Psychogruppen muß die gesamte Lebensgeschichte betrachtet werden. Hier lassen sich generell biographische "Grundmuster" oder Problemlagen, die sogenannten "Lebensthemen" herausarbeiten, die für den gesamten Lebenslauf bedeutsam bzw. strukturierend sind und häufig bis in die Kindheit zurückreichen: etwa Suche nach Einbindung und Zugehörigkeit, Suche nach Strukturierung und Halt, Wünsche nach Aufwertung und Einzigartigkeit, nach Neuem und Selbsterweiterung etc. Dieses jeweilige Bündel lebenspraktischer Fragen, Probleme und Herausforderungen bringt das Individuum in unterschiedliche, teilweise parallele oder aufeinanderfolgende soziale Zusammenhänge ein und versucht diese darin zu bearbeiten und zu realisieren. Dies gilt auch für die Annäherung an religiöse, weltanschauliche Zusammenhänge bzw. Psychogruppen. Der Kontext der Gruppe bzw. des jeweiligen Milieus bietet nun jeweils ein spezifisch ausgeformtes Feld, das für die jeweilige biographische Lebensthematik unterschiedliche Möglichkeiten bereit stellt, diese Lebensthematik zur Geltung zu bringen, zu artikulieren bzw. zu bearbeiten. Das Lebensthema wird, wie die biographischen Portraits zeigen, in der Regel so lange bearbeitet, bis sich eine wesentlich bessere oder befriedigende Lösung bzw. "Passung" zwischen biographischen Mustern und Gruppe herstellen läßt. Dabei ergeben sich deutliche Hinweise, daß je enger und unflexibler die Gruppenorientierungen und -anforderungen sind und je weniger interne Spielräume des Verhaltens zugelassen werden, die Passung zwischen Lebensthema und Gruppenstruktur enger sein muß, um eine optimale Balance zu finden. Diese Passung kann sich - wenn eine deutliche Affinität von Gruppe und biographischer Lebensthematik vorliegt - in harmonischen, bei spannungsreichen Konstellationen aber auch in mehr oder weniger konfliktreichen Formen vollziehen.

3. Dieses Ergebnis, daß das Zusammenspiel zwischen biographischen Hintergründen, Lebensthematik und Gruppen bedeutsam für Einmündung, Verortung und Ausstieg aus derartigen Gruppierungen und Strömungen ist, weist deutlich auf einen Eigenanteil der Individuen hin. Damit wird von allen vier Teilprojekten übereinstimmend eine eindimensionale "Manipulations"- oder "Verführungsthese" zurückgewiesen. In keiner der rekonstruierten Biographien waren Gewalt, Manipulation oder "Übertölpelung" das dominante Muster für die Einbindung in die jeweilige Gruppe. Die Hinweise auf manipulative Gruppendynamiken - soweit es im Rahmen biographischer Analysen überhaupt zulässig ist, auf Gruppenprozesse zu schließen - scheinen eher auch für andere soziale Zusammenhänge relevant und keineswegs spezifisch für neue religiöse Bewegungen, Gruppen oder Psychokulte zu sein. Selbst bei jenen Typen, in denen deutlich heteronome Rahmungen vorliegen - im esoterisch-psychokultischen Milieu etwa die Form einer Suche nach Therapie (Typ B) oder der durch Druck oder Beeinflussung durch signifikante Andere erfolgenden Einmündung (Typ C) - sind immer noch eigene Intentionen, eigene Entscheidungs- und Aktivitätsanteile der Individuen festzustellen. Auch in solchen Fällen, in denen der jeweiligen Gruppe ein Manipulationsvorwurf gemacht wird, läßt sich durch die biographische Rekonstruktion verdeutlichen, daß die Manipulationsthematik auch ein grundlegender Bestandteil der Weltdeutung und der Lebensthematik der Individuen ist. Diese Ergebnisse sind nun nicht so zu verstehen, als sollten damit die Einzelnen vollends für problematische oder destabilisierende Verläufe und Erfahrungen in den jeweiligen Gruppen verantwortlich gemacht oder ihnen gar die "Schuld" zugewiesen werden. Aber die Vorstellung, daß es vor allem manipulative Strategien, gezielt eingesetzte "Psychotechniken" bzw. abhängig machende Beeinflussungsformen seien, die Menschen gegen ihren Willen zu hilflos ausgelieferten, fremdgesteuerten Objekten der jeweiligen Gruppen machten, muß angesichts der zahlreichen rekonstruierten Biographien aus heterogensten Milieus sowie mit unterschiedlichsten Verläufen und Erfahrungen deutlich zurückgewiesen werden. Vielmehr kann für jede der rekonstruierten Biographien ein komplexes Zusammenspiel zwischen Lebensthematik und biographischen Verlaufsformen der Individuen einerseits und den Vorgehensweisen und Angeboten der jeweiligen Gruppen andererseits herausgearbeitet werden. Auch für stark konflikthafte bzw. destabilisierende Ablösungs- oder Ausstiegsprozesse verdeutlichen die biographischen Rekonstruktionen der vier Teilprojekte, daß die Individuen noch ambivalent an die Gruppe gebunden sind, so daß entsprechende Beeinflussungen von seiten der Gruppen auch dadurch ihre bindende Wirkung erst entfalten können.

4. Viel deutlicher als zwischen Aussteigern und "Bleibern" lassen sich relevante Kontrastierungen für unterschiedliche Verläufe in den Gruppierungen sowie für die biographischen Folgen, die Kosten oder Möglichkeiten für die Individuen herausarbeiten. Dabei muß die Vorstellung, daß es vor allem dekompensierende, regressive oder destabilisierende Konsequenzen für die Individuen sind, die sie in neuen religiösen Bewegungen, Gemeinschaften und Psychogruppen erleiden, deutlich relativiert werden. Vielmehr zeigt sich eine große Bandbreite unterschiedlicher Verläufe. Neben destabilisierenden Formen kann es zu einer sistierenden, befriedigenden Passung, aber auch zu deutlichen Formen der Transformation und Weiterentwicklung im Rahmen derartiger Gruppierungen und Milieus kommen. Zu welchen Varianten es kommt, hängt vor allem auch damit zusammen, welche biographischen Belastungen und Problematiken, welche individuelle Ressourcen, Bewältigungs- und Handlungsmöglichkeiten die Individuen in die Gruppenzusammenhänge einbringen, welche Handlungsmöglichkeiten die jeweiligen Milieus eröffnen und - wie schon skizziert - zu welchen Passungen zwischen Individuum und Gruppenstruktur es kommt. Hinweise auf destabilisierende Verläufe und Konsequenzen zeigen sich in radikalen christlichen Gruppen etwa in der Form, daß durch die Veränderung von Gruppen eine erreichte "Passung" fragil wird, die Veränderung durch das Individuum aufgrund seiner biographischen Struktur nicht mitvollzogen werden kann und dadurch dramatische und destabilisierende Dekonversationsprozesse eingeleitet werden. Ebenfalls problematisch können sich Ausstiegsprozesse dann vollziehen, wenn biographisch starke Belastungen und psychopathologische Strukturen (z. B. starke Ängste, Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlte etc.) auf seiten des Individuums vorliegen. Wenn die Hoffnung auf Konfliktlösung und kompensatorische Stabilisierung dadurch besonders gefördert wird, daß ein Zusammenspiel verzerrter individueller Wahrnehmungen und entgegenkommender übersteigerter Erzeugung von "Heilungs"-Erwartungen durch die Gruppe entsteht, kann es bei anschließenden Enttäuschungen zu besonders dramatischen, destabilisierenden Dekonversionen kommen. Daneben treten aber auch Dekonversationstypen auf, in denen die Ein- und Ausmündungsprozesse Bestandteil individueller Sinnsuche und Bewältigungen sind, die zu produktiveren Formen der "Passung" führen. Auch in christlich fundamentalistischen Milieus zeigen sich neben sistierenden oder dekompensierenden Formen (insbesondere für den traditionsgeleiteten Typus und abgeschwächt für den Monokonvertiten) produktive und transformierende Erfahrungen im Umgang mit den jeweiligen Gruppen, auch wenn sie beim akkumulativen Häretiker in der Ambivalenz wiederkehrender Enttäuschungen bei der Suche nach einer lebensthematischen Lösung produktiven Bearbeitungsformen schwanken, also auch dort nicht krisenfrei sind. Neben dekompensierenden und krisenanfälligen Typen ergeben sich auch für das esoterische, psychokultische Milieu deutliche Hinweise auf transformierende, relativ krisenfreie biographische Verläufe. Dies gilt vor allem für den Typus A ("aus Interesse, lernbereit"), für den eine aktive, selbstbestimmte Annäherung an die Gruppen und Auseinandersetzung mit ihnen kennzeichnend ist. Ein ähnliches Spannungsverhältnis zeigt sich auch für das fernöstliche Milieu: So zeigen sich in jenen Formen, die als "Rückgriff auf symbiotische Gesinnungsgemeinschaften" gekennzeichnet werden, eher sistierende, stagnierende Konstellationen, indem dort zur Stabilisierung auf Bekanntes zurückgegriffen wird und in der Stillstellung von Offenheit fest Verortung gesucht wird. In den unterschiedlichen Varianten einer "autonomen Lebensführung" in den Gruppen oder in Auseinandersetzung mit ihnen zeigen sich aber auch deutlich transformierende biographische Entwicklungen, die zu einer Stärkung lebenspraktischer Autonomie führen. Besonders eindringlich zeigen sich derartige unterschiedliche Möglichkeiten darin, wie etwa verschiedene Mitglieder von Hare Krishna (ISKCON) diese Gruppe vor dem Hintergrund ihrer Biographie und Lebensthematik unterschiedlich nutzen, erfahren und ihre Leben innerhalb der Gruppe ausgestalten: So wird in zwei Fällen die Gruppe als Rückzug auf eine symbiotische, zyklische Religiosität vor lebenspraktisch autonomen Entscheidungszwängen genutzt, wobei die Suche nach einer symbiotischen Geschlossenheit in einem Fall auch nach dem Ausstieg aus Hare Krishna in der anschließenden Ehe fortgesetzt wird. Demgegenüber zeigt sich in einem anderen Beispiel, wie innerhalb der Gruppe Spielräume für eine Gemeindeorientierung genutzt werden und lebenspraktisch autonome Potentiale gegenüber den einengenden Kindheits- und Jugenderfahrungen gewonnen werden können.

5. Ein weiteres zentrales Ergebnis im Vergleich der Teilprojekte ist, daß es eine große Vielfalt unterschiedlich ausgeformter Biographien, Lebensthemen und Hintergründe bei denjenigen gibt, die sich in neuen religiösen, weltanschaulichen Milieus und Psychogruppen aufhalten oder aufgehalten haben. Es konnten keine für alle gültigen, typischen biographischen Merkmale, Erfahrungen oder sozialen Randbedingungen herausgearbeitet werden. Zwar zeigen sich bei einer Vielzahl der Fälle krisenhafte Zuspitzungen lebensthematischer Probleme seit Kindheit und Jugend, so daß es zu quasi-therapeutischen Hoffnungen auf Stabilisierung oder Nachsozialisation gegenüber den Gruppen kommt. Aber auch diese krisenhaften Formen sind keineswegs zu generalisieren. Vielmehr zeigen sich auch deutlich krisenfreie und keineswegs durch Leidensprozesse gekennzeichnete biographische Verläufe. Zudem gibt es deutliche Hinweise, daß die biographischen Hintergründe und Lebensthematiken keineswegs typisch für diese Gruppen und Milieus sein müssen, was sich exemplarisch daran verdeutlichen läßt, daß die Bearbeitung dieser biographischen Anliegen vor Einmündung oder nach Verlassen der Gruppen auch in anderen sozialen Kontexten erfolgt ist. Zudem ergeben sich für den Vergleich zwischen Individuen, die radikalen christlichen Gruppen der ersten Generation angehören und einer "Kontrollgruppe" von Individuen, die landes- bzw. freikirchlich orientiert sind, keine Hinweise auf deutliche Kontraste. Eine typische biographisch verankerte Disposition für neue religiöse Gemeinschaften und Psychogruppen ist ebensowenig feststellbar wie eine typische "Sektenbiographie".

6. Aus diesen Ergebnissen sind direkte Schlußfolgerungen für die Beratungsgestaltung möglich. Zum einen zeigt sich bei einem Teil der Fälle, daß hier kein direkter Beratungsbedarf besteht, da es zu keinen besonders eskalierenden Konflikten oder starken biographischen Krisen im Zusammenhang mit Einmündung, Verbleib oder Austritt aus Gruppen kommt. Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Komplexität und Vielfalt der biographischen Problemkonstellationen und der entscheidenden Relevanz der Lebensthematik aber läßt sich für jene Fälle, in denen aufgrund krisenhafter und konflikthafter Zuspitzungen ein deutlicher Beratungsbedarf entsteht, folgern, daß die Beratung keineswegs auf die Gruppenzugehörigkeit oder den Ausstieg begrenzt werden darf. Die Problematik einer derartigen Beratung wird dann schlaglichtartig deutlich, wenn berücksichtigt wird, daß in einem Teil der interpretierten Fälle die lebensgeschichtliche Problematik mit dem Ausstieg aus der Gruppe nicht "erledigt" war, sondern in anderen sozialen Zusammenhängen relevant blieb und weiter bearbeitet werden mußte. Von daher müßte die Beratung in einem umfassenden Sinne psychosoziale Beratung sein, die einzelfallorientiert die biographischen Muster, die Persönlichkeitsentwicklung, die individuellen Dispositionen und Problemkonstellationen einbezieht. Voraussetzung ist eine solide Feldkompetenz, etwa gründliche Kenntnisse über Religion, neue religiöse Gruppen und Bewegungen, Psychogruppen etc.

Vergleich der Typologien

Beim bisherigen Stand der Auswertung konnte für jedes untersuchte Milieu eine Typologie biographischer Verläufe erarbeitet werden, die durch interne Kontrastierungen die Vielfalt biographischer Verläufe, Zugänge und biographischer Folgen für die einzelnen Milieus verdeutlicht. Im Anschluß daran wäre nun ein zusammenfassender Vergleich und eine Kontrastierung der rekonstruierten biographischen Typologien über die Milieus hinweg sinnvoll. Diesem Vorhaben sind beim gegenwärtigen Stand der Auswertung deutliche Grenzen gesetzt. So beziehen sich alle vier Typologien auf die biographischen Prozeßstrukturen, pointieren aber jeweils spezifische Dimensionen, anhand derer die Typologie erstellt wird. So tauchen zwar alle Dimensionen in den jeweiligen Typologien auf, aber es stehen teilweise andere Dimensionen im Vordergrund, die die Typenbildung anleiten. Im Teilprojekt zu fundamentalistisch-christlichen Strömungen sind es unterschiedliche Formen der Einmündung, der Zugangs- und Adaptionsweisen, die zu einer Unterscheidung von drei Typen führen. Im Teilprojekt des esoterisch, psychokultischen Milieus stehen ebenfalls Arten des Zugangs im Mittelpunkt. Im Teilprojekt, das sich mit fernöstlichen Milieus beschäftigt, ist es das jeweilige Verhältnis der Individuen zur lebenspraktischen Autonomie, das die Typendifferenzierung anleitet. Für den Bereich randchristlicher Gruppen ist es die Passung zwischen Biographie, Lebensthema und Gruppe sowie das Ausmaß der Flexibilität bzw. die Enge der jeweiligen Gruppe, wodurch die Typologie strukturiert wird. Durch diese unterschiedliche Dimensionierung ist zur Zeit eine gruppenübergreifende Typologie noch nicht konstruierbar.

So wäre es bedeutsam, danach zu fragen, ob es spezifische biographische Verlaufs- oder Einmündungstypen gibt, die nur in einem Milieu auftreten oder ob in spezifischen Milieus vor allem bestimmte Lebensthemen im Vordergrund stehen. Dies wäre bedeutsam für eine abgesicherte Differenzierung zwischen unterschiedlichen Ausformungen neuer religiöser und weltanschaulicher Milieus. Hier ergeben sich Hinweise: Der "traditionsgeleitete Typus" kommt in dieser Form nur im fundamentalistisch-christlichen Milieu vor. Hier bleibt zu überprüfen, ob dies mit religiösen Tradierungen zusammenhängt, die in dieser Form vor allem im Kontext christlicher Milieus auftreten und dies für andere, relativ traditionslose Milieus zumindest noch nicht gilt. Die Form eines Rückzugs in symbiotische Gesinnungsgemeinschaften mit zyklischer Religiosität kommt in dieser Form nur im fernöstlichen Milieu als Typus vor. Hier bleibt zu überprüfen, ob derartige symbiotisch, einbindungsorientierte Lebensthematiken vor allem in diesem Milieu vorliegen und Einmündungen strukturieren und motivieren.

In allen Milieu-Typologien - darauf wurde schon verwiesen - finden sich auch Typen, die für einen "offeneren", "produktiveren" und "transformatorischen" Umgang mit den Gruppen und entsprechende biographische Prozeßverläufe stehen: z. B. der akkumulative Häretiker, der interessegeleitete, lernbegierige Typus, die unterschiedlichen Formen einer autonomen Lebensführung, etwa als Realisierung eines kleinen gegenläufigen Prinzips in einem Gruppenzusammenhang oder die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines opponierenden alternativen Deutungssystems von einem als heteronom erfahrenen biographisch früheren (kindlich-jugendlichen) Deutungssystem abzusetzen.

Offene Fragen und weiterer Forschungsbedarf

Neben diesen relativierenden Hinweisen bleiben auch im Anschluß an die vorgelegten Ergebnisse der Teilprojekte Fragen offen.

So wird deutlich, daß der methodische Zugang der biographischen Rekonstruktion keine Aussagen über die Binnenrealität, die interaktive, soziale Realität von Gruppen und Milieus, von betrieblichen oder organisatorischen Zusammenhängen (etwa im psychokultischen Bereich) erlaubt. Zwar gibt es in den Teilprojekten Hinweise etwa auf eher enge oder offene Gruppen, auf unterschiedliche Passungsmöglichkeiten zwischen Lebensthemen und jeweiliger Gemeinde, finden sich für das fernöstliche Milieu Hinweise auf Veränderungen in bestimmten Gruppen. Insgesamt aber bleibt festzuhalten, daß dies keine Aussagen über die jeweilige Gruppenrealität sind, sondern Aussagen darüber, wie aus der Perspektive unterschiedlicher biographischer Verläufe und lebensthematischer Hintergründe Gruppen und Milieus erscheinen können und welche Relevanz sie für biographische Prozesse gewinnen können. Darüber sind allerdings Erkenntnisse zu gewinnen, wie unterschiedlich Gruppen je nach biographischem Hintergrund erfahren werden und welche heterogenen Erfahrungsräume Gruppen und Milieus je nach biographischem Hintergrund darstellen können.

Hier wäre es nun wichtig, weitere Forschungen anzusetzen, die sowohl die Gruppen bzw. Milieus in Interaktionsfeldstudien untersuchen und diese zu biographischen Studien in Beziehung zu setzen. Dies wäre vor allem auch bedeutsam für die weitere Klärung der Frage nach dem Zusammenhang von Manipulation und Beeinflussung seitens der Gruppen und den biographischen Thematiken und individuellen Ressourcen im Rahmen biographischer Prozesse. Hierzu sind - trotz der vorliegenden deutlichen Relativierungen der Manipulationsthese - die Aussagen aus den biographischen Rekonstruktionen allein noch nicht hinreichend.

Wichtig wäre auch eine weitere Klärung der Spezifik biographischer, lebensthematischer Hintergründe für neue religiöse, weltanschauliche Milieus und Psychogruppen. Das deutliche Ergebnis, daß sich im Durchgang durch die biographischen Verläufe keine generelle "Sektendisposition" oder "-biographie" ergibt, könnte weiter überprüft und dadurch validiert werden, daß maximale Kontrastierungen mit biographischen Verläufen aus religiös und weltanschaulich distanzierten bzw. fernstehenden Milieus durchgeführt würden.

II. Teilprojekt "Attraktivität radikaler christlicher Gruppen der ersten
Generation"

Dipl.-Theologe Wilfried Veeser, Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg

An dieser Stelle soll in knapper Form der ausführliche Forschungsbericht zusammengefaßt und in seinen Hauptlinien und Ergebnissen dargestellt werden. Dies geschieht in vier Schritten:

1. Zum Forschungsauftrag und der Methodik

2. Beobachtungen und Ergebnisse

3. Ein "typischer” Fall: Frau Fischer

4. Zusammenfassung

1. Zum Forschungsauftrag und der Methode

1.1 Ausgangsfrage

Dem Forschungsauftrag liegt die Ausgangsfrage zu Grunde: Was bewegt Menschen, bzw. welche erkennbaren biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen stehen hinter dem Verhalten, sich an "radikale christliche Gruppen” der ersten Generation zu binden, sich dort zu beheimaten, bzw. wieder auszusteigen? Daraus resultiert die weitergehende Frage: Dominieren beim Aufbau der Bindung bzw. beim Vorgang der Akkulturation manipulative Handlungsmuster der Gruppen oder spezifische Befindlichkeiten dieser Menschen, die eine Bindung bzw. Beheimatung als weithin autonomen Versuch der Problemlösung, als Sozialisationsvorgang usw. erscheinen lassen?

Um auf diese und vergleichbare Fragen gesicherte Antworten zu erhalten, formulierte die Enquête-Kommission den in der gemeinsamen Einleitung der vier Forschungsprojekte genannten Forschungsauftrag.

1.2 Zum untersuchten Feld

Aufgrund verschiedener Auskünfte bei kirchlichen und staatlichen Weltanschauungsstellen wurde versucht, auf einzelne als "radikal” eingestufte randkirchliche Gruppen der ersten Generation zuzugehen, um Interviewpartner für das Forschungsprojekt zu akquirieren. Das Anliegen stieß nur bei wenigen dieser Gruppen auf strikte Ablehnung. Meistens zeigten sie eine recht hohe Bereitschaft zur Kooperation. Dies ließ frühzeitig ahnen, daß die diagnostizierte "Radikalität” einer Gruppe zumindest auf der Ebene persönlicher Kontakte und im Erleben ihrer Mitglieder differenzierter zu sehen ist. Nachdem zunächst mit Mitgliedern und Mitarbeitern solcher Gruppen qualitative Interviews durchgeführt wurden, bestätigte sich diese Vermutung v.a. bei einigen pfingstlich/charismatischen Gruppen. Die dort geführten Interviews ließen nach ersten Analysen kaum auf exzessive manipulative Gruppenprozesse oder erhebliche Konfliktfelder schließen. Weitere Interviews wurden mit Mitgliedern solcher Gruppen geführt, die sich auch während dieser Vorlaufphase noch als extrem darstellten. Aus den dadurch gewonnenen Daten kamen insgesamt sechs Insiderinterviews zur vertieften Auswertung. Diese Probanden (Pbn) stammten aus zwei stark heiligungsorientierten Gruppen, die in der Frage der Zusammenarbeit mit Christen anderer Denominationen keine "ökumenische Weite” zeigten (A-Gemeinde, D-Gemeinde). Gleichzeitig gelang es, mit sechs Aussteigern aus diesen Gruppen Kontakt aufzunehmen und diese zu interviewen. Die sechs Interviewpartner der Kontrollgruppe stammten aus landeskirchlich und freikirchlich geprägten Gemeinschaften mit deutlich wahrnehmbarer "ökumenischer Weite”.

Mit allen Interviewpartnern wurde zusätzlich der Persönlichkeitsstrukturtest (PST) von M. Dieterich (1997) durchgeführt, so daß es möglich wurde, die dort erkennbaren Strukturen als Kontextwissen in die Analyse der Interviewdaten mit einzubeziehen und sie zusätzlich zu kontrastieren (s.u.).










Übersicht über die Interviewpartner

Verbleiber:

A-Gemeinde

(stark heiligungsorientiert mit hohem Konformitätsdruck, stark missionarisch)

Frau Adler

Frau Braun

Herr Carstens

Herr Etzel

D-Gemeinde

(stark heiligungsorientiert mit hohem Konformitätsdruck)

Frau Claus

Herr Geiger

Aussteiger

A-Gemeinde (s.o.)

Frau Fischer

Frau Haug

Frau Jung

Herr Gölz

D-Gemeinde (s.o.)

Herr Heinrich

Herr Jakob

Kontrollgruppe:

S-Gemeinde

(evangelische Freikirche)

Herr Ernst

S-Gemeinde

(evangelische Freikirche)

Frau Ernst

K-Gemeinde

(landeskirchliche Gemeinschaft)

Herr Decker

Evangelische Landeskirche

Frau Thiele

M-Gemeinde

(charismaitsch freikirchliche Gemeinde)

Frau Schäfer

L-Gemeinde

(charismatisch freikirchliche Gemeinde)

Herr Walter

1.3 Zur Methodik

Neben den Ausführungen zur Methodik im gemeinsamen Teil der vier Forschungsprojekte ist hier in besonderer Weise der "psychologische Persönlichkeitstest” zu beschreiben.

Beim Einbezug eines empirischen Verfahrens zur Messung der Persönlichkeitsstrukturen der untersuchten Pbn war folgende Frage zu beantworten: Welches quantitative Testverfahren zur Ermittlung der Persönlichkeitsstruktur des Menschen ist so breit angelegt, daß es sowohl veränderbare als auch unveränderliche Aspekte differenzieren kann? Weiterhin sollte von diesem Instrumentarium verlangt werden, daß es die biographisch beobachtbaren Strukturen, wie sie im Kontext von Konversionen und Dekonversionen zu erwarten waren, von den Ergebnissen her nicht statisch einengt oder die Interpretation der qualitativen Interviews nicht paradigmatisch präfiguriert.

Die Wahl fiel auf ein mehrstufiges Testverfahren von M. Dieterich (Persönlichkeitsstrukturtest [PST] 1997), welches drei verschiedene Ebenen der Persönlichkeitsstrukturen (differenziert nach dem Ausmaß der Veränderungsmöglichkeit) unterscheidet und dabei vorhandene und bewährte empirische Instrumente zur Messung der Persönlichkeit aufnimmt. Durch diese Differenzierung von drei Ebenen der Persönlichkeit sind Aussagen zur Stabilität der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen möglich. Dies ließ erwarten, daß sich diese Strukturen in einem unterschiedlichen Ausmaß in der biographischen Erzählung zeigen und nachweisbar sind. Sie fungieren gleichsam als mehr oder weniger konstante, transformierbare oder eben auch als veränderbare Lebensthemen, die mit dem jeweiligen sozialen Kontext interagieren.

Im einzelnen werden von Dieterich folgende Persönlichkeitsdimensionen beschrieben (1997, 46ff, 72ff, 138ff):

Er unterscheidet bei der Beschreibung der Persönlichkeitsstruktur zwischen den Wesenszügen, der Grundstruktur und der Tiefenstruktur des Menschen. Mit der nebenstehende Abbildung versucht Dieterich, dies modellhaft zu verdeutlichen. Es sind drei konzentrische Kreise. Der äußerste Kreis entspricht den Wesenszügen, demjenigen Anteil der Persönlichkeit, der von anderen wahrnehmbar ist, der den Menschen nach außen hin kennzeichnet und beispielsweise zu Sympathie oder Antipathie führen kann. An diesen Wesenszügen kann man arbeiten, d.h. sie sind durch ein gezieltes Förderprogramm (sofern dies notwendig sein sollte) veränderbar. Die Wesenszüge können sowohl durch eine entsprechende Umgebung (Arbeitsplatz, Familie usw.) als auch durch den Einfluß der "tiefer" liegenden Grundstruktur bzw. Tiefenstruktur entstanden sein. Der zweite Kreis, die sog. Grundstruktur, ist im Unterschied zu den Wesenszügen nicht direkt sichtbar und kann von den Wesenszügen auch deutlich verschiedene Ausprägungen haben. So ist es durchaus möglich, daß man z.B. bei den Wesenszügen eine hohe Ausprägung der Kontaktorientierung zeigt - und bei der Grundstruktur deutliche Ausprägungen einer Introversion vorliegen. Die Grundstruktur ist zumeist im Laufe der Jahre entstanden und deshalb viel stabiler als die Wesenszüge. Die Tiefenstruktur gib Aufschluß über Anteile der Persönlichkeitsstruktur, die in früher Kindheit erworben bzw. teilweise auch vererbt worden sind. Sie ist so stabil, daß eine Änderung nicht angestrebt werden sollte. Auch hier gilt, daß sich ihre Ausprägungen von denen der Grundstruktur und den Wesenszügen deutlich unterscheiden können. Solche Unterschiede erklären oftmals gewisse Spannungen im Leben, sie sind aber durchaus üblich.

Dieterich griff bei der Entwicklung seines Persönlichkeitsstrukturtests auf vorhandene Verfahren zurück.

· Bei den Wesenszügen auf die 16 Persönlichkeitsfaktoren (16 PF) von Schneewind u.a. (1986).

· Bei der Grundstruktur auf das Eysenck-Persönlichkeitsinventar (EPI) (vgl. Eggert, 1983) und bei den Items auf Elemente des Freiburger Persönlichkeitsinventars (FPI-R) (vgl. Fahrenberg 1983). Es werden die Dimensionen Extraversion (introvertiert bis extravertiert) und Neurotizismus oder Emotionalität (stabil bis instabil oder flexibel/emotional) beschrieben. Die Grundstruktur kann zum einen durch die länger andauernde Einwirkung (Lernprozesse) der korrelierenden Wesenszüge entstehen, jedoch in weit größerem Maß durch Anlage bzw. frühkindliche Prägung. Zielgerichtete Änderungen erfordern sehr viel Zeit.

· Bei der Tiefenstruktur: Zu ihrer Ermittlung kommen eher schließende Verfahren in Betracht (wie z.B. qualitative Interviews, durch die Strukturanalysen biographischer Verläufe möglich werden). Mit seiner Eigenentwicklung für diesen Anteil der Persönlichkeit versucht Dieterich dennoch "einen kleinen Spalt zur Tiefenstruktur auf empirischem Wege” zu öffnen (154). Dieterich rezipiert das tiefenpsychologische Persönlichkeitsmodell von F. Riemann, welches sich sprachlich wie auch im Blick auf die Operationalisierung für ein solches Verfahren am ehesten eignet, jedoch ohne dessen pathologische Dimension der Beschreibung. Riemann geht von "depressiven”, "schizoiden”, "zwanghaften” und "hysterischen” Aspekten aus. Dieterich drückt diese Grundstrebungen durch die Dimensionen "Distanz - Nähe” mit dem Gegensatzpaar "sachlich - warmherzig”, sowie "Veränderung - Stabilität” mit dem Gegensatzpaar "unkonventionell - korrekt” aus (vgl. 156).

Es war zu erwarten, daß das biographische Material im Kontext einer intensiven Gruppenbeziehung konkrete Wesenszüge widerspiegeln kann, die sich aber erst im Rahmen der Konversion und der Akkulturation entwickelt haben dürften. Insofern ein bereits vor der Konversion erkennbarer Wesenszug als Lebensthema praktische Relevanz besaß, könnte sich ein solcher im neuen sozialen Milieu wandeln. Dagegen ist bei den Grundstrukturen und vor allem bei den Tiefenstrukturen damit zu rechnen, daß diese sich über die gesamte Biographie hinweg zeigen, wobei sie je nach Interaktionslage mit der Gruppe transformiert werden können, z.B. Hingabe und Nähe in der Tiefenstruktur in unterschiedlichen sozialen Milieus: Nähebeziehungen zu Lehrern und soziale Engagements in der Schulzeit, ehrenamtliche Engagements in Vereinen oder sozialen Gruppen in der Adoleszenz und schließlich nach der Konversion in einer christlichen Gemeinschaft starkes Engagement im Sinne christlicher Nächstenliebe.

Analysen biographischer Interviews ohne Einbezug der empirisch meßbaren Persönlichkeitsstrukturen als Kontextwissen haben ergeben, daß diese Persönlichkeitsdimensionen in der Regel dennoch als Lebensthemen sichtbar wurden. Damit konnte die Sorge in Bezug auf das Methodische, durch den Einbezug der quantitativ ermittelten Persönlichkeitsstruktur quasi ein der biographischen Wirklichkeit nicht entsprechendes Deuteparadigma an das qualitative Interview künstlich heranzutragen, entkräftet werden. Im Gegenteil. Das Einbeziehen dieses Kontextwissens erleichterte vielmehr die Interpretationen insofern, als von vorne herein mit solchen Strukturen zu rechnen war und diese tatsächlich in redundanter Weise jeweils in mehreren Sequenzen aufgefunden werden konnten.

2. Einzelbeobachtungen und Ergebnisse

2.1 Ein dynamisches Passungsmodell zur Erklärung der Einstiegs- und Verbleibsprozesse, der Beheimatungswahrscheinlichkeit, der Kon- fliktpotentiale und der Fluktuation in christlichen Gemeinschaften

Die durchgeführten Analysen des biographischen Materials sowie der Persönlichkeitsstrukturprofile in den drei Pbn-Gruppen im Feld christlicher Gemeinschaften lassen - über spezifische Typenbildungen hinaus - auf ein dynamisches Passungsmodell zur Erklärung der Einstiegs- und Verbleibsprozesse, der Beheimatungswahrscheinlichkeit, der Konfliktpotentiale und der Fluktuation in christlichen Gemeinschaften schließen. Weiter hat sich im Verlauf der Kontrastierungen gezeigt, daß sich die Biographieverläufe, sowie die Persönlichkeitsstrukturen von Menschen in evangelikalen und charismatisch / pfingstlichen Gemeinschaften randkirchlicher oder eben landeskirchlicher/freikirchlicher Provenienz nicht wahrnehmbar unterscheiden, daß sie vielmehr auf der Ebene des erkennbaren Erlebens relativ große Ähnlichkeiten aufweisen. Zwar lassen sich bei Einsteigern, Aussteigern oder Verbleibern verschiedene Prozesse beschreiben. Die Dynamik dieser Prozesse ist jedoch bei allen sehr ähnlich. Aufgrund dieser Beobachtungen könnte man vermuten, daß dieses vorliegende Passungsmodell für christliche Gemeinschaften überhaupt, womöglich sogar - zumindest in Einzelfällen - auch für andere religiös bzw. quasi-religiös geprägte Milieus zutreffen könnte.

Begriffsbestimmungen

Enge, inflexible vs. weite, flexible Gruppe: Mit den Begriffen "eng” und "weit” sowie "inflexibel” und "flexibel” werden in diesem Zusammenhang zwei Dimensionen des Angebotsprofils einer christlichen Gemeinschaft beschrieben:

(1) Die Erkennbarkeit bzw. die Dominanz eines spezifischen (dogmatischen, ideologischen oder glaubensstilmäßigen) Gruppenprofils.

(2) Das Ausmaß des Konformitätsdrucks auf das einzelne Mitglied, mit dem die entsprechende Gruppenkultur einen umfassenden Anspruch auch auf die Privatsphäre des Einzelnen erhebt und Abweichungen sanktioniert.

Eine hohe Flexibilität der Gruppe, bzw. Weite ist dann zu konstatieren, wenn die Gruppenkultur ein kaum wahrnehmbares oder relativ weites, d.h. ein von miteinander konkurrierenden Ideen bestimmtes Profil aufweist, bzw. sie evtl. vorhandene ideologische Ansprüche allenfalls sprachlich artikuliert, diese aber nicht operationalisiert oder gar vom Einzelnen einfordert. Dies führt in der Regel dazu, daß sich unterschiedliche Menschen mit teils sich widersprechenden Bedürfnissen in einer solchen Gruppe beheimaten können, ohne daß alle Strukturen unmittelbar einem spezifischen Profil entsprechen müssen (vgl. z.B. die volkskirchliche Pluralität in theologischer Hinsicht und bei Glaubensstilfragen).

Eine sehr geringe Flexibilität der Gruppe, bzw. Enge liegt dann vor, wenn eine Gruppenkultur ein deutlich erkennbares und enges, d.h. für den religiös Interessierten nicht diskutierbares, homogenes Profil aufweist, dieses in konkreten Handlungsanweisungen operationalisiert wird und Abweichungen vom System der Gemeinschaftsnorm sanktioniert werden (Konformitätsdruck). Oftmals erhebt eine solche Gruppe einen ausgeprägten Absolutheitsanspruch, durch welchen sie zu einer "heilsnotwendige” Normen setzenden Größe avanciert. Dies führt in der Regel dazu, daß sich in solchen Gruppen Menschen mit ähnlichen biographischen oder persönlichkeitsbedingten Strukturen und Bedürfnissen beheimaten, da die Gruppenkultur die Angleichung der Personen an die Gruppe einfordert (vgl. Forderungen nach Veränderung des "Charakters”, der Schlafgewohnheiten, der sozialen Kontakte usw.).

Hohe Passung vs. niedrige Passung: Mit dem Begriff Passung wird der beobachtete Umstand beschrieben, daß die Beheimatung von Menschen in spezifischen Gruppen aufgrund einer hohen Übereinstimmung ihrer dominanten biographischen oder persönlichkeitsbedingten Strukturen mit der spezifischen Gruppenkultur erfolgt. Eine relative Passung liegt auch dann vor, wenn für die nicht unmittelbar zur Gruppenkultur passenden biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen und Bedürfnisse gruppeninterne Nischen oder gruppenexterne Bezugssysteme gefunden werden, in denen das Gruppenmitglied seine strukturell bedingten Bedürfnisse hinreichend befriedigen kann.

Beheimatungswahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit der Beheimatung eines Menschen in einer christlichen Gemeinschaft, d.h. sein relativ dauerhafter Verbleib in diesem religiösen Milieu hängt von dem Grad der Passung seiner biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen zu dem Profil der Gruppe und umgekehrt ab. Je mehr diese Strukturen des religiös Interessierten zu einer spezifischen Gruppenkultur passen, wird er dort verbleiben, bzw. bei Nichtpassung den Konversions- bzw. Akkulturationsprozeß abbrechen. Auch die umgekehrte Perspektive ist möglich: Je mehr die Gruppenkultur zu den Strukturen des potentiellen Konvertiten passen, desto höher ist die Beheimatungswahrscheinlichkeit. Dies schließt andere Faktoren, die ebenfalls Einfluß auf die Beheimatungswahrscheinlichkeit haben können, nicht aus: z.B. intellektuelle Plausibilität der Lehre, kommunikatives Geschick oder Ungeschick der Gruppenleiter, soziale Anreize im Sinne eines vertrauten gesellschaftlichen Milieus, berufliche und finanzielle Anreize, persönliche Anreize (nicht selten sind wohl erotische Beziehungen im Spiel, die wiederum auch als eine biographische Struktur gewertet werden könnten) usw. Es wird jedoch von einer zentralen Bedeutung der Passung im obigen Sinn ausgegangen.

Konfliktpotential: Mit Konfliktpotential wird der Sachverhalt bezeichnet, daß durch spezifische gruppenbedingte oder biographische bzw. persönlichkeitsbedingte Auslösefaktoren in der Interaktion zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft unterschiedlich starke interne oder externe biographierelevante Konfliktfelder entstehen können. Einerseits birgt eine enge und inflexible Gruppenkultur durch Absolutheitsanspruch und/oder Konformitätsdruck (s.o.) auf den Einzelnen Konfliktpotentiale in sich. Andererseits kann die mangelnde Passung der biographischen oder persönlichkeitsbedingten Strukturen des Einzelnen trotz hoher Motivation zum Verbleib mittelfristig zu Konflikten und zu Dekonversionsprozessen führen. Je inflexibler (s.o.) sich eine Gemeinschaft in ihrem Angebotsprofil zeigt und je geringer die Passung beim Einzelnen ist, desto leichter können Konfliktfelder und damit einher gehende Ausstiegsprozesse entstehen.

Fluktuation: Fluktuation bedeutet, daß durch das "augenscheinliche” und zunächst attraktiv wirkende Ausgangsprofil einer Gemeinschaft (vgl. z.B. das Versprechen gelingender Beziehungen in einer subjektiv als fremd erlebten Umwelt) zwar relativ viele Menschen zu weiteren Kontakten stimuliert werden, infolge der Inflexibilität der Gemeinschaft sich jedoch nur solche Biographieträger beheimaten, die eine hohe Passung in ihren biographischen oder persönlichkeitsbedingten Strukturen aufweisen. Je inflexibler (s.o.) sich z.B. eine nach außen hin missionarisch offene Gemeinschaft zeigt, desto häufiger mißlingen Akkulturationsprozesse, weil die Strukturen der Gruppe und des Individuums nicht passen. Dies führt zu einer stärkeren Fluktuation. Bei inflexiblen Gemeinschaften, die weniger missionarisch extravertiert agieren, ist zu vermuten, daß sie sich vielmehr selbst reproduzieren (Großfamilie als Norm) und so relativ weniger Fluktuation aufweisen. Dies dürfte mit dem Umstand zusammenhängen, daß bei solchen Sozialisationsprozessen Teile der Gruppenkultur zu einem festen strukturellen Bestandteil der Biographie geworden sind (vgl. Religion und spezifische Glaubensstile als Lebensthema und -norm).

2.2 Zur Dominanz biographischer Strukturen und Lebensthemen in allen Pbn- Gruppen

Alle untersuchten Personen, auch diejenige Pbn-Gruppe, die im randkirchlichen Bereich religiöse Orientierung suchten, wurden in aller Regel von zumeist unbewußten Strukturen und Lebensthemen bestimmt. Diese fungieren als Prinzipien, die das Handeln der Pbn im Rahmen des Konversionsprozesses, des Verbleibs oder der Dekonversion stark strukturieren und bestimmen. Auch wenn man in der Regel für das konkrete Handeln multikausale Zusammenhänge annehmen muß (z.B. ökonomische und systemische Aspekte etc.) werden diese wahrnehmbaren Lebensthemen, bzw. Strukturen im biographischen Verlauf und in der Beziehungsgestaltung zu den jeweiligen Gruppen dominant. Sie scheinen den Menschen auch in seiner religiösen Orientierung nachhaltig zu bestimmen. Aus anderen psychologischen oder psychotherapeutischen Perspektiven werden diese unbewußten Lebensthemen auch als "Lebensstil” (individualpsychologisch), allgemein "Übertragungen” oder "Projektionen”, "Lebensskript” (transaktionsanalytisch) bezeichnet. Selbst dann, wenn ein Pb bewußte eigenständige Erklärungsmodelle für seinen Ein- oder Ausstieg entwickelt und in deren Paradigma spezifische kognitive Aspekte zur Begründung seines Verhaltens ins Feld führt (z.B. eine bestimmte, als attraktiv empfundene Lehre einer Gruppe), dominieren jene Strukturen oder Lebensthemen die Entwicklung; die Kognitionen passen sich in aller Regel an diese an (im Sinne der Auflösung kognitiver Dissonanzen). Diese Strukturen und Lebensthemen bestimmen und prägen auch ganz wesentlich die Interaktionen zur Gruppe und mögliche Konfliktfelder bei Unpassungen - unabhängig davon, ob es sich um eine enge, inflexible oder eine weite, flexible Gruppe handelt (s.o.).

2.3 Suche nach einer möglichst hohen Passung

Es ist bei allen Pbn-Gruppen beobachtbar, daß es zu mehrfachen Einmündungen und Konversionen, zu unterschiedlichen Akkulturationsprozessen, Dekonversionen und neuen religiösen Orientierungen kommen kann, bis der einzelne Pb entsprechend seiner (zumeist unbewußten) biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen und Lebensthemen eine hohe Übereinstimmung (Passung) zwischen sich und seinen Bedürfnissen einerseits und der Gruppenkultur andererseits spürt, fühlt, erlebt, glaubt. Die Analyse der vorliegenden biographischen Interviews führen zu dem Eindruck, als suche ein Pb so lange, als experimentiere und teste er, bis er eine für sich befriedigende Passung findet, durch die er in umfassendem Sinn Identität gewinnt, weil das Setting einer Gruppe ein Höchstmaß an Kongruenz und Konformität mit den eigenen Zielen ermöglicht. Dabei scheint es aus sozialwissenschaftlicher Perspektive prinzipiell sekundär zu sein, ob diese Passung in einer religiösen oder in einer säkularen Gruppe gefunden wird. Gerade die beobachtbaren Prozesse des Einstiegs, Verbleibs oder Ausstiegs scheinen den Pbn zu ermöglich, spezifische Lebensthemen, Entwicklungslinien und Verhaltensweisen zu bearbeiten, weiter zu bringen, abzustoppen oder ganz neu zu initiieren. Dabei hat die Gruppe zumeist eine Art katalysatorischen Effekt.

2.4 Manipulative Gruppenelemente oder Evidenzerlebnisse scheinen eher
sekundär zu sein

In den erkennbaren Interaktionsprozessen scheinen manipulative Elemente eher von sekundärer Bedeutung zu sein. Sie erscheinen zwar auf der Bewußtheitsebene z.B. im Rahmen von Dekonversionsprozessen als Argumentationshilfen, die das jeweilige Handeln oder Nichthandeln begründen sollen. Für die eigentlichen Entscheidungsprozesse spielen sie jedoch eine eher nachgeordnete Rolle. Diese Beobachtung gilt auch umgekehrt. Bei geglückten Konversionen und Akkulturationen spielen beispielsweise die Gruppenlehre, die gewonnene Tugend, die beanspruchte Ethik, v.a. aber die diversen Evidenzerlebnisse z.B. im Sinne spiritueller Erfahrungen auf der Bewußtheitsebene eine wichtige Rolle. Aber faktisch stellen sie sehr häufig Operationalisierungen dar, die die Bedürfnisse der latenten Strukturen bestätigen, verstärken oder überhaupt erst ermöglichen und weiter entwickeln. Ein Beispiel: Dienen und Hingabe haben eine hohe Wertigkeit im Normsystem christlicher Gemeinschaften. Ein stark warmherziger und altruistischer Mensch dient jedoch unbewußt, bzw. auf der Ebene dieser Bedeutungsstrukturen deshalb, weil er seine tiefsitzende Angst vor Isolation, Einsamkeit und vor sozialer Distanz zu vermeiden sucht. Im Normsystem seiner Gemeinschaft gewinnt er durch sein Handeln jedoch einen tugendhaften Status. Womöglich fungiert er als ein soziales Modell und dient als Beispiel für Selbstlosigkeit, ohne daß er selbst oder die Gruppe wahrnehmen, daß dahinter womöglich schlichte, aber mächtige biographische oder persönlichkeitsbedingte Strukturen stehen, die ein solches Verhalten bedingen und fördern.

2.5 Dekonversionstypen

Im Blick auf die Dekonversionsprozesse lassen sich nach dem vorliegenden Datenmaterial und aus der Perspektive qualitativer Deutekategorien zumindest drei unterschiedliche Dekonversionstypen beschreiben:

2.5.1 Konversion und Dekonversion als Durchgangsstadium eines bio-
graphischen Handlungsschemas im Rahmen individueller Sinnsuche
und Bewältigungshandelns

Der Dekonversionsprozeß - und damit auch die in dieser Gruppe erfolgte Konversion - stellt eine Zwischenstation auf dem Weg religiöser Sinnsuche dar. Diese wird - teils vom Betroffenen intentional initiiert - solange vollzogen, bis Pb einen passenden Bezugsrahmen und ein passendes religiöses Setting findet, in dem er sich zumindest mittelfristig dauerhaft beheimaten kann.

In einem solchen Kontext stellen sich Ausstiege meist relativ undramatisch dar. Zwar gehen auch diese mit Konflikten und Frustrationen einher, sie sind aber in ihrer Intensität nicht höher zu bewerten, als andere intentional eingeleitete Handlungsaktivitäten wie Trauerprozesse durch vollzogene Beziehungsabbrüche usw. Auffällig ist, daß diese Gruppe von Aussteigern ihren Ausstiegsprozeß nur teilweise, aber nicht durchgängig im Opfer-Täter-Paradigma deutet; ihnen gelang es vielmehr, diesen Prozeß weitestgehend in die eigene Biographie zu integrieren. Dies führt in der Regel zu differenzierenden Bewertungen der bisherigen Gruppenmitgliedschaft (im Sinne einer Gewinn- und Verlustrechnung). Kommt es in der argumentativen Darstellung dieser Betroffenen dennoch zu negativen paradigmatischen Einschätzungen, kann sich im gegenwärtig gültigen sozialen Umfeld z.B. eine alternative Aussteigergruppe zeigen, an welcher der Aussteiger partizipiert und zu deren Norm dieses Opfer-Täter-Paradigma gehören kann. Dieses bietet für den Biographieträger eine zunächst plausible Deuteperspektive für sein Ausstiegshandeln.

2.5.2 Dekonversion im Sinne eines "institutionellen Ablaufmusters”, in dessen
Rahmen die Anpassung der Ich-Identität an eine vom Biographieträger
nicht mehr beeinflußbare und verwandelte Gruppe als Institution
mißlingt

Als sehr dramatisch und konfliktträchtig zeigen sich Dekonversionen nach einem jahrelangen Verbleib in der Gruppe. Bestand zwischen den biographischen Strukturen des Biographieträgers und der Gruppenkultur, bzw. einem konkreten sozialen Bezugsrahmen innerhalb einer Gruppe, weitestgehende Homöostasie und damit eine hohe Passung, wurde das Ungleichgewicht und der daraus entstehende Konflikt nicht durch "Unpassungen” seitens des Biographieträgers oder durch den bisherigen Grad der Inflexibilität einer Gruppe stimuliert, sondern durch einen unvorhersehbaren und für den Verbleiber nicht aufhaltsamen Wandlungsprozeß der Gruppe selber, den der Biographieträger aufgrund seiner Konsistenz nicht mitvollziehen wollte oder aufgrund seiner spezifischen Prägung nicht mitvollziehen konnte. Die Auslösebedingungen sowie die Reaktionsmechanismen sind vergleichbar mit ähnlichen alltäglichen Prozessen (vgl. strukturell bedingte Veränderungen der Arbeitswelt mit Selektionsprozessen, denen bewährte Mitarbeiter trotz ihres jahrzehntelangen Einsatzes zum Opfer fallen). In diesem Kontext erleben sich die betroffenen Pbn sehr stark als Opfer. Die bisher vertraute Gruppe kann ihnen durch den Veränderungsprozeß nicht mehr gerecht werden. Die individuelle Symptomatik der Aussteiger kann Tendenzen aufweisen, die an eine Anpassungsstörung erinnern.

2.5.3 Dekonversion als Bestandteil eines psychopathologischen
Prozeßverlaufs

Bei deutlich wahrnehmbaren teils prämorbiden psychopathologischen Symptomen (z.B. neurotische Störungen wie Ängsten, Depressionen, ausgeprägten Minderwertigkeits- und Überwertigkeitskonflikten) verläuft der Ausstiegsprozeß konform zum pathologischen Befinden. Vielfach erschien die Gruppenkultur mit ihrem spezifischen Profil beim Erstkontakt aus der Perspektive psychopathologischer Wahrnehmungsverzerrung des Pb als Anbieter von Konfliktlösungen. Oder Pb hoffte, daß die Gruppe ihm katalysatorisch bei der Bewältigung seiner spezifischen Defizite oder Störungen helfen würde. Die Wahrnehmungsverzerrung auf Seiten des Konvertiten kann durch einen korrespondierenden Mangel an Realitätsbezug in der Gruppenkultur bestärkt werden, z.B. überzogene Vorstellungen von durch den Glauben möglichen Charakteränderungen, von Glaubensheilungen usw.

Doch wie im Rahmen alltäglicher Prozesse verzerrte Wahrnehmungsmuster mit der tatsächlichen Realität konfrontiert werden und sich Chancen zur Korrektur bieten, sind solche Vorgänge auch in den Interaktionen des Pb mit seiner religiösen Gruppe feststellbar. Eskalieren diese ohnehin bestehenden prämorbiden psychischen Konflikte aufgrund einer höheren Vulnerabilität, darf dies nicht nur einem rigiden Gruppenmilieu zugeschrieben werden, zumal es in derselben Gruppe gleichzeitig und unabhängig von den Konfliktlagen mit der Außenwelt zu hilfreichen Interaktionen zwischen dem Individuum und der Gruppe kommen kann, die zur Bewältigung einer persönlichen Lebenskrise beitragen. Es ist von einem Beziehungsverhältnis auszugehen, in welchem auch der Konvertit Verantwortung für sein Verhalten trägt, durch das er auf die durchaus bestehenden Veränderungs- bzw. Hilfsangebote der Gruppe eingeht oder nicht. Diese "therapeutischen” Effekte entsprechen oftmals einem Handeln aufgrund eines gesunden Menschenverstandes wie es sich auch in beliebigen anderen Alltagserfahrungen zeigen kann. Allerdings konnte auch beobachtet werden, daß ein spezifisches christliches Paradigma (z.B. Gott muß heilen) "sinnvolle” Handlungsweisen im Sinne eines "gesunden Menschenverstandes” gerade in der Begegnung mit psychisch gestörten Menschen verhindert. Es fehlen häufig klar erkennbare Bewältigungsstrategien (Coping) und entsprechende Handlungskompetenzen.

Dieser Zusammenhang verpflichtet die Diagnostik, nicht nur anamnestisch, sondern auch stark biographisch Strukturen zu erheben. Dekonversionen in diesem Kontext zeigen sich konfliktreich und teilweise dramatisch, wobei diese Dramatik oftmals vor allem mit dem vorhandenen psychischen Gesamtzustand der Persönlichkeit zu tun haben kann, selbst dann, wenn die religiös enge oder inflexible Gruppe als unmittelbarer Stimulus fungiert.

2.6 Zusammenfassende Bemerkungen zum Persönlichkeitsstrukturtest (PST)

Von allen tangierten Gemeinden stellt sich die A-Gemeinde in ihrer Gruppenkultur, d.h. in ihren Erwartungen an das einzelne Mitglied, in ihrem Werte- und Normsystem, in den intensiven Interaktionsprozessen, in der Struktur und im Ablauf von religiösen Erfahrungen am profiliertesten dar. D.h., daß A-Gemeinde eine eindeutige und spezielle Angebots- und Verhaltensstruktur zeigt, zu der sie ihre Mitglieder anleitet und auch die Details dieses Verhaltens einfordert. Im Blick auf die Aussteiger aus der A-Gemeinde ist zu sagen, daß sie in einzelnen Wesenszügen, jedoch eklatant in der Grundstruktur von den für diese Gemeinde typischen Persönlichkeitsprofilen abweichen.

Diese Beobachtung läßt vermuten, daß bei einem spezifiziertem Angebotsprofil einer Gruppe die Interessenten ebenso spezifische Merkmale aufweisen müssen. Damit ist ein Prinzip beschrieben, welches auch sonst in gesellschaftlichen Selektionsprozessen gilt (vgl. allein die psychologischen Eignungskriterien zur Ausübung verschiedener Berufe oder Aufgabenstellungen wie beispielsweise beim Flugzeugführer). Dies erklärt z.B. die enorm hohe Fluktuation innerhalb der A-Gemeinde. Anfängliche Begeisterung für den alternativen Glaubensstil wird alsbald mit den konkreten Erwartungen der Gruppe konfrontiert. Selbst wenn Interessenten an ihrem "Charakter” arbeiten wollen und diese Veränderungsprozesse zur Gruppenkultur gehören, ist dies nicht beliebig möglich. Es mögen sich zwar einzelne Wesenszüge und aufgrund einer hohen Veränderungsbereitschaft auch Teile der Grundstruktur an das Erwartungsprofil anpassen. Doch eine dauerhafte Veränderung der Persönlichkeitsstrukturen ist u.a. nur unter der Bedingung eines sehr hohen Leidensdrucks (wie beispielsweise in dichten ambulanten oder stationären therapeutischen Settings oder spezifischen dauerhaften beruflichen Milieus, die aus welchen Gründen auch immer nicht verlassen oder umstrukturiert werden können und vom Betroffenen Anpassungsleistungen abverlangen) möglich.

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten randkirchlichen Pbn-Gruppe bildet sich demzufolge am auffälligsten in der Grundstruktur ab. In den Wesenszügen, aber auch in der Tiefenstruktur partizipieren die Pbn dieser Gruppen an den sonst für Menschen aus allen untersuchten christlichen Milieus auffälligen Häufungen, wenngleich sich innerhalb dieser leichte Verschiebungen beobachten lassen.

Ist die Tiefenstruktur oder die Grundstruktur eines Pb stark ausgeprägt, zeigen sie sich im Rahmen des Akkulturationsprozesses als dominant. Um so passender muß sich das Angebotsprofil der Gruppe verhalten, soll dieser Akkulturationsprozeß gelingen, da sich die Grund- und Tiefenstrukturen der Pbn für Veränderungen als sehr widerständig zeigen. Im Vergleich zur Tiefenstruktur und Grundstruktur stellen sich Lebensstilaspekte im Rahmen der Konversion und der Akkulturation flexibler dar. Ein Lebensstil kann leichter in Handlungsnischen eines externen Bezugsrahmens oder gruppeninterner Strukturen ausagiert werden. Tiefenstrukturen und Grundstrukturen erfordern dagegen eine höhere Passung und können nur mit Mühe in Nischenaktivitäten beheimatet werden.

Je weniger die Tiefenstruktur vom Mittelwert abweicht, desto mehr dominieren im Konversions- und Akkulturationsprozeß andere Persönlichkeitsmerkmale, bzw. biographische Strukturen oder Lebensstilaspekte und andere Lebensthemen.

3. Ein "typischer Fall”: Frau Fischer

Durch das o.g. dynamische Passungsmodell wird es möglich, die verschiedenen biographischen und persönlichkeitsbedingten Verläufe der Pbn im Rahmen ihres Erstkontaktes zu den Gruppen, des Einstiegs, des Verbleibs oder des Ausstiegs zu verdeutlichen. Exemplarisch geschieht dies am Beispiel von Frau Fischer.

Frau Fischer ist zum Zeitpunkt des Interviews 28 Jahre alt und ledig. Sie studierte Medizin und arbeitet als Ärztin. Pb ist in der evangelischen Landeskirche aufgewachsen und konfirmiert worden. Zwar findet sie in dieser Tradition einen ersten Bezug zum Glauben, kontrastiert diesen aber zu einem bewußten praktizierten Christsein.

Die Erziehungsatmosphäre beschreibt Pb einerseits als sehr behütet und geborgen. Auf der anderen Seite erinnert sie jedoch eine strenge Erziehung, insbesondere im Vergleich zu ihrer jüngeren Schwester. Da diese jüngere Schwester sehr krank war, wurde Pb eine Mitverantwortung übertragen (Hilfe bei den Hausaufgaben, beim Aufbau des Freundeskreises, der Integration der Schwester in der Peergroup usw.). Dies empfand sie jedoch als belastend und in gewisser Weise in Konkurrenz zu ihren eigenen Bedürfnissen nach eigenständigen Außenbeziehungen zu Gleichaltrigen ohne die Schwester. Als Konfirmandin entwickelte sie eigene religiöse Interessen und machte erste eigenständige Glaubenserfahrungen durch die Mitarbeit in einer Jugendband. Sie fühlte sich mit dem Pastor ihrer Gemeinde solidarisch, der aufgrund seiner politischen Überzeugungen und seines Arbeitsstils (Durchführung von Freizeiten) nicht anerkannt wurde und unter Druck stand.

In ihrer Jugendzeit erlebte Pb durch ihre Eltern starken Druck.

· Der Vater wollte, daß sie die gleiche Ausbildung absolviert wie er.

· Die Eltern mischten sich in eine Freundschaft ein und erzwangen deren Auflösung: "da haben sie mich also auch ihn wie mich völlig unter Druck gesetzt”.

Erstkontakt und Konversion

Für die Zeit vor ihrer Konversion berichtet Pb, daß sie mit 19 ihr Studium in G-Stadt aufgenommen hat, ohne einen engeren Kontakt zu einer christlichen Gemeinde zu haben. Allerdings konnte sie mit einer Kommilitonin (evangelische Freikirche) hilfreiche Gespräche führen und fand weitere Anstöße zum Glauben. Noch mit 19 wechselte sie den Studiengang, was für sie einen ziemlichen Schock bedeutete. Aus diesem Grunde zog sie nach Großstadt und konzentrierte sich auf das Studium. Anfangs hatte sie kaum Kontakte, nur nach Hause. Schließlich suchte Pb Verbindung zu einer landeskirchlichen Gemeinschaft, wurde dort aber nicht warm. Noch während des Studiums nahm Pb partnerschaftliche Beziehungen zu zwei Nichtchristen auf, was sie insgesamt als starke Krise und als traumatisch erlebte. Einerseits suchte sie diese Kontakte. Andererseits kollidierten diese mit ihrer christlichen Ethik, da sie sich mit Nichtchristen liierte und das erste Verhältnis zugunsten des zweiten Verhältnisses abbrach (was sie aufgrund ihrer Gewissensbindung an die Bibel als "Sünde” und unmoralisch empfand). Aufgrund dieser Beziehungskollisionen konzentrierte sie sich auf den Abschluß des Studiums und nur noch auf die zweite Beziehung, trotz aller ethischen Bedenken. Als jedoch dieser Mann sie verließ, erlebte sie sich orientierungslos.

Nach dem Abbruch der Beziehung und dem Examensstreß wurde Pb eines Tages beim Warten auf die U-Bahn von einer Frau (A-Gemeinde, eine stark heiligungsorientierte Gemeinschaft) auf ihren Glauben hin angesprochen. Sie ließ sich mehrmals zu dieser Frau und in die Gottesdienste und Bibelkreise der A-Gemeinde einladen.

Sie fühlte sich von verschiedenen Punkten der A-Gemeinde angesprochen:

· die menschlichen Beziehungen (gleichaltrige Mitglieder, teilweise gemeinsame Interessen)

· die Leute waren unternehmungslustig, was bei aller Planung dieser Aktionen für Pb attraktiv wirkte

· Pb fand Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn des Lebens

Etwa ein halbes Jahr lang besuchte sie vermehrt die Veranstaltungen der A-Gemeinde. Machte dann aber "einen großen Bogen” um sie und verzog nach Übersee gegen den Willen der Leiter, da Pb noch kein Mitglied geworden war. Im Rahmen eines zweimonatigen Praktikums in Übersee besuchte sie auch dort die A-Gemeinde. Die engeren Kontakte zu diesen Menschen sowie insbesondere die Begegnung mit einer Frau, die ein bestimmtes Bibelwort zitierte und erklärte, halfen ihr, ihren Glauben wieder aufzunehmen: "Diese Worte rührten mich an und mir wurde klar, wie großartig diese Verheißung ist und daß sie auch für mich bestimmt ist. Zurückblickend beschreibt Pb die spezifische Wirkung der A-Gemeinde auf ihre Lebenssituation damit, daß sie sich so weit von Gott entfernt glaubte, daß sie sich "von einer ‚gemäßigten' Gemeinde nicht angezogen gefühlt hätte, es mußte vielleicht etwas Extremes und sehr Lebendiges kommen, damit ich überhaupt zu Gott finden konnte”.

Zum Ausstieg

Noch während ihres Überseeaufenthaltes löste sich Pb von dieser A-Gemeinde. Schon in Großstadt fiel ihr der Druck in dieser Gemeinde auf. Weiter gewann sie den Eindruck, als wolle man sie "ködern”. Sie stieß sich daran, daß die eingesetzten Menschen Autorität beanspruchten, die sie aufgrund ihrer Inkompetenz nicht verdienten. Außerdem ärgerte sie sich über die starke Kontrolle (Anrufe bei fehlender Präsenz). Sie lehnte den Absolutheitsanspruch der A-Gemeinde ab. Irritiert haben sie auch das starke Drängen zum Eintritt, der mit Taufe verbunden war, die Kritik der Gruppe an ihrem Plan, nach Übersee zu gehen (Unterstellung von egoistischen Motiven), wovon sie sich jedoch nicht abbringen ließ. In der A-Gemeinde in Übersee nahm Pb zwar wahr, daß diese etwas freier war. Allerdings machte sie ähnliche Druckerfahrungen und erlebte eine starke Hierarchie.

· Als ein Leiter bei einer Freizeitveranstaltung zu spät kam, wartete die Gruppe anderthalb Stunden und war nicht zu einer Revision des ursprünglichen Planes ohne den Leiter bereit. Als dieser dann doch noch kam, gab es keine Entschuldigung.

· Stark hat sie ein persönlicher Bericht einer 17 jährigen Frau berührt, die wohl in der A-Gemeinde aufgewachsen war, dort ausbrechen wollte, aber schließlich aufgrund eines starken Drucks seitens der Eltern und der Gemeinde reintegriert wurde.

· Ein weiterer Grund für ihre Entscheidung zum Ausstieg war die Erwartung, daß jeder, der eine zeitlang in der A-Gemeinde war, auf der Straße "Menschen fischen” sollte, gleich, ob dies den Betreffenden lag oder nicht.

Neuorientierung

Der Ausstieg aus der A-Gemeinde bedeutete für Pb nicht die Aufgabe ihrer religiösen Orientierung, sondern die Suche nach einer anderen Gemeinde, was sie nach ihrer Rückkehr aus Übersee sofort tat. Sie wollte Menschen treffen, die die Bibel ernst nehmen, die liebevoll sind und bei denen sie sich geborgen fühlen konnte. Schon in der A-Gemeinde hatte Pb geschätzt, daß man eingeladen und überallhin mitgenommen wurde, daß man Kontakt fand und persönlich angesprochen wurde. Über eine Arbeitskollegin stieß Pb schließlich zur einer evangelikalen freikirchlichen B-Gemeinde, schloß sich dort an und arbeitet dort mit.

Lebensthemen und biographische Strukturen

"Druckerfahrungen” als Lebensthema

In einem Brief, den sie nach dem Interview an den Autor schrieb, berichtet Pb davon, wie diese Begegnung bei ihr weitere Reflexionsprozesse in Gang gesetzt habe. Gerade bei der Frage nach Lebensphasen, in denen vergleichbar zur A-Gemeinde ähnliche "Druck”-Situationen auftraten, resümiert sie: "Mir ist aber durch das Interview bewußt geworden, wie häufig und intensiv Druck in meinem Leben eine Rolle gespielt hat und auch noch spielt. Ich neige dazu, mich selber unter Druck zu setzen oder mich unter Druck setzen zu lassen. Daran möchte ich zukünftig arbeiten.”

Druckerfahrung und daraus sich ergebende Verhaltensreaktionen und Interaktionsmuster stellen eine markante erfahrungsdominante Struktur dar, deren Transformation in den unterschiedlichen Lebensphasen deutlich erkennbar ist (s.o.).

Z.B. in der Adoleszenz

Im Rahmen ihrer Argumentation für den Ausstieg aus A-Gemeinde in Übersee, erzählte Pb eine erhellende Situation (s.o.): den Bericht einer 17 jährigen Frau, die aufgrund des starken Drucks durch die Eltern und die A-Gemeinde in Übersee den Ausstieg nicht schaffte, sondern reintegriert wurde. Der Text läßt den Schluß zu, daß Pb hier den Mechanismen starker Übertragung folgte. Offensichtlich erinnerte diese junge Frau die Pb an ihre eigene Drucksituation aufgrund der elterlichen Einmischung in die Frage der Berufswahl und der eingegangenen ersten Liebesbeziehung. So empfand Pb für jene Erzählerin ein tiefes Mitgefühl: "also sie .. setzten mich (die 17 Jährige, Vf) eben unter Druck' .. also ihre Eltern (atmet laut aus) .. und äh .. sie hat es dann eben nicht geschafft rauszukommen', und ist dann wieder- also voll integriert worden .. in die Gemeinde.(sehr leise)”. Wie an anderen Stellen des Interviews signalisiert das heftige oder laute Ausatmen deutlich wahrnehmbare innere Erregung und Spannung. So läuft der Spannungsbogen dieses Satzes exakt parallel zur eigenen Lebensgeschichte: Der Versuch, sich gegen den elterlichen Willen durchzusetzen, das Nachgeben, schließlich das Hinnehmen und die Frustration des eigenen Scheiterns. Pb deutet diesen Vorgang vor der Folie des eigenen biographischen Prozesses bis in die Intonation des Satzes und mit unübersehbaren körpersprachlichen Signalen des innerlichen Mitleidens als problematisch. In ihrer Erzählung durchlebt Pb ihre eigene Adoleszenzkrise nach.

Gab Pb bei der Berufswahl dem elterlichen Druck nach, fand sie hinsichtlich ihrer Beziehungswünsche einen Ausweg aus dem elterlichen Drucksystem, indem sie die bereits erwähnten Beziehungen einging.

In der B-Gemeinde

Die Umbruchsituation der evangelikalen B-Gemeinde (Aufbau einer Tochtergemeinde) führt zu einer starken zeitlichen und kräftemäßigen Beanspruchung der Pb. Allerdings bewältigt sie diesen Druck, indem sie die Perspektiven der anderen übernimmt, die ebenso unter Druck stehen und zu denen sie selbst solidarisch handeln will. Zum anderen sieht sie auch ein Ende dieses Zustandes, indem sich immer mehr Menschen in dieser B-Gemeinde beheimaten und sich die Lasten verteilen.

Fazit zum Problemkreis "Druck”:

Auf Druck jeder Art reagiert Pb höchst sensibel und abwehrend. Es gibt allerdings Druckerfahrungen, die Pb kognitiv zuordnen und demzufolge in das eigene Verhalten und Erleben integrieren kann. Dann fungieren Streßsituationen aufgrund eigener Normen, Erwartungshaltungen oder "objektiver” Notlagen im sozialen Beziehungsfeld als "Eustreß”, d.h. als Anregung, das Unausweichliche zu tragen und anzunehmen.

Lebensthema: "Gabenorientiert” leben

Der Wunsch der Pb ist es, nach ihren Gaben zu leben. Damit meint sie, daß eine Gemeinde darauf achten soll, was ihre jeweiligen Mitglieder an Kompetenzen und Fähigkeiten einbringen. Pb sieht für sich nicht die "Gabe” des "Evangelisierens” und erlebte von daher die Forderung der A-Gemeinde als sehr schwierig. "So bin ich einfach nicht vom Wesen' also das .. kann ich irgendwie nicht' .. so, ich kann gut und gerne mit der Musik; das fällt mir ganz leicht', aber .. jetzt nicht so unbedingt in Worten. Jetzt in- .. daß ich (atmet tief durch) jetzt .. mich ja, .. vor andern jetzt da äh .. erzähle”. Ihr beständiger Wunsch bleibt es, in einer Gemeinde beheimatet zu sein, in die sie von ihren Gaben her "hineinpaßt”.

Lebensthema: Umgang mit Macht und Bestimmen

Um die Interaktionsprozesse mit Mitgliedern der A-Gemeinde und den Ausstiegsprozeß hinreichend erfassen zu können, ist es notwendig, sich auch die Geschwisterrolle einer Erstgeborenen, die dazu hin noch ausdrücklich elterliche Verantwortung zugewiesen bekam (s.o.), zu verdeutlichen. Der Interviewtext läßt klar erkennen, wie die erlernte dominante Rolle einer Erstgeborenen mit den Versuchen gleichaltriger Gruppenmitglieder der A-Gemeinde, die Verhaltensweisen und Denkweisen der Pb zu bestimmen, kollidiert. Vor allem dann, wenn in solchen Interaktionen nicht Echtheit vorherrscht, sondern für Pb durchschaubare und auf Macht gerichtete Kommunikationsprozesse im Vordergrund stehen, die primär auf Gehorsam abzielen.

Persönlichkeitsbedingte Strukturen

Sachorientierung (Wesenszug)

Diese Tendenz trat im Interviewtext sehr offensichtlich zu Tage und stellt zusammen mit der Introversion der Grundstruktur einen wichtigen Grund dafür dar, daß Pb in der A-Gemeinde nicht verblieben ist. Der ganze Gemeinde- und Glaubensstil der A-Gemeinde ist auf intensive Kontaktnahme gerichtet. Kam dies der leichten Warmherzigkeit womöglich entgegen, kollidierte der Erwartungsdruck der A-Gemeinde an dieser Stelle ganz eindeutig mit den Möglichkeiten der Pb.

Selbstbehauptung (Wesenszug)

Die leicht überdurchschnittliche Tendenz zur Selbstbehauptung gehört zur biographischen Erfahrung der Pb. So stand Pb unter moralischem Druck, als ihr seitens der A-Gemeinde der Wunsch, nach Übersee zu gehen, als Egoismus ausgelegt wurde. Dennoch vermochte sie sich durchzusetzen. Auch in anderen Situationen widersprach Pb der Gruppennorm.

Introversion (Grundstruktur)

Im Bereich der Grundstruktur bestätigte sich im Rahmen der Auseinandersetzung mit der A-Gemeinde die leichte Tendenz der Pb zur Introversion. Mehrfach kam es zu Kollisionen:

· Wie alle Mitglieder der Gemeinde sollte Pb missionarisch auf der Straße tätig werden. Dies kollidierte sehr stark mit ihren "Gaben” (s.o.).

· Ein Grund für die erfolgreiche Akkulturation in der B-Gemeinde lag in dem Umstand, daß diese Gruppe die Pb mit ihren "Gaben” akzeptiert hat und dies zu einer relativ starken Passung führte.

· Pb unterscheidet sich selbst nachdrücklich auch von anderen Mitgliedern der B-Gemeinde, die beispielsweise eher enthusiastisch nach außen gehen und sich in aller Öffentlichkeit betend, singend oder handelnd darstellen können, während sie selbst sich Aufgaben widmet, in denen sie sich kontrollierter verhalten kann.

Einzelheiten des PST für Frau Fischer:

Die Offenheitsskala zeigt, daß Pb zwar eine leichte Tendenz in Richtung verschlossen, bzw. sozial erwünscht zeigt, das Ergebnis (4) aber dennoch die Testauswertung ohne Einschränkung zuläßt.

Bei den WZ ist allein das abstrakte Denken auf dem 4% Niveau. Deutliche Tendenzen gibt es nur noch bei der Unkonventionalität (8), der Unbefangenheit (3) und der inneren Gespanntheit (8).

In der Grundstruktur ist Pb etwas im Quadranten Introvertiert-Stabil (4/4). Die Tatsache, daß Pb in den WZ eine leichte Tendenz zur Sachorientierung zeigt, könnte dafür sprechen, daß sie in der GS bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 womöglich noch stärker in Richtung der Introversion neigt, was sich in den Analysen des Interviews bestätigt hat. Was sich hier in den WZ und der GS als kongruent erweist, ist in der TS leicht gegenläufig. Es zeigen sich leichte warmherzige Anteile (6). Der durchschnittliche Summenwert auf der U-Achse (32) führt Pb von 1,5 korrekt bis 6,5 unkonventionell. Dies bedeutet, daß Pb neben ausgeprägten korrekten Anteilen auch deutlich unkonventionelle Verhaltensweisen im Sinne der TS offenbaren kann. Insgesamt sind die Ergebnisse der TS jedoch als mittelwertig (Warmherzigkeit 6 / Korrekt 4) zu interpretieren, so daß allenfalls von leichten Tendenzen gesprochen werden kann, zumal der Summenwert auf der W-Achse relativ niedrig ausfällt.

Bei den sozialen Orientierungen ergibt sich die folgende Gegenüberstellung:

WZ: Sachorientierung (leichte Tendenz, 4)

GS: Introvertiert (leichte Tendenz, 4)

TS: Warmherzig (leichte Tendenz, 6)

 

Die Zusammenhänge zwischen der TS und den WZ, soweit sie auffällig sind, lassen sich wie folgt darstellen:

TS: Sachlich

TS: leicht warmherzig (6)

Sachorientiert (leichte Tendenz, 4)

Selbstbehauptung (leichte Tendenz, 7)

Vertrauensbereitschaft (leichte Tendenz, 4)

Unbefangenheit (deutliche Tendenz, 3)


Von den sechs möglichen Zusammenhängen zur W-Achse zeigen nur zwei eine leichte gegenläufige Tendenz (Sachorientiert und Selbstbehauptung), während die Vertrauensbereitschaft und die Unbefangenheit der WZ die leichte Warmherzigkeit bestätigen.

Die Zusammenhänge zwischen der U-Achse und den WZ ergeben folgende Gegenüberstellung:

TS: leicht korrekt (4)

TS: Unkonventionell

Unkonventionalität (deutliche Tendenz, 8)

Selbstvertrauen (leichte Tendenz, 4)


Nur zwei der in Frage kommenden sechs möglichen Zusammenhänge zeigen relevante, und zwar zur leichten Korrektheit gegenläufigen Werte: Die deutliche Tendenz zur Unkonventionalität in den WZ und die leichte Tendenz zum Selbstvertrauen.

Diese Darstellungen lassen den Schluß zu, daß Pb nach außen hin vermutlich stärker sachbezogen, sich selbst vertrauend, durchsetzungsfähig und unkonventionell wirkt oder sich so darstellen will (vgl. Offenheitsskala, 4), als dies ihren Bedürfnissen aus der TS entspricht. Als mögliche Ursache können hierbei entsprechende Lebensstilüberzeugungen oder andere biographische Strukturen vermutet werden.

Allerdings muß nochmals betont werden, daß die meisten Werte im Mittelbereich liegen, d.h., daß Pb von ihrer Persönlichkeitsstruktur her eher einem mittleren Maß folgt und sich vor diesem Hintergrund nur wenig von der Normalpopulation unterscheidet.

Zusammenfassung

Der vorliegende biographische Verlauf vor dem Hintergrund von Einstieg und Ausstieg in religiöse Gruppen wird nachhaltig durch mindestens drei Strukturen und Lebensthemen dominiert:

· Kritische Auseinandersetzung mit Pbn einengenden Drucksituationen, deren Vermeidung und Eliminierung.

· Vermeidung von Aktivitäten, die den Introversionsbedürfnissen entgegenstehen.

· Konfliktlagen aufgrund der Inanspruchnahme oder der Ausübung von Macht insbesondere durch Peers gegenüber der Pb oder anderen, ohne daß Pb als Subjekt beteiligt ist.

Es ist festzuhalten, daß das spezifische Angebotsprofil der A-Gemeinde eine katalysatorische Wirkung auf die Bewältigung einer akzidentiellen Lebenskrise der Pb hatte, ohne daß der Akkulturationsprozeß in diese Gemeinde zum Abschluß kam. Sowohl das Einlassen auf das Angebot der A-Gemeinde als auch der Ausstieg aus dieser Gruppe hatte "heilende”, therapeutische Effekte für Pb.

Der Persönlichkeitsstrukturtest konnte durch seine internen Korrelationen trotz der überwiegend mittleren Werte auf einen im Datenmaterial relevant gewordenen Aspekt hinweisen. Es zeigte sich die latente Struktur eines eher sachbezogenen bzw. introvertierten Verhaltens, welches in die verschiedenen Lebensphasen transformiert wurde.

Die Analysen machten auch deutlich, daß im vorliegenden Fall im Vergleich zu sonstigen religiösen Gruppen zwar eine Tendenz zu spezifischen Gruppendynamiken oder manipulativen Interaktionsmustern beim Erstkontakt und den weiteren biographischen Entwicklungen zu finden ist, insgesamt jedoch der Eigenanteil der Pb beim Einstieg und Ausstieg deutlich überwiegt.

Im Interaktionsprozeß zwischen der Pb und der A-Gemeinde wurde sichtbar, daß das spezifische Angebotsprofil eine nur ungenügende Passung seitens der Pb fand. Zwar war es ihr möglich, einen konkreten Lebenskonflikt im Rahmen des Erstkontaktes und der anfänglichen Akkulturation konstruktiv zu bearbeiten. Sie profitierte auch spirituell zumindest von der A-Gemeinde in Übersee. Doch gelang es ihr nicht, dominante biographische und persönlichkeitsbedingte Strukturen, bzw. Lebensthemen im Milieu der A-Gemeinde zur Passung und damit zur Beheimatung zu bringen. Dies zog zwangsläufig den Ausstieg aus der A-Gemeinde und den Einstieg in eine neue Gemeinde, zu der sie paßt, nach sich.

4. Zusammenfassung

(1) Menschen, die bewußt in randkirchliche Gruppen, in etablierte Freikirchen oder Landeskirchen einsteigen, dort verbleiben oder aber solche Milieus wieder verlassen, scheinen dabei sehr stark von biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen und Lebensthemen bestimmt zu werden. Diese Strukturen und Lebensthemen werden sowohl in qualitativen Interviews als auch in psychologischen Persönlichkeitstests sichtbar.

Beispiele für solche Strukturen oder Lebensthemen: Warmherzigkeit - kann ein schon seit der Jugendzeit bestehender hoher Altruismus auch in der Gruppe gelebt werden? Lebensziel Familie - bietet die Gruppe das Forum, um z.B. dieses Lebensziel mit sozialer Unterstützung und Kontrolle wagen zu können? Korrektheit - findet der Pb im Milieu der Gruppe klar strukturierte Normen und Werte, durch die er sein Verhalten überprüfen kann?

(2) Bei den Konversions-, Karriere- und Dekonversionsprozessen zeigte sich, daß von mehreren konstanten Faktoren im Sinne eines dynamischen Passungsmodells ausgegangen werden muß: Der Enge / Inflexibilität vs. Weite / Flexibilität einer spezifischen Gruppe einerseits und der niedrigen vs. hohen Passung des Konvertiten andererseits. Je inflexibler das Profil einer Gemeinschaft ist und je mehr sie darauf besteht, daß jedes Mitglied z.B. ähnlich handelt, denkt und fühlt, desto mehr müssen in Bezug auf den Konvertiten dessen Strukturen und Lebensthemen passen. Wenn einzelne, weniger dominante Strukturen keine Passung zum Gemeindeprofil finden, entscheidet über den dauerhaften Verbleib offenbar die Frage, ob für diese Strukturen intern oder extern "Nischenplätze” gefunden werden können oder nicht.

Ein Beispiel: Die Gruppenkultur fordert wöchentlich drei straßenmissionarische Einsätze von ihrem Mitglied. Der Betroffene ist jedoch aufgrund seiner starken Introversion und Sachlichkeit nicht in der Lage, ein solches Verhalten dauerhaft durchzuhalten. Er profitiert aber persönlich aufgrund seiner starken Minderwertigkeitsgefühle von der Exklusivität der Gruppe. Dann scheint ein Verbleib nur in dem Fall zu gelingen, wenn er für seine starken Rückzugsbedürfnisse aufgrund der Introversion und Sachlichkeit eine Nische findet, z.B. in der Funktion als verantwortlicher Mitarbeiter in der Technik, was ihm den unmittelbaren Kontakt zu fremden Menschen erspart.

(3) Auffällig war die Beobachtung, daß es bei einzelnen Pbn in allen Pbn-Gruppen mehrfache Einstiegs- und Ausstiegsverläufe gab. D.h., diese Personen waren vor dem Hintergrund ihrer biographischen und persönlichkeitsbedingten Strukturen auf der Suche nach einer möglichst hohen Passung. In diesem Rahmen erscheint ein Ausstieg jeweils relativ undramatisch. Der oft kurzzeitige Verbleib (wenige Monate bis ca. zwei Jahre) und sogar die Ausstiegserfahrungen werden in der Regel in die eigene Biographie konstruktiv integriert. Pbn scheinen bei solchen Verläufen zu experimentieren, bis sie in einer bestimmten Gruppe eine möglichst befriedigende Passung erleben.

Beispiel: Bereits nach wenigen Monaten erkannte ein Pb, daß die randkirchliche Gruppe nicht der passende Platz für ihn darstellte. Allerdings genoß er es als Quasi-Verbleiber, die verantwortliche Elite mit eher häretischen, von der Gruppenideologie abweichenden Gedanken zu konfrontieren und in diesem Beziehungsverhältnis eine exklusive Sonderrolle einzunehmen. Nach ca. einem Jahr beendete er seinen "Test” und verließ die Gruppe endgültig. In der anschließenden Aussteigergruppe erschien er offenbar als einer, der die ehemalige Gruppe ziemlich genau durchschaut und sie souverän getestet hat. Dadurch nahm er erneut eine beeindruckende Sonderrolle ein und transformierte damit sein auffälliges Lebensthema starker Überwertigkeit und der religiösen Sinnsuche.

(4) Soweit dies mit den in dieser Untersuchung angewandten Methoden und bei den tangierten randkirchlichen Gemeinschaften sichtbar werden konnte, sind die beobachtbaren gruppeninternen Konflikte im Rahmen von Ausstiegsprozessen und manipulative Gruppendynamiken z.B. beim Erstkontakt oder dem Akkulturationsprozeß prinzipiell keine anderen als in vielen alltäglichen sozialen Situationen. Beziehungskonflikte gibt es auch in Familien und in der Abhängigkeit von rigiden Arbeitgebern. Komplizierte und traumatische Trennungsprozesse von Ehepaaren scheinen ähnliche Spuren zu hinterlassen wie belastende Ausstiege aus randkirchlichen Gruppen. So scheinen für die Frage des Einstiegs, des Verbleibs oder des Ausstiegs in randkirchlichen Gemeinschaften manipulative Techniken eher sekundär zu sein.

Beispiel: In kurz aufeinander folgenden Sequenzen berichtet ein Pb einerseits von dem hohen Prestigegewinn durch die Exklusivität der Gruppe und durch seine Zugehörigkeit zu deren Elite. Andererseits stellt er nach dem schmerzvollen und über mehrere Monate andauernden Ausstiegsprozeß seinen Jahre zurückliegenden Einstieg als manipulativ dar ("gefischt” oder "gefangen” werden). Selbstverständlich sind solche manipulativen Methoden bei der Akquirierung von Mitgliedern (wie auch bei zweifelhaften oder unmoralischen Anwerbungen von Kunden im Alltagsleben) beobachtbar. Aber Pb nahm diese zugunsten des erwarteten und über mehrere Jahre erhaltenen Gewinns zustimmend in Kauf.

(5) Man kann nach den vorliegenden Analysen und aus der Perspektive der Pbn nicht prinzipiell von einer "radikalen” oder "gefährlichen” Gruppe sprechen, selbst dann nicht, wenn zweifelsfrei beschwerliche und problematische gruppeninterne oder externe Konflikte bestehen. In allen tangierten Pbn-Gruppen waren sowohl gruppeninterne, traumatische Konflikte zwischen dem Individuum und der Gruppe als auch heilsame und geradezu therapeutische Interaktionsprozesse und zwar auf allen Ebenen des Einstiegs, des Verbleibs und des Ausstiegs beobachtbar. Über die Frage, ob und wie diese Begegnungen traumatisch und konfliktträchtig oder heilsam und im Sinne einer Progression verlaufen, entscheidet vielmehr das Ausmaß der Passung zwischen dem Gruppenprofil und den Strukturen und Lebensthemen seitens des Konvertiten.

Beispiele: Auf der einen Seite war zu beobachten, daß ein spezifisches randkirchliches Gruppenmilieu als Auslösebedingung für eine psychische Krise - allerdings aufgrund einer hohen prämorbiden Vulnerabilität - fungierte und psychische Auffälligkeiten im Rahmen des Akkulturations- und Ausstiegsprozesses eskalierten. Andererseits bot dieses rigide Erwartungsprofil der Gemeinde für andere Pbn das Setting, in dem sie spezifische Störungen überwinden konnten (z.B. soziale Ängste durch kognitiv-therapeutische Aspekte: Du kannst das! Gott macht Dich stark! Vertraue und handle! etc.).

(6) Nach der Kontrastierung ist davon auszugehen, daß die Menschen in allen drei Pbn-Gruppen (Einsteiger, Aussteiger, Kontrollgruppe) vor dem Hintergrund der prinzipiellen Wirksamkeit dominanter biographischer oder persönlichkeitsbedingter Strukturen und Lebensthemen nicht zu unterscheiden sind. Es gibt nach den vorliegenden Daten keine typische "Sektenbiographie” oder "Sektenpersönlichkeit”. Somit ist es aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zwar formal richtig, von sogenannten Einsteigern, Verbleibern und Aussteigern in randkirchlichen Gruppen zu sprechen. Inhaltlich ist diese statische Beschreibung jedoch problematisch und bildet die soziale Wirklichkeit nur unzureichend ab. Im Grunde ist - und hiervon bleiben religiöse, kirchliche oder andere gesellschaftliche Perspektiven unberührt - aus dieser Perspektive auch der Begriff "Sekte” für die tangierten randkirchlichen Gemeinschaften eher problematisch und wird der sozialen Wirklichkeit der einzelnen Individuen nur unzureichend gerecht.

(7) Am Ende dieser Betrachtungen drängt sich eine Konsequenz für die Begegnung mit Verbleibern und v.a. mit Aussteigern auf: Jede Form der Beratung sollte zuerst ganzheitlich, d.h. auch unter Einbeziehung biographischer und persönlichkeitsbedingter Strukturen und Lebensthemen sowie religiöser Fragestellungen, diagnostizieren und dann erst therapeutisch helfen. Eine ganzheitliche, für alle Lebensbereiche offene Beratung ist günstiger als ein Hilfsangebot, das sich fast ausschließlich auf die unmittelbaren Gruppenerfahrungen fixiert. Nur so wird es möglich sein, unter Absehung persönlicher oder gesellschaftlicher Stereotypen oder Projektionen gegenüber randkirchlichen Gruppen im Sinne der sozialen und biographischen Wirklichkeit zu beraten und zu begleiten.




Literatur:

An dieser Stelle sei auf folgende Publikationen hingewiesen:

Dieterich, M.: Persönlichkeitsdiagnostik. Theorie und Praxis in ganzheitlicher Sicht. Wuppertal und Zürich, 1997.

Eggert, D.: Eysenck-Persönlichkeits-Inventar E-P-I. Göttingen 1983.

Fahrenberg, J. u.a.: Das Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI. Göttingen 1983.

Riemann, F.: Grundformen der Angst. München und Basel 1982.

Schneewind, A.; Schröder, G.; Catell, E.B.: Der 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test (16PF). Bern, Stuttgart, Wien 1986.

Strauss, A. L.: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen und soziologischen Forschung. Aus dem Amerikanischen von A. Hildenbrand und einem Vorwort von B. Hildenbrand. UTB 1776) München 1994.

Zinser, H.; Schwarz, G.; Remus, B.: Psychologische Aspekte neuer Formen der Religiosität. In: Veröffentlichungen am Religionswissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin. Empirische Studien Band 1. Medienverlag Köhler, Tübingen 1997.

III. Teilprojekt "Biographieverläufe in christlich-fundamentalistischen Milieus
und Organisationen"

Prof. Dr. Heinz Streib, Universität Bielefeld

In diesem Forschungsprojekt, das an der Universität Bielefeld als Drittmittelprojekt etabliert wurde, wurden kontrastive Analysen über Biographieverläufe erarbeitet, d.h. den Einstiegsprozeß, den Verbleib und den Ausstiegsprozeß in bzw. aus christlich-fundamentalistischen Milieus und Organisationen untersucht. Aus einem Pool von 22 geführten Interviews wurden in einem ersten Selektionsprozeß 12 ausgewählt und transkribiert, um diese nach rekonstruktiv-hermeneutischen Methoden für die qualitative Interpretation narrativer Interviews zu analysieren und kontrastiv zu vergleichen. Die analytische Aufmerksamkeit war dabei gerichtet auf die Beziehung zwischen der 'religiösen Karriere' und der Biographie 'rückwärts' (motivationale Bedingungen des Einstiegs und der Zugehörigkeit) und 'vorwärts' (biographische Folgen zwischen Transformation, Sistierung und Dekompensation) und dabei besonders fokussiert auf die Veränderung und Kontinuität der Persönlichkeit, der Lebenszufriedenheit, der Handlungsfähigkeit, der Identität angesichts möglicherweise tiefgreifender Konversions- und Transformationsprozesse des Einstiegs, des Verbleibens und ggf. des Ausstiegs.

Die nun folgende Zusammenfassung der Ergebnisse stützt sich auf die einzelnen Fallanalysen, die zum Verständnis der Ergebnisse vorauszusetzen wären, hier aus Platzgründen leider nicht vorgestellt werden können.

Als eines ihrer wichtigsten Ergebnisse zielt qualitative empirische Forschung, die mit narrativen Interviews arbeitet, auf eine Typisierung der Biographieverläufe. Diese ergibt sich aus dem kontrastiven Vergleich der Fälle. Bei der Analyse der Interviews haben wir, wie dies auch die eben skizzierte Fokussierung der analytischen Aufmerksamkeit nahelegt, auf drei Ebenen oder Dimensionen geachtet:

· auf die Dimension der Zugangs- und Adaptionsweisen (Dimension )

· auf die Dimension der biographischen Folgeprozesse und Bearbeitungsweisen (Dimension ) und

· auf die Dimension der motivational-biographischen Bedingungen (Dimension ).

Die Typisierung, die in unseren Untersuchungen christlich-fundamentalistischer Biographien im Mittelpunkt steht und drei elementare Typen unterscheidet, nimmt die Zugangs- und Adaptionsweisen (Dimension ) christlich-fundamentalistischer Religiosität zum zentralen Ausgangspunkt und sucht dann nach typischen Relationen zu anderen Dimensionen: besonders zur Dimension der biographischen Folgeprozesse (Dimension ), aber auch zur Dimension der motivational-biographischen Bedingungen (Dimension ).

1. Drei Typen christlich-fundamentalistischer Biographieverläufe

Wenn man bei der Lektüre der Interviews darauf achtet, wie die interviewten Personen zu ihrer jeweiligen fundamentalistisch-religiösen Orientierung gekommen sind, wie sie in ihr Milieu gefunden haben, was sie dabei geleitet hat und darauf, wie oft sie ggf. Orientierung und Milieu gewechselt haben, gewinnt man den Eindruck, daß es dabei gravierende Unterschiede gibt. Nach dem Kriterium der Zugangs- und Adaptionsweisen konnte aus dieser Beobachtung eine grundlegende Typisierung entworfen werden, nach der die einzelnen Fälle kontrastiert werden können:

A) Da ist zum ersten der traditionsgeleitete Typus (Typ A), der durch familiale oder milieubezogene mono-kulturelle Religiosität geprägt ist und seine enkulturative Einfügung als gutes Schicksal oder göttliche Fügung hinnimmt. Fallcharakteristika sind also folgende:

· Eine prägende, meist familiale, religiöse Sozialisation ist vorhanden.

· Die religiöse Sozialisation bestimmt die Zugangsweisen zu und die Adaptionsweisen an die fundamentalistische religiöse Orientierung.

· Fundamentalistisch konvertieren heißt hierbei: die überkommene Religiosität, die familial oder milieubezogen vorgängige religiöse Sozialisation, konfirmatorisch bestätigen oder intensivierend fortschreiben.

· Alternative religiöse Orientierungen kommen kaum oder nur marginal in den Blick.

· In der Regel wird man davon ausgehen dürfen, daß Ausgangspunkt für die fundamentalistische Religions-Adaption des traditionsgeleiteten Typs bereits die (zumindest subjektiv) abgeschirmte religiöse Enklave ist.

Bei diesem Typus des schicksalhaft in eine bestimmte Religion Hineinsozialisierten kann man eine weitere Unterscheidung danach vornehmen, wann in der Lebensgeschichte die schicksalhafte Enkulturation in fundamentalistische Religion stattgefunden hat. Eine frühe, familial bedingte Einfügung ist zu unterscheiden von einer in der späten Kindheit, in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter erfolgten. Weil sie nach der frühen Kindheit stattgefunden hat, muß eine solche kollektive Einfügung nicht weniger schicksalhaft sein und zur Traditionsgeleitetheit führen; dennoch wird es mit zunehmendem Alter unwahrscheinlicher, daß eine Orientierung übernommen wird, ohne daß die Wahrnehmung von Alternativen und damit der Wahlcharakter der Entscheidung deutlicher ins Blickfeld gerückt sein müßten und ernsthaft erwogen worden sind. Charakteristisch für den traditionsgeleiteten Typ ist, daß der subjektive Horizont - und auch meist der des Milieus - weitgehend geschlossen und traditionsbestimmt ist und dem Subjekt etwaige Alternativen, die es vor eine Markt- und Wahlsituation stellen würden, kaum oder gar nicht in den Blick geraten oder ausgeblendet werden.

B) Von diesem ersten traditionsgeleiteten Typ heben sich zwei weitere Typen ab, die beide als häretische oder dem Wahlzwang unterworfene Typen bezeichnet werden können. Mit 'Häresie' ist hier nicht eine Orientierung gemeint, die von der offiziell gültigen abweicht, abtrünnig wird und darum mit Sanktionen belegt werden muß, sondern im Sinne von P. Berger schlicht eine der traditionalen entgegengesetzte, moderne Adaptionsweise von Religion gemeint, die der urspünglichen Bedeutung des griechischen Wortes folgend den Zwang zur Wahl auch in Bezug auf Religion behauptet.

Die erste Variante bezeichne ich als Mono-Konvertit (Typ B). Die Fallcharakteristika des Mono-Konvertiten sind folgende:

· Eine familiale religiöse Primärsozialisation ist nicht erkennbar oder unerheblich.

· Der Mono-Konvertit ist sich der Alternativen und des Pluralismus in Sachen Religion durchaus bewußt, hat auch das eine oder andere möglicherweise wahrgenommen oder bereits geprüft.

· Der Mono-Konvertit verschreibt sich jedoch ein für allemal in seinem Leben einer bestimmten religiösen Orientierung - jedenfalls möchte er seine Entscheidung als eine solch singuläre verstehen und verstanden wissen. Konversion zu fundamentalistischer Religiosität heißt also hier: 'Entscheidung für...'.

· Konversion zu fundamentalistischer Religiosität heißt darum auch zugleich: Entscheidung gegen die bisherige religiöse Orientierung und Auffassung.

Fundamentalistische Ideologie überblendet die prinzipielle Beliebigkeit der Wahl wie die im Grunde unbestreitbare Tatsache, daß die Orientierung der eigenen fundamentalistischen Gruppe nur eine Variante im pluralistischen Angebot der Religionen ist. Diese Überblendung geschieht durch eine autoritative Überhöhung der eigenen Orientierung, die durch Theorien der Wörtlichkeit, etwa der Verbalinspiration, eine Absolutheit beansprucht, die moderne Natur- und Geisteswissenschaft - und damit besonders auch die Theologie - weit in den Schatten stellt. Daher ist es verständlich, daß auch der fundamentalistische Mono-Konvertit den Wahlcharakter seiner Entscheidung bald verdrängt und sich der Meinung hingibt, daß die eben erworbene die einzig wahre Religion sei.

C) Der dritte Typ fundamentalistischen Biographieverlaufs hebt sich kontrastiv von den anderen beiden Typen ab: der akkumulative Häretiker (Typ C). Über den häretischen Zugangs- und Adaptionsmodus des Mono-Konvertiten geht dieser leicht unterscheidbar darüber hinaus, daß die Wahl nicht nur auf eine religiöse Orientierung fällt. Daran, was hier 'Wahl' heißt, kann der Unterschied expliziert werden: Im Fall des Mono-Konvertiten wird diese Wahlentscheidung als mono-direktionale, mono-kulturelle und einmalige aufgefaßt, als Entscheidung für ein bestimmtes, eher geschlossenes und viele Lebensbereiche bestimmendes Religionssystem; im Fall des akkumulativen Häretikers wird 'Wahl' - auch vom Individuum selbst - als Auswahl verstanden und außerdem meist als selektive Auswahl, die also bei weitem nicht alle zu einer Religionstradition gehörende Details übernehmen muß. Als Fallcharakteristika können die folgenden genannt werden:

· Der akkumulative Häretiker begibt sich von einem religiös-spirituellen Milieu ins nächste und kann dabei auch verschiedenste Initiationsrituale vollziehen.

· Konversion bedeutet Aufnahmeritus, Initiationsritual in eine bestimmte religiöse Orientierung, die durchaus auch mehrfach vollzogen werden kann.

· Kognitive Widersprüche zwischen diesen verschiedenen Religionstraditionen werden wenig wahr-, zumindest nicht sehr ernst genommen.

· Offene religiöse Milieus werden bevorzugt.

· Familiale religiöse Sozialisation ist unerheblich und in der Regel nicht erkennbar.

Der akkumulative Häretiker kann in seinem Adaptionsprozeß verschiedenste religiöse und spirituelle Traditionen zugleich akzeptieren oder 'beleihen' - und er tut dies unter Vernachlässigung kognitiver, theologischer, dogmatischer Widersprüche zwischen diesen. In einigen Fällen werden dabei die verschiedenen religiös-traditionalen Anleihen und Angebote explizit in einer ontologischen Rahmentheorie verbunden; bei anderen ist eine eher vage erahnte Klammer in Gestalt einer impliziten 'Theorie' erkennbar, die die Suchbewegung leitet.

Der akkumulative Häretiker differenziert sich noch einmal in zwei Untertypen: einerseits in den sequentiell-akkumulativen Häretiker, der - teils rastlos und verhältnismäßig schnell - von einer Orientierung zur nächsten wechseln kann, also die eine Orientierung (weitgehend) hinter sich läßt, ehe er die nächste übernimmt; andererseits in den synchron-akkumulativen Häretiker, der polytrop genug ist, um zeitgleich an verschiedenen Orientierungen, Weltanschauungen und Ritualen teilzuhaben, und bei dem die Ignoranz gegenüber den teils gravierenden kognitiven Widersprüchen besonders auffällig wird. Der akkumulative Häretiker, besonders der synchron-akkumulative, bevorzugt die offenen religiösen Milieus, die - unbeschadet eines harten fundamentalistischen Kerns - für weite Peripheriebereiche des Lebens und Lebensstils großen subjektiven Spielraum lassen.

Soweit hat diese Typisierung einzig das Kriterium der Zugangs- und Adaptionsweisen (Dimension ) beansprucht, die Typisierungsaspekte der anderen Dimensionen blieben unberücksichtigt. Dies soll nun geschehen, doch ist sogleich zu notieren, daß die anderen beiden Dimensionen, die der biographischen Folgeprozesse (Dimension ) und die der motivationalen Hintergründe (Dimension ) in unserem Analyseprozeß nicht zu einer eigenen Typologie geführt haben. Sie wurden statt dessen als - etwas bescheidenere - Frage nach den Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Dimensionen behandelt, also als Fragen an die Fälle wie diese: Gibt es bestimmte biographische, etwa familial-frühkindliche Erfahrungen, die den traditionsgeleiteten Typus prägen? Lassen sich motivationale Grundmuster identifizieren, die zu den Typen des Häretikers, einmal zum Mono-Konvertiten, ein andermal zum akkumulativen Häretiker führen? Sind typische prozeßuale Verläufe der Bearbeitung und typische biographischen Folgen für die einzelnen Typen zu erkennen?

Hier ist zunächst grundsätzlich und einschränkend zu notieren, daß selbst wenn wir bestimmte motivationale Grundstrukturen für die Affinität zu einem bestimmten Typus identifizieren können, ein Kausalitätsschluß von dieser motivationalen Grundstruktur auf die Affinität zu einem bestimmten Typus nicht zulässig ist. Solch psychologisch-deterministische Aussagen lassen die Fallanalysen nicht zu. Und selbst wenn wir bestimmte Bearbeitungswege und biographische Folgen für die einzelnen Typen identifizieren können, kann damit noch lange nicht den Typen - oder gar den entsprechenden Milieus - kausal-deterministisch und generalisierend die Zukunft vorausgesagt werden. Doch zur kontrastiven Profilierung der drei Typen gegeneinander sind die Bezüge zu den motivationalen Hintergründen und zu den biographischen Folgeerscheinungen interessant und aussagekräftig.

2. Das motivationale Profil der Typen christlich-fundamentalistischer
Biographieverläufe

Im eben ausgeführten Sinne können die Einstiegs- oder Zugehörigkeitsmotive zu einer weiteren Differenzierung der Typisierung herangezogen werden. Wie sich aus den Fällen ergibt, ist die Ebene der motivational-biographischen Bedingungen (Dimension ) durchaus relevant.

Hier spielen vor allem Prägungen eine Rolle, die das Subjekt (noch) nicht zufriedenstellend verarbeiten und in die Biographie einarbeiten konnte und die immer wieder - teilweise pertinent - die Aufmerksamkeit und Energie absorbieren. Solche Prägungen bezeichne ich - etwa mit G. Noam - als Lebensthemen. Lebensthemen gehen auf - teils traumatische - Erfahrungen in der bisherigen Biographie zurück, die auch als Selbstspannungen (W. Helsper) bezeichnet werden. In einigen unserer Fälle sind beispielsweise erkennbar:

· frühe Erfahrungen des Verlusts von Inklusion und Beheimatung (etwa durch frühen Tod oder Trennung eines Elternteils),

· Defiziterfahrungen bedingungsloser Geborgenheit und Anerkennung,

· Erfahrungen, ein unerwünschtes Kind zu sein,

· schmerzliche Erfahrungen mit Tod und Trauer oder

· traumatisierende Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht

Diese Erfahrungen haben allem Anschein nach die psychischen Ressourcen, die den Versuchspersonen verfügbar waren, überfordert und treten wiederholt in der Biographie - und in der biographischen Erzählung der Interviews - auffällig in Erscheinung.

Lebensthemen sind freilich nicht allein in frühkindlichen Erfahrungen und Prägungen festzumachen, sondern können auch in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter entstehen. Sie können dennoch oft als Niederschlag früherer Lebensthematik gedeutet werden. Als typische Beispiele können hier akute Krisenerfahrungen des frühen und mittleren Erwachsenenalters angeführt werden, von denen unsere Interviewees uns berichtet haben und die sie erzählerisch in den Zusammenhang mit dem Beginn ihrer religiösen Suchbewegung oder ihrer Konversion stellen:

· Suizidversuche (zwei unserer Interviewees berichten von einem eigenen Suizidversuch in der Adoleszenz)

· die Krise einer Ehescheidung

· die bedrängende Erfahrung der unheilbaren Krankheit und des Sterbens der eigenen Mutter.

In der fundamentalistisch-religiösen Orientierung, so die Beobachtung, wird eine Kompensation für solchermaßen pertinente Lebensthemen gesucht. Wird diese Kompensation in der neuen religiösen Orientierung gefunden, entsteht verständlicherweise eine starke Affinität. Je erfolgreicher die Kompensation geleistet werden kann, desto stärker entwickeln sich auch die Kräfte, die zum Verbleiben führen. Dies ist auch im Blick auf die Ausstiegsprozesse relevant; Ausstieg bedeutet ja ein Verlassen der mehr oder weniger erfolgreichen Bearbeitungsstrategien für die Lebensthemen.

Dennoch ist noch einmal vor einem kausal-deterministischen Mißverständnis zu warnen: Nicht alle, die den frühen Verlust eines Elternteils erlitten haben, und nicht alle, die Gefühlskälte, Unerwünschtheit und elterliche Brutalität ertragen mußten, konvertieren später in fundamentalistische Milieus; und nicht jede Ehescheidung resultiert in christlich-fundamentalistischer Konversion.

Aber interessant ist eines der Ergebnisse des kontrastiven Vergleichs: Wenn wir die Fälle danach durchsehen, welche Bezüge zwischen der fundamentalistischen Konversion, bzw. der Fundamentalismusaffinität einerseits und den Lebensthemen und Krisenerfahrungen andererseits bestehen, fällt auf, daß wir derartige Bezüge vor allem in den Erzählungen der beiden häretischen Typen, des Mono-Konvertiten und des akkumulativen Häretikers finden, während solche Bezüge in den biographischen Interviews des traditionsgeleiteten Typs weitgehend fehlen. Für die Konversion des traditionsgeleiteten Typs gehen derartige lebensthematisch-motivationale Bezüge auch aus der Sequenz- und der Erzählanalyse nicht hervor. Der Bezug auf motivationale Bedingungen und Lebensthemen ist für die Kontrastierung der Fälle also aussagekräftig und führt zu deutlicherer Profilierung.

Wie ist dieser Kontrast zu erklären? Eine umfassende und abschließende Erklärung kann hier nicht gegeben werden; es bleibt manches offen für weitere Forschung. Aber es kann die These gewagt werden, daß der Unterschied zwischen dem traditionsgeleiteten Typ einerseits und den beiden häretischen Typen andererseits entlang einer Kontrastlinie verläuft, die (soziologisch gesprochen) Milieu- und Traditionsbindung von Erlebnisorientierung, die (psychologisch gesprochen) kognitions-, überzeugungs- und moralorientierte von emotions- und bedürfnisorientierten Beweggründen und die (psychoanalytisch gesprochen) Über-Ich-Impulse von Wünschen und Es-Impulsen unterscheidet.

3. Das generative Profil der Typen christlich-fundamentalistischer
Biographieverläufe

Zur weiteren Differenzierung können die drei Typen, die ja entsprechend der Dimension der Zugangs- und Adaptionsweisen differenziert werden, auf die Dimension der Bearbeitungsmodi und somit der biographischen Folgeprozesse (Dimension ) bezogen werden. Prinzipiell steht das ganze Spektrum von Möglichkeiten offen: von Transformation über Sistierung bis zu Dekompensation. Mögliche Bildungsprozesse, Lernchancen und Transformationsprozesse stehen der Gefahr des Stillstands und der psychischen oder sozialen Dekompensation gegenüber. Im Rahmen der fundamentalistischen Orientierung, in fundamentalistischen Milieus können Problematiken und Lebensthemen, die zur Lösung anstehen, mit einem Zuwachs oder einem Schwund von Handlungsfähigkeit bearbeitet werden. Dies hat einschneidende biographische Folgen.

Die Wege der Transformation von Religion lassen sich im Rahmen eines Modells der Transformation religiöser Stile interpretieren: Besonders deutlich begegnen uns solche Transformationsprozesse, wenn individuierende und reflektierende Zugangs- und Umgangsweisen mit Religion neu entdeckt oder wieder zum vorherrschenden Orientierungsmuster werden. Dies führt - (zunächst) unbeschadet des beharrlichen Festhaltens am Kernbestand der fundamentalistischen Ideologie - zum Widerstand gegenüber der Unterordnung unter die Lehr- und Regel-Autorität der Hierarchie der jeweiligen Gruppe, ob diese sich Apostel, Älteste oder Pastoren nennen. Der Ausstieg aus der fundamentalistischen Gruppe ist in solchen Transformationsverläufen freilich meist die unvermeidliche Konsequenz.

Wenn man unser Material nach solchen Bearbeitungswegen und biographischen Folgeentwicklungen durchsieht, entdeckt man bald, daß alle drei Varianten vorkommen. In einigen Fällen ist eine Dekompensation erkennbar, in vielen Fällen wird die Ausgangsproblematik, die für die Zuwendung zur entsprechenden fundamentalistischen Gruppe dingfest zu machen war, unbearbeitet perpetuiert, also sistiert. Doch dem allgemeinen Vorurteil entgegenlaufend haben wir eine ganze Reihe von Fällen in unserem Sample, bei denen im Kontext der fundamentalistischen Milieus und Gruppen eine transformierende Bearbeitung stattgefunden hat, die etwa zu größerem Selbstbewußtsein, verstärkter Selbstbehauptung und differenzierteren Zugangs- und Umgangsweisen - auch mit Religion und religiösen Vorstellungen - geführt hat.

Lassen sich die transformierenden Biographieverläufe bestimmten Typen zuordnen? Ist dies in bestimmten Typen gehäuft zu finden? Die Zuordnung ist hier nicht ganz so kontrastiv wie für die im vorangehenden Abschnitt dargestellten Bezüge, aber Tendenzen sind deutlich erkennbar: Transformationsprozesse sind beim traditionsgeleiteten Typ wenig oder überhaupt nicht zu verzeichnen, wohl aber beim Mono-Konvertiten und gehäuft beim akkumulativen Häretiker. Dies kann bereits durch die Art und Weise der Einmündung des traditionsgeleiteten Typs ins fundamentalistische Milieu erklärt werden: wer schicksalhaft und traditionsgebunden in eine fundamentalistische Organisation gekommen ist, wird dort aller Voraussicht nach weniger Handlungsspielraum und Entwicklungschancen vorfinden; wer dagegen eher selbstbestimmt - und eher erlebnis- und bedürfnisorientiert - konvertiert ist wie die Häretiker, hat eher Chancen der Transformation. Auch im Blick auf die Ausstiegsprozesse wird erkennbar, daß, wer schicksalhaft - in welchem Alter auch immer - in eine bestimmte fundamentalistische Religiosität eingefügt wurde, unter größeren Mühen, unter größeren Schmerzen seinen Ausstieg vollzieht. Große Enttäuschung, Ablehnung und Haß sind dann häufig anzutreffen. Beim Typus des Mono-Konvertiten treten solche Erscheinungen eher etwas abgeschwächt, aber immer noch erkennbar auf. Diese Mühen und Traumatisierungen liegen vermutlich auch darin begründet, daß die Affinität des schicksalhaft eingefügten traditionsgeleiteten Typs (und nur wenig abgeschwächt des Mono-Konvertiten) sich auf eher geschlossene Gruppen oder Organisationen, sogenannte high-tension groups fundamentalistischer Prägung richtet. Dagegen bevorzugen besonders akkumulative Häretiker eher die offene Gruppe, das wenig-geschlossene Milieu, das nicht zwingend die Übernahme der Totalität der Weltanschauungsvorstellungen, dogmatischen Sätze, Rituale und Regeln verlangt, sondern neben einem - allerdings zwingenden - Minimalkonsens ziemlich viel Spielraum läßt. Dies erleichtert den Transformationsprozeß wie den Ausstieg.

4. 'Thomas' - der pointierte Fall eines akkumulativen Häretikers

Zur Pointierung sei wenigstens ein interessanter Fall vorgestellt, in dem akkumulativ-häretische und transformatorische Züge zutage treten. Der Fall 'Thomas' markiert freilich einen kontrastiven Eckpunkt unserer Typologie und es ist darauf hinzuweisen, daß sich auch ganz anders gelagerte Fälle in unserem Sample finden. Thomas wurde dennoch für eine Kurzvorstellung ausgewählt, weil in seiner Biographie zwei der auffälligeren Ergebnisse unserer Untersuchung deutlich werden: 1. Wir beobachten einen neuen Typ der Aneignung von religiösen Angeboten, einen, wie man sagen könnte, neuen religiösen Sozialisationstyp: den akkumulativen Häretiker; 2. Es sind nicht ausschließlich Dekompensationsprozesse, sondern auch Lern- und Transformationsprozesse innerhalb der neureligiösen und christlich-fundamentalistischen Milieus möglich und besonders die akkumulativen Häretiker haben hier gute Voraussetzungen. Beides ist im Fall Thomas gut erkennbar.

Thomas ist Jahrgang 1949 und zur Zeit des Interviews 48 Jahre alt. Er erlebt seine Jugend- und Ausbildungszeit Ende der 60er und in den 70er Jahren in einer norddeutschen Großstadt. Nach dem Abitur nimmt Thomas ein Lehramtsstudieum (Sekundarstufe II, Biologie) auf und absolviert danach das Referendariat. Der Lehrerberuf jedoch bleibt ihm verschlossen, vielmehr schlägt er sich mit verschiedenen Gelegenheits-Jobs wie Taxifahren, Wochenmarktverkauf usw. immerhin 20 Jahre durch. Zur Zeit des Interviews lebt er mit einer Frau, deren zwei Kindern sowie einem weiteren acht Monate alten gemeinsamen Kind zusammen. Aus der religiösen Biographie von Thomas möchte ich einige Stationen kurz zusammenfassen und anhand von Interviewzitaten nachzeichnen.

Thomas' Erzählung darüber, warum er, wie er sagt, ”bestimmte Gruppierungen oder ..sektenähnliche oder fundamentalistische Gruppen gesucht oder gefunden” habe, beginnt in der Zeit seines Studiums, als er durch einen Wohngemeinschafts-Mitbewohner Meditation kennenlernt und seine ”Suche nach mehr Intensität, nach ner bestimmten Befreiung von Belastungen” auf Meditationsformen richtet.

Jahre später, Thomas hatte das Studium abgeschlossen, kommt er über einen Freund in Kontakt zu Bhagwan. Er berichtet: "Ich glaub ich war jetzt in der Referendarzeit öh es ging dem Ende zu es war also sehr viel Druck also man mußte jedenfalls so die Sachen bestehen und und (holt Luft) da s- sehnte ich mich so und der machte so befreiende öh Meditation bei Bhagwan (...) und öh davon hatt ich so gehört der ging auf n Bauernhof und (holt Luft) ja machte solche solche Meditation dynamische Meditation ...” Und aufgrund eigener Erstbegegnungen sagt er sich: ”jo Mensch das machst du auch da möchtest du auch, irgendwas loswerden. (...) war natürlich auch ne gewisse Neugier (holt Luft) diese Asiatische Meditation öh (holt Luft) und das daß so mit dynamisch und dann Stille das war mir irgendwie sympathisch.”

Thomas bleibt 3 bis 4 Jahre im Kontext der Bhagwan-Bewegung und lebt in dieser Zeit in verschiedenen Kommunen im süddeutschen Raum. Für das Verlassen dieses Milieus führt Thomas zwei Gründe an: erstens, daß die Ideologie der Bhagwan-Anhänger ihm zu eng geworden sei und er sich zu sehr eingebunden und unterdrückt fühlte und zweitens, daß Sexualität für ihn mit Treue verbunden war und er mit offener Sexualität nicht zurecht kam.

Nach einigen Jahren, Thomas war inzwischen wieder zurück in seine norddeutsche Heimatstadt gezogen, nachdem ihn seine Freundin, die nach Indien ging, verlassen hatte und er zurückgezogen im Schwarzwald lebend ein älteres Bauernehepaar versorgte, findet Thomas über eine alte Freundin Kontakt zu einer Gruppe, die er Bioenergetik-Gruppe nennt, die aber in Wahrheit eine extreme Form von gruppendynamischen Experimenten darstellt. Er berichtet darüber: "...und da machten wir denn harte Übungen fasten eingeschlossene Gruppe fünfzig sechzig Leute in eine Turnhalle einschließen für eine Woche (holt Luft) drei Tage nichts essen und ni- also drei Tage nichts trinken (holt Luft) und eine Woche nichts essen (holt Luft) Tag und Nacht durchmachen nicht schlafen .. öh also richtige I- freiwillige Internierung, sozusagen...” Außer diesem jährlich stattfindenden Workshop, so berichtet er, ”machte man einmal in der Woche oder zweimal solche Übungen abends in soner Gruppe”. Trotz dieser negativen Schilderungen im Rückblick hat Thomas auch schöne Erlebnisse in Erinnerung behalten: "Man feiert Feste man feiert Silvester das ist ne große Familie (holt Luft) man kennt sich man tanzt zusammen man .. erlebt viel also, da wieder diese Gruppe war man massiert sich zusammen man (holt Luft) könnte auch vielleicht öh ne Partnerin finden (holt Luft) öh (atmet aus) ja also das ist das was einen zieht”.

Nach dem Tod des Gruppenleiters verläßt Thomas diese Gruppierung und lebt einige Jahre ein etwas ruhigeres Leben, er singt in einem evangelischen Kirchenchor, lebt vom Taxifahren und von Marktgeschäften. Da trifft er auf der Straße Scientology-Werber und macht einen Persönlichkeitstest. Und - im Gegensatz zu einem Bekannten, der nach kurzer Teilnahme die Organisation ganz schnell wieder verlassen hat, berichtet Thomas über sich: "Ja ich machte denn diese Tests und blieb da irgendwie hängen obwohl ich eigentlich gar nicht hinwollte (...) (holt Luft) aber als ich da war hab ich gesagt, na was ist n [...] an denen dran denn dann hat mich auch sone gewisse Neugier gepackt und natürlich diese (holt Luft) dieser Wunsch wieder nach diesem, (schnalzt) öh Erlösung Befreiung von der Vergangenheit von einer sehr belastenden Vergangenheit. ... ja das wars und die versprachen mir da etwas. die machten auch ne Art Therapie (...) die Anfangserfahrung ist natürlich n eine Hilfe eine Befreiung erstmal (holt tief Luft) öh wenn man n gewisses Defizit in seinem Leben, Leben spürt.”

Thomas erzählt, daß er mit einer distanziert-pragmatischen Grundhaltung zu Scientology hingegangen ist: "ist interessant genau was kann was könnt ihr mir bieten”, sagt er und "ihr wollt was über Geld was könnt ihr mir bieten, so so bin ich darangegangen äh mit immer dieser Reserve guck mal .. gucken”. In der Tat erfährt Thomas in dieser Gruppierung eine Befreiung von einem kindlichen Fall-Trauma in intensiver therapeutischer Bearbeitung und weiß dies lobend immer noch zu erwähnen. Thomas setzt sich im Interview intensiv mit seiner Scientology-Mitgliedschaft auseinander und streicht immer wieder das unangenehme Durchschautwerden durch den Lügendetektor heraus. Das ist ihm aber offensichtlich nicht so lästig geworden, daß er die Gruppe selbständig verlassen hat.

Denn dies gelingt ihm erst in einer weiteren Etappe seiner religiösen Karriere; und diese beginnt wiederum zufällig: "Dann las ich irgendwie mal Gospelmeeting dann bin ich dahingegangen und das war eben [...] eine freie Evangelische Kirche [...] in der Innenstadt (schnalzt) und da bin ich hingegangen ...” Von einer ihm sehr sympathischen jungen Frau, die Thomas von ihren Jesus-Erfahrungen und der Hilfe durch ihren Glauben erzählt, fühlt sich Thomas so sehr angesprochen, daß er wieder hingeht. Die Erfahrungsdichte steigert sich durch die Atmosphäre in dieser Gospelkirche. Thomas erzählt: "...tanzende lockere Menschen erhobene Hände oder auch sin- laut singend und öh nicht nur so wie ich vorher so mit- mitgesungen habe nur (holt Luft) also man sang [...] es war eine Atmosphäre da es roch sogar nach Schweiß dacht ich huch was ist denn hier los wie im Bodybuildinginstitut warum riecht das hier so; öhm, jedenfalls hat mich diese, diese Atmosphäre so umgehauen daß ich aufs Klo mußte weil ich dachte da kann ich ja nicht einfach losheulen.” Erst auf Empfehlung einer Frau, die er dort kennenlernt und die ihm die Scientology-Bewegung als gefährliche Sekte vor Augen führt, entschließt sich Thomas, am folgenden Tag ein Abschiedsgespräch zu führen, einen Scheck zu sperren und die Scientology-Angebote nie wieder zu besuchen.

Zur Zeit des Interviews ist Thomas' Leben und seine Religiosität in ruhigeres Fahrwasser gekommen. Er lebt mit einer Frau zusammen und die beiden haben außer den von ihr mitgebrachten Kindern zusammen ein acht Monate altes gemeinsames Kind. Thomas macht sich Gedanken um die religiöse Erziehung der Kinder, liest ihnen aus der Kinderbibel vor, redet von Verantwortung in der Familie und Treue in der Partnerschaft und kann in einer biblisch-theologischen Sprache sowohl seine charismatische Zeit als auch die Bhagwan-Zeit begründet ablehnen. Anhand des Paulus-Zitates, ein Gefangener Christi zu sein, kann er ausführen, daß er sich dagegen entschieden habe, Gefangener Christi zu sein: "Insofern bin ich öh wenn das n Christ und wenn ich das jetzt als Christ begreife dann bin ich keiner mehr. also ich bin kein Jünger Jesu in dem Sinne. (holt Luft) öh .. ich würde aber jetzt nicht sagen Christentum das ist das Schlimmste was es gibt sondern ich würde sagen daß da ich hab ja gesagt da hab ich Befreiung erlebt ich hab aber auch gesagt (holt Luft) öh kann aber auch sagen bei dieser, Se- wo ich wirklich sage ne Sekte die Scientology [wie?] hat mir das geholfen und bei Bhagwan hat mir das geholfen denn bei jeder und ich hab ne gute Freundin die sagt (holt Luft) ich hab überall mir son Pünktchen rausgezogen von den Anthroposophen das von Bhagwan das und das (holt Luft) öh .. [...] ...man sammelt ja so mosaikhaft auch öh seine Lebenserfahrung und (holt Luft) Erkenntnis und und mhm (holt Luft) und öh da hab ich überall was gelernt und möchte das nicht missen (holt Luft) und öh das sch- Schlechte würd ich einfach sagen sind öh ... sind einfach die Gruppenzwänge wenn man denen erliegt und wenn die zu stark werden wenn die .. die Persönlichkeit vereinnahmen.”

Abschließend ein paar Bemerkungen zur Einordnung der religiösen Lebensgeschichte von Thomas im Rahmen meiner Typologie. Thomas ist ein typischer Fall eines akkumulativen Häretikers, der in seiner bunten religiösen Karriere, in seinem Religionstourismus, der durch Meditationsgruppen, durch Bhagwan-Gruppen und -kommunen, durch eine harte Form von Gruppendynamik, durch Scientology-Angebote und schließlich durch eine charismatische Gemeinde führt, keinen Schaden genommen hat. Sein eigenes Resümee, "ich hab mir überall so ein Pünktchen rausgezogen”, deckt sich mit unserer Erzählanalyse. Dekompensation ist nicht erkennbar, Thomas hat viel profitiert, gelernt, in der Bearbeitung seiner Lebensthemen eine Transformation durchgemacht - an erster Stelle dies, daß er mit dem illusionären Hunger nach bedingungslosem Geliebtwerden nun weit realistischer umgehen kann und sich bereits im Vorfeld von Gruppenzwängen fernhält. Folgendes Urteil über den Fall Thomas ist durch den Interviewtext gerechtfertigt: die Lebensthematik von Thomas, sowohl seine Suche nach bedingungslosem Geliebtwerden, als auch seinem vehementen Sträuben gegen Gruppenzwänge, hat sich transformieren und bearbeiten lassen im Rahmen seiner akkumulativ-häretischen Wanderbewegungen, die ihn doch immerhin 20 - 25 Jahre seines Lebens beschäftigt haben.

5. Zusammenfassung

Wenn man also bei der Fallanalyse und der Kontrastierung, wie wir es getan haben, nicht nur auf die Zugangs- und Umgangsmodi (Dimension ), sondern auch auf die Bearbeitungsmodi und die biographischen Folgeprozesse (Dimension ) achtet und beide aufeinander bezieht, kommen nicht nur Dekompensationsprozesse (wie dies die Gefährlichkeitshypothese pauschal allen fundamentalistisch-religiösen und Psycho-Gruppen in Gefahr ist zu bescheinigen) in den Blick. Es fällt ebenso die nicht-dekompensierende Sistierung der eigentlich zur aktiv-handelnden Bearbeitung anstehenden Problematiken und Lebensthemen auf. Und diese Sistierung führt nicht selten zu weitgehender subjektiver Lebenszufriedenheit der Individuen. Es treten jedoch auch Prozesse der Transformation zu größerer Selbständigkeit zutage.

Daß sich die Prozesse der Dekompensation vs. Transformation darüber hinaus auch noch unterschiedlich auf die Fälle verteilen, war nicht von vornherein zu erwarten. Es kann aufgrund der Fallanalysen die Behauptung gewagt werden, daß der traditionsgeleitete Typ christlich-fundamentalistischer Biographieverläufe eher zur Dekompensation oder Sistierung neigt. Wenn sich in Biographien des traditionsgeleiteten Typs - auch inmitten von high-tension groups als Reaktion auf die dort empfundene Einengung - transformatorische Entwicklungen anbahnen, dann setzen diese zentrifugale Kräfte frei, die konsequenterweise zum Ausstieg führen.

Es kann weiter die Behauptung gewagt werden, daß der Typ des Mono-Konvertiten zu Sistierung und zu Transformation neigt. Transformation ist hier als selbstbewußter Erwerb kognitiver Überlegenheit, als Ich-Stärkung und Selbstbewußtheit, die den Autoritätspersonen der Gemeinde standhalten kann oder als alltagspragmatische Abmilderung der religiösen Ansprüche erkennbar.

Es kann schließlich die Behauptung gewagt werden, daß im Gegensatz vor allem zum traditionsgeleiteten Typ die akkumulativen Häretiker für die transformatorische Bearbeitung mit positiven biographischen Folgen und für Transformationsprozesse offen sind. Auch wenn freilich beim akkumulativen Häretiker prinzipiell beides möglich ist, die Sistierung der Lebensthematik und deren transformatorische Bearbeitung, haben wir in unserem Sample zwei gewichtige Fälle gefunden, in denen sich eher eine transformatorische Bearbeitung nachweisen läßt und einen, in dem eine Transformation nicht zu erkennen ist. Allerdings dürfen die Mühen der Bearbeitung ihrer pertinent virulenten Lebensthematik nicht verkannt werden, für die wieder und wieder in einem neuen Milieu eine Lösung erhofft wird. Nicht zu übersehen ist auch eine Ambivalenz des Typus des akkumulativen Häretikers: die Ambivalenz zwischen kompensatorischen religiösen Angeboten, die wieder und wieder in Enttäuschung enden, einerseits, und der progressiven und kreativen Bearbeitung der Lebensthematik andererseits, die sich schließlich dem Teufelskreis permanenter Suchbewegungen entwindet.

Unsere Untersuchung sollte Erkenntnisse darüber ermöglichen, wie im christlich-fundamentalistischen Milieu das Handeln der Individuen sowie ihre Bedürfnisse nach Sinn und Gestaltung mit den Gruppenangeboten und -strukturen zusammenwirken. Als biographisch-qualitative Interviewstudie hat sie dabei besonders die Subjektivität, die subjektiven Verarbeitungs- und biographischen Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick bekommen und konnte in den Fallanalysen solche Subjektivität identifizieren - auch Subjektivität, die als Transformationspotential inmitten der fundamentalistischen Milieus selbst sich bilden kann. Die Fallanalysen geben somit auch zu der Vermutung Anlaß, daß es nicht zuletzt von psychischen Ressourcen und Bearbeitungsmöglichkeiten abhängt, die sich ein Subjekt angeeignet hat und in die fundamentalistisch-religiöse Karriere mitbringt, was mit ihm oder ihr im fundamentalistischen Milieu geschieht, und nicht nur vom Milieu oder der Gruppe selbst.

IV. Teilprojekt "Aussteiger, Konvertierte und Überzeugte - kontrastive
Analysen zu Einmündung, Karriere, Verbleib und Ausstieg in bzw. aus
fernöstlichen Gruppen, Bewegungen und Organisationen"

Dr. Albrecht Schöll, Comenius-Institut Münster

1. Einleitung

Die Arbeit untersucht Biographien und Karrieren von aktiven und ehemaligen Mitgliedern aus fernöstlichen Gruppierungen, insbesondere aus jenen Organisationen, die ab Mitte der 60er Jahre im Westen auftraten und damals unter dem Begriff der 'Jugendreligionen' subsumiert wurden. Sie sorgten für eine anhaltende und konfliktgeladene öffentliche Diskussion. Damals ist das Bild entstanden von einem Jugendlichen, der von heute auf morgen seine Ausbildung bzw. seinen Beruf sowie alle Kontakte zu seiner Familie und zu Freunden abbricht und spurlos in einer mysteriösen Sekte verschwindet, um Jahre danach als seelisches und körperliches Wrack wieder aufzutauchen und der Ursprungsfamilie zur Last zu fallen. Die vorliegende Untersuchung will eine etwas differenziertere Datenlage vorlegen als es dieses zugegebenermaßen überzeichnete Bild der Karriere eines Menschen in sog. Jugendreligionen nahelegt. Damit wäre ein erstes Interesse der Untersuchung genannt: Die möglichst differenzierte Darstellung des individuellen Verlaufs der Biographie von Menschen, die Mitglieder in diesen Gruppen sind oder waren.

Ein weiteres Interesse ist durch den kontrastiven Vergleich unterschiedlicher biographischer Verläufe gegeben. Es geht um Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Lebenläufen in unterschiedlichen religiös-spirituellen Gruppen, die sich zu einem Zeitpunkt im Westen etabliert haben, als diese Gesellschaften unter einem forcierten Modernisierungsdruck standen. Weiter interessieren die Veränderungs- und Transformationsprozesse von langjährigen Mitgliedern im Vergleich zu Mitgliedern, die nur kurze Zeit in der Gruppe verbracht haben. Schließlich wird nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bleibern, Umsteigern und Aussteigern gefragt.

2. Zum methodischen Vorgehen

Von Anfang bis Mitte 1997 wurden insgesamt 25 narrative Interviews von eineinhalb bis zweistündiger Dauer mit Personen durchgeführt, die Mitglied in einer fernöstlichen Gruppe sind bzw. waren. Davon wurden nach den bereits genannten kontrastiven Merkmalen der Gruppenzugehörigkeit, Dauer der Zugehörigkeit und der Unterscheidung nach Bleiber, Aussteiger und Umsteiger zwölf Interviews ausgewählt. Weitere Merkmale wie Alter, Geschlecht, Schulbildung etc. wurden in die Kontrastierung nicht systematisch einbezogen, da sie für den Vergleich selbst wenig aussagekräftig sind.

In der Tabelle sind die Interviews im Überblick dargestellt:

Gruppe

Bleiber/Bleiberin

Aussteigerin

Umsteigerin

Hare Kirshna

Sigurd Lenzig (25,22,3)*
Gertrud Fabian (41,27,14)*

Lara Klein (30,27,1)*

Vereinigungskirche

Maria Zeller (25,19,6)*
Ellen Hofmeister (44,21,23)*Niklas Hofmeister (48,26,21)*

Osho-Bewegung

Gernot Biel (47,32,15)*
Ma Samvoda (37,19,18)*

Ananda Marga

Anna Sommer (34,22,8)*

Brahman Kumaris

Kerstin Heller45,35,2)*

Brahman Kumaris (Splittergruppe)

Helga Simon (41,39,2Monate)*

Transzendentale Meditation

Lisa Kalles (42,41,1)*

· Erste Zahl: Alter der Person; zweite Zahl: Alter bei Eintritt in die Gruppe; dritte Zahl: Dauer der Mitgliedschaft in Jahren

Die transkripierten Interviews wurden nach sequenz- und erzählanalytischen Verfahren ausgewertet. (Oevermann 1979, Schütze 1987). Ziel der Auswertung war die Rekonstruktion sowohl der Fallstruktur als auch der Lebensgeschichte, die in der Falldarstellung aufeinander bezogen werden.

3. Lebensthemen

Die Untersuchung fragt nach den Vorstellungen von lebenspraktischem Handeln und Konzepten der Lebensführung, die hinter bestimmten religiösen Engagements stehen. Insbesondere in der Moderne, in der sich das Verhältnis zwischen Religion und Individuum zugunsten des Individuums verschoben hat, kommt der Religion eine spezifische Funktion zu, um Fragen der praktischen Lebensgestaltung zu bearbeiten. Der Modus der Bearbeitung dieser Fragen hat sich im Vergleich zu traditionell christlichen Konzepten der Lebensführung gewandelt (vgl. Schöll 1992) hin zu Orientierungsmustern und Modi der Aneignung von Sinn, die eigens auf die Moderne zugeschnitten sind, sozusagen für das moderne Leben 'erfunden' wurden (Schöll/Fischer 1994, Schöll 1996). Im Kontext der Untersuchung geht es konkret um die Frage, welche lebenspraktischen Fragen und Probleme mit Hilfe fernöstlicher Religiosität und Spiritualität bearbeitet werden. Das Interesse richtet sich auf das 'realitätsverarbeitende Subjekt' und seine Lebensgeschichte im Kontext von Gruppen, die eine fernöstliche Spiritualität und Religiosität unterschiedlichen Couleurs vertreten. Die Untersuchung setzt also nicht primär an der Rekonstruktion von Gruppenkulturen und -milieus und deren Wirkung auf das Subjekt an, obwohl diese Frage nicht ausgeklammert wird, da in den Interviews auch dieser Bezug von Individuum und Gruppenkultur thematisiert wird.

Allgemein betrachtet geht es um die vom Probanden geleistete Zuschreibung eines Zusammenhangs von Lebensgeschichte und Religion. In den Fallanalysen wurden mit Hilfe von religiösen Symboliken und in religiös sich definierenden Milieus individuelle 'Lebensthemen' bearbeitet. Darunter werden langfristig angelegte lebenspraktische Probleme und Herausforderungen verstanden, aber auch existentielle Sinnfragen und Sinnentwürfe. Lebensthemen und Selbstspannungen zeigen sich als wiederholende Muster der Weltsicht, Muster von Beziehungen und Handlungen, die in verschiedenen Lebenskontexten und Lebensphasen virulent werden. Sie induzieren einen Druck zur Veränderung, insbesondere wenn Menschen von relativ geschlossenen Milieus in sich ausdifferenzierende und pluralisierte Lebenswelten wechseln, in denen ein geschlossenes Lebensführungskonzept auf Dauer nicht durchzuhalten ist und der Druck zur individuellen Begründungsverpflichtung des Handelns und der entsprechenden Lebensführungskonzepte in ganz massiver Weise zunimmt. In jedem der zwölf Fälle konnte ein individuelles Lebensthema rekonstruiert werden. Als Beispiel soll hier das Lebensthema von Anna Sommer dargestellt werden.

Anna Sommer reagiert in der Adoleszenz auf die Erwartungen ihres Vaters. Sie soll dessen bürgerliches Weltbild und den entsprechenden Lebensstil übernehmen. In der Familie hat sie ein Defizit an Gemeinschaft und Anerkennung erlebt. Es fehlt ihr an Selbstvertrauen, um sich von den Eltern abzulösen und ein autonomes Leben zu beginnen. Demgegenüber reagiert sie auf die Zumutungen des Vaters, indem sie ihm eine alternative Weltsicht und Praxis 'demonstriert'. Es fehlen ihr aber die Perspektiven für die Gestaltung der Alternative, da es ausschließlich um die Demonstration geht, was das Gegenteil von Gestaltung impliziert. In dieser Beziehung findet kein Ablösungsprozeß statt, sondern sie macht sich extrem abhängig von ihrem Vater, indem sie ihm das Gegenteil seines Lebensführungskonzeptes und seiner Überzeugungen 'beweisen' muß. Neben der familial angelegten Genese des lebenspraktischen Problems von Anna Sommer kommt ein milieubedingter Kontext dazu. Denn stellvertretend über die Person des Vaters reagiert sie auf die Zumutungen und Ansprüche einer hierachisch und autoritär auftretenden bürgerlichen Gesellschaft, der sie eine alternative Gesellschaftsform entgegensetzen will. Sie weiß, was sie nicht will, hat aber (noch) keine Perspektiven entwickelt von dem, was sie konkret zu realisieren gedenkt. Insofern ist sie auf normative Vorgaben von Alternativen angewiesen, die sie bei Ananda Marga findet.

Die Genese dieses jeder Biographie eigenen Lebensthemas reicht oft zurück in die Jugendphase und Kindheit. Es kann beobachtet werden, daß die dort erworbenen und erlernten Muster des Umgangs mit dem Lebensthema bis ins Erwachsenenalter perpetuiert werden. Ein Wechsel der Lebenssituation ist oft der Auslöser für eine Dynamisierung des Lebensthemas, das sich dann zu einer Lebenskrise steigern kann, weil das Problem mit den bisherigen Mustern nicht mehr gelöst werden kann und der Rekurs auf bisherige Muster den Zugang zum Lebensthema über neuartige Lösungsstrategien verschließt. In dieser Krisensituation ist es im Einzelfall aber auch möglich, daß sich dem Individuum neue Zugangsweisen und andere Konzepte der Lebensbewältigung über den gesteigerten Handlungsdruck in einer Krise eröffnen.

Das Lebensthema wird entweder von den Interviewten selbst mit dem Eintritt in eine Gruppe in Zusammenhang gebracht oder dieser Zusammenhang kann aus dem Interviewtext erschlossen werden. Die Probanden greifen bestimmte Aspekte der Gruppen auf, etwa eine spezifische Praxis, Beziehungskonstellationen, Religiosität oder Weltbilder, um auf dieser Folie ihr individuelles Lebensthema und die aufgrund von Selbstspannungen relultierenden Problemlagen zu bearbeiten. Die breite Palette unterschiedlicher lebensgeschichtlicher und soziokultureller Bedeutungen und Sinnentwürfe, die die Individuen mit den Lösungsangeboten der Gruppen in Zusammenhang bringen, wird hier thematisiert. Erst durch diese Zuschreibungsprozesse avancieren diese Milieus und Gruppen für die Individuen zu bedeutsamen Kontexten. "Über eine solche interaktive Perspektive, die die Sinn- und Bedeutungsmuster einbezieht, werden die Individuen nicht nur als passive Opfer bestimmter, klar vorgezeichneter 'Täterkreise' erkennbar, sondern als soziale Ko-Konstrukteure ihrer Lebensgeschichte und ihrer sozialen Verflechtungen”.

4. Modi der Bearbeitung von Lebensthemen - Versuch einer Typologie

Im kontrastiven Vergleich der zwölf Fallanalysen wurden drei verschiedene Modi der Bearbeitung der Lebensthemen im Kontext der fernöstlichen Gruppen ausgemacht.

a) Modus des Rückzugs in symbiotisch gelagerte Gesinnungsgemeinschaften

Menschen sind unter bestimmten Lebensbedingungen überfordert, ihr Leben eigenständig in Auseinandersetzung mit sozialen Situationen und konkreten Menschen zu gestalten. Sie bringen die gesteigerte Individuierung und Entscheidungsfreiheit nicht mehr mit dem Entscheidungs- und Problemdruck angesichts gesteigerter Begründungsrationalität zusammen. In dem Spannungsfeld von Entscheidungsfreiheit und -druck suchen sie einen Ausweg, indem sie auf traditionelle Sinnentwürfe zwar zurückgreifen, diese aber zum Zweck von Ganzheitsvorstellungen in einen künstlich inszenierten Raum der Einheit einbauen. In diesem Fall können sich zwei widersprechende, jedoch strukturell gleichsinnige regressive Lösungsversuche einstellen, die empirisch auch miteinander kombiniert vorkommen.

(1) In der einen Variante versuchen Individuen, sich vom Individuierungs- und Problemdruck durch eine Rückkehr zu tradierten religiösen Weltbildern zu entlasten. Dabei werden jene Weltbilder bzw. eine eklektische Zusammenstellung von Weltbildern bevorzugt, die den Glauben an den Charakter der zyklisch-magischen Wiederholung garantieren. Angesichts einer erlebten Überforderung in der Alltagswelt haben die zyklischen Muster eine entlastende Funktion (Eliade 1986, Schöll 1992).

(2) In der anderen Variante suchen Menschen Entlastung durch die unvermittelte Ausrichtung der eigenen Lebensführung an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es findet eine Art der Selbst-Subsumtion unter die Geltung theoretischer Sätze der Wissenschaften statt, wobei den Wissenschaften 'praktische Relevanz' im Sinne der direkten Anwendbarkeit auf die Ausgestaltung eines moralisch-ethisch besseren Lebens unterstellt wird. Wertentscheidungen werden hier subsumtionslogisch mit wissenschaftlichen Mitteln getroffen und mit Hilfe deduktiven Schließens abgesichert.

In beiden Varianten konnte der Modus des Rückzugs in symbiotisch gelagerte Gesinnungsgemeinschaften in den Fallanalysen rekonstruiert werden. Die Varianten können auch miteinander kombiniert vorkommen.

Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen - Lara Klein ist Aussteigerin und Sigurd Lenzig ist Einsteiger - versuchen beide, sich vom Individuierungs- und Problemdruck durch einen Zugriff auf zyklisch strukturierte Religiosität zu entlasten. Sie suchen diese Religiosität in symbiotisch gelagerten Gesinnungsgemeinschaften, die innere Weite und Entfaltungsmöglichkeiten bei äußerer Geschlossenheit versprechen. Auf diese Weise wurde in beiden Fällen der Kontextbezug zu Hare Krishna hergestellt.

Bei Lara Klein ist es die Suche nach einer der Mutter-Kind-Symbiose analogen Struktur, die sie mit Hare-Krishna in Kontakt bringt. Aufgrund des in einem symbiotischen System nicht möglichen Aushandelns von unterschiedlichen Erwartungen und Wünschen der beteiligten Personen und dem Zwang zur Präsentation von Einzigartigkeit wechselt sie das System. Dadurch kann sie dem Erwartungsdruck der Mutter entfliehen. Sie benützt die Hare-Krishna-Gruppe als neues holistisches System, in das sie sich einnisten kann und das ihr eine Lebensweise garantieren soll, die unbelastet ist von den Widerständigkeiten der realen Welt. Autonomie hat für sie einen hohen Wert. Allerdings ist diese Autonomie instrumentell generiert, da in einem geschlossenen System alles möglich erscheint und die zu realisierenden Optionen weder in Aushandlungsprozessen mit Dritten abgestimmt werden noch sich lebenspraktisch bewähren müssen. Insofern findet bei ihr ein Wechsel zwischen geschlossenen Systemen statt. Nach dem Austritt aus der Hare Krishna-Gruppe setzt sich der Wechsel in derselben Logik in der Ehe fort, bei der der Ehemann zum Garanten wird für die Stabilität des geschlossenen Systems.

Gernot Biel, der sich der Osho-Bewegung angeschlossen hat, favorisierte die zweite Variante, die Entlastung sucht durch die unvermittelte Ausrichtung der eigenen Lebensführung an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien. Es ist ihm gelungen, diesen Modus mit seiner Sannyaskarriere in Verbindung zu bringen und schließlich beides wieder zurückzuführen in das geschlossene Lebensmilieu, in dem er als Kind aufgewachsen ist.

In beiden Varianten wird die widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung, die die Autonomie sozialen Handelns ausmacht, einseitig aufgelöst in Richtung eines handlungsentlasteten Einheitsraum, der keinen bzw. einen entlastenden Bezug herstellen muß zu den Widerständigkeiten und Anforderungen der Realität. Über den Rückzug versucht das Individuum, eine forcierte, durch Sozialität nicht mehr begrenzte Autonomie zu erreichen. Die Konstellation setzt eine Verweigerung von Lebenspraxis voraus. Die Verweigerung wird dadurch hergestellt, indem der auf der Handlungsebene geforderte Entscheidungszwang aufgehoben wird durch die Reduktion der prinzipiell noch offenen, weil unbekannten Handlungsoptionen in Bekanntes, das durch die wissenschaftliche Theorie bzw. die Wiederkehr des Bekannten im zyklisch bestimmten religiösen Weltbild abgedeckt erscheint. Die Offenheit von Welt wendet sich zwangsläufig in eine in sich geschlossene, innerhalb derer jedoch wieder alles möglich und selbstbestimmt steuer- und regelbar erscheint. Die Austauschbeziehungen zur umgebenden Gesellschaft werden auf ein Minimum eingeschränkt, so daß aufgrund des fehlenden lebenspraktischen Tests dieser Lebensweise die quasi-wissenschaftliche und religiöse Begründungsbasis zumindest eine Zeit lang aufrechterhalten werden kann.

In diesem Raum ist einerseits alles vorgegeben, zugleich werden die Optionen nicht durch die Realität beschränkt, weil sie nicht realisiert werden müssen. Alles ist neu und zugleich doch alles vertraut. In diesen Systemen werden Emergenzen entweder unterdrückt oder über Rückgriff auf bereits Bekanntes bearbeitet.

b) Stellvertretende Deutung von Lebenspraxis und Delegation von
lebenspraktischen Entscheidungen an ein übergeordnetes System

Als zweiter Modus wurde die stellvertretende Deutung von Lebenspraxis und Delegation von lebenspraktischen Entscheidungen an ein übergeordnetes System ausgemacht. Damit wird eine Lösungsstrategie charakterisiert, die praktische Entscheidungen des Lebens, die nur vom Individuum selbst entschieden werden können, an ein normatives Regelsystem delegiert. Das Individuum verweigert sich mehr oder weniger der Aufgabe, selbstreferentiell eine je eigene Biographie zu entwerfen und zu realisieren. Stellvertretende Deutung von Lebenspraxis wird i.d.R. in einem heteronomen Bezugssystem und in einem Raum extremer Privatisierung realisiert.

Es kann dann der Fall eintreten, daß Menschen zwar auf die Delegation von Entscheidungen angewiesen sind, aber zugleich die heteronome Struktur als zwanghaft und als ihre Autonomie einschränkend erleben. Der Mensch ist dann in einer paradoxen Falle gefangen. Denn er wird sich aus den heteronomen Bedingungen befreien wollen, ohne sich davon lösen zu können. Andererseits ist auch vorstellbar, daß sich das Individuum in das als entlastend wahrgenommene heteronom strukturierte System einnistet und sich mit dieser Lebensweise zufrieden gibt.

Der Modus der Delegation von Lebenspraxis korreliert mit der Tendenz des Rückzugs aus dem Alltag in mehr oder weniger geschlossene Milieus. An der Biographie von Maria Zeller kann gezeigt werden, wie sich die betreffende Person in ein heteronom strukturiertes System einnistet und dadurch ihr lebenspraktische Problematik für sich befriedigend löst. Mit der stellvertretenden Deutung ihrer Lebenspraxis verspricht sie sich zugleich eine aus dem übergeordeten System abgeleitete Einzigartigkeit ihres Lebens bei gleichzeitigem Verweis auf ihre Normalität der Lebensführung.

Maria ist mit der Vereinigungskirche die Verbindung der Darstellung einer über Gesinnung repräsentierten Einzigartigkeit mit der Erfüllung ihrer Wünsche unter gleichzeitiger Delegation von eigenständig zu organisierender Lebenspraxis an Dritte gelungen. Ihre Biographie erhält Sinn über die besondere Repräsentation von Einzigartigkeit, die aber nicht eigenständig erarbeitet wurde, sondern sich aus einem normativen System ableitet. Maria kann ein 'normales' Leben eines Erwachsenen führen, ohne dabei erwachsen werden zu müssen. Sie muß ihre Ursprungsfamilie nicht verlassen, denn auch ihre Eltern haben sich zusammen mit ihr von Mun 'segnen' lassen. Eltern und Tochter sind Teil der großen Familie, die von Mun als 'Übervater' bestimmt wird und an den alle lebenspraktischen Fragen delegiert werden können.

Dieser Modus wurde auch in anderen Fallanalysen entdeckt, allerdings als zeitlich begrenzte Phase des Lebenslaufs, der in einen anderen Modus der Bearbeitung des Lebensthemas transformiert wurde.

Mit der Delegation von Lebenspraxis an Dritte findet so wie beim Rückzug in symbiotische Gesinnungsgemeinschaften eine einseitige Auflösung der widersprüchlichen Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung statt. Die Begründung ist bereits in einem normativen Regelsystem vorgegeben und die Entscheidung läßt sich daraus ableiten bzw. wird von einer dritten Person stellvertretend für die betroffene Person vorgenommen.

c) Modus einer autonomen Lebensführung

Der in der Moderne strukturell angelegte Zwang zu einer autonomen Lebensführung erlaubt die 'gültige' Bearbeitung des Lebensthemas letztlich nur unter Bedingungen einer Lebenspraxis, die die widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung über soziales Handeln konkret einlöst. Es bedarf eines Subjekts, das in der Spannung dieser widersprüchlichen Einheit mit sich identisch bleibt und zugleich eigenständig handelt. Das bedeutet, daß sich das Individuum mit sich und seiner Umwelt auseinanderzusetzen in der Lage ist und die Verantwortung für die Folgen und Konsequenzen seines Handelns übernehmen kann.

Eine autonome Lebensführung ist nicht in der hier beschriebenen idealtypischen Weise zu realisieren. Jeder Mensch schafft sich seine eigenen ihn entlastenden Bezüge und sucht Räume des Rückzugs. Von Bedeutung ist, wie er diese Bezüge gestaltet und in welcher Intensität sie gelebt werden.

Eine autonome Lebensführung kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der untersuchten Gruppen realisiert werden. Es kommt darauf an, welchen Bezug das Individuum zwischen seinem Lebensthema und der Gruppe herstellt und wie dieser Kontext gestaltet wird. Dabei ist von besonderem Interesse der Prozeß von Veränderungen und Transformationen, die Innovations- und Dynamisierungspotentiale, die schließlich eine (relative) autonome Lebensführung ermöglichen.

Es war ein langer und schwerer Weg, den Menschen gegangen sind, bis sie für sich den Modus einer autonomen Lebensgestaltung im Sinne einer eigenverantworteten und selbstgestalteten Lebensführung gefunden haben. Betrachtet man die Lebensgeschichte der Probanden als Ganzes so wird sichtbar, daß eine autonome Lebensgestaltung oft unter eingeschränkten Bedingungen begonnen und sich der Referenzrahmen schrittweise ausgeweitet oder transformiert hat. Das Individuum hat als realitätsverarbeitendes Subjekt in jedem Referenzrahmen Autonomiechancen, nur werden diese Chancen unter unterschiedlichen Bedingungen jeweils anders aktiviert.

Die Fähigkeit zu einer autonomen Lebensgestaltung kann erworben werden in einem System, in dem die Lebensführung durch moralische Regeln und Vorgaben bestimmt wird. Dem Individuum werden Freiheitsgrade nur innerhalb der Systemgrenzen zugesprochen. Sowohl Maria Zeller handelt innerhalb dieser von ihr gewollten Grenzen als auch Ellen Hofmeister, die an dem 'durchgehenden großen Prinzip' einer normativ vorgegebenen Rahmung festhält, aber mit dem 'kleinen gegenläufigen Prinzip' über eine autonome Gestaltung ihrer Praxis Entwicklungen und Innovationen in größerem Ausmaß induziert. Überschreitet das Individuum aber die Systemgrenzen, so wird es, wie bei Anna Sommer der Fall, zum Häretiker.

Autonomie kann auch erworben werden, indem einem System, von dem sich das Individuum abgrenzen will, ein alternatives System entgegengesetzt wird. Das führt in der Regel zum Kampf zwischen zwei moralischen Systemen. Für die betroffenen Menschen treten hier Überzeugungen in den Vorgergrund, die gegenüber dem jeweils anderen System zu vertreten sind. Diese anders gelagerte Referenz zeigt sich bei Anna Sommer, die geradezu unter Zwang dem bürgerlichen Weltbilds des Vaters ein eigenes alternatives System entgegensetzen muß. Im Gegensatz zu Gertrud Fabian scheitert sie aber letztlich an dem Versuch, eine selbstgestaltete Alternative in Reaktion auf den Vater zu 'demonstrieren'.

Gertrud Fabian gestaltet ihre Lebenspraxis autonom innerhalb der Hare Krishna-Bewegung. Sie sucht eigenständig nach Lösungen für anstehende Fragen und Probleme und in ihrem favorisierten Konzept der Gemeindebildung macht sie Übergänge ausfindig zwischen Religion und Gesellschaft. Sie gestaltet das Leben von sich und ihrer Familie autonom, auch wenn sie Entlastung sucht über die Orientierung an den vier Prinzipen und sich in der täglichen Meditation aus ihrem Alltag zurückzieht. In diesem spirituellen Raum findet sie sogar einen Lebensstil, der einen spielerischen Zugang zu Menschlichkeit eröffnet und der im Gegensatz steht zum Zwang einer in ihrer Kindheit erfahrenen Nächstenliebe, die sich nie selbst genügen kann. Gertrud F. gelingt die Gestaltung einer Alternative zu einem System, das unter dem Zwang steht, Nächstenliebe praktizieren zu müssen. Mit Hilfe ihres Konzepts der Selbstverwirklichung, das sich in 'Wohlgesonnenheit' gegenüber den Menschen und der Welt Ausdruck verleiht, gelingt ihr ein Lebensstil, bei dem tätige Hilfe aus dem spielerischen Umgang mit dem Religiösen entspringt. Nicht vernachlässigt werden darf allerdings der Umstand, daß sie zugleich ihre Alltagspraxis in eigener Regie gestaltet. Ihr Lebenskonzept ist anders strukturiert als jenes von Lara Klein, die allein daran interessiert scheint, sich in symbiotische Räume und Beziehungsstrukturen zurückzuziehen.

Das leitet über zum dritten Referenzrahmen des Erwerbs von Autonomie. Autonomes Handeln vollzieht sich über eine Indifferenz gegenüber moralischen und ideologischen Systemen in direkter Auseinandersetzung mit der konkreten Lebenspraxis. Das schließt eine Reflektion der Optionen, die diese Praxis bietet, mit ein. Es findet eine Verlagerung statt von den moralischen Vorgaben eines Systems zu einem Prozeß der Aneignung und Gestaltung einer Realität, die selbst als widerständig erfahren wird. Lebenspraxis muß in diesem Fall autonom gedeutet und gestaltet werden, ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine Deutungssystem, das das individuelle Handeln erst legitimiert. In diesem Modus werden sich Menschen keinen normativ vorgegebenen Alternativen mehr beugen, sondern frei werden in den Entscheidungen, indem sie sich direkt mit der Widerständigkeit der Lebenspraxis auseinandersetzen. In dieser Hinsicht kann Anna Sommer von sich sagen:

Ich bin unabhängig von dem, ... was äußerlich so aussehen könnte, daß es das und das wär. Ich gebrauche auch das Wort "Spießer” nicht mehr, weil, ich denk mal, meine Kollegen oder Gleichgesinnten von damals würden mich heute als Spießer bezeichnen, und das ist für mich jetzt vollkommen gehaltlos dieses Wort und diese ganze Denkweise. Und ich ... versuche dem zu folgen, was ich spür, was für mich gut ist. Ob das bürgerlich ist oder ausgeflippt ist, ist völlig egal.

Bei Lara Klein hat sich der Modus der Bearbeitung ihres Lebensthemas auch nach dem Ausstieg aus der Krishna-Bewegung nicht geändert. Was die Gruppe leisten sollte, wird auf die Partnerschaft übertragen. Ihr Ehepartner wird zum Garanten eines Systems, das sich durch äußere Geschlossenheit bei innerer Weite auszeichnet. Wir wollen nun abschließend betrachten, wie sich über die Bearbeitung des Lebensthemas im Kontext einer Gruppe neuartige Lösungsstrategien erschließen, mit denen die Individuen in einem anderen Modus als bisher ihren Alltag und Lebenspraxis gestalten können. Es wird nach Bedingungen gefragt, die zu einer Transformation des Modus der Bearbeitung führen. Diese Transformation kann 'plötzlich', etwa in einer Krise, eintreten - so wie bei Helga Simon - oder in einem jahrelangen kontinierlichen Prozeß mit mehreren Anläufen - so wie bei Anna Sommer und Kerstin Heller.

Dieser Prozeß zu einer autonomen Gestaltung von Lebensptraxis soll am Beispiel der der Fallanalyse von Helga Simon dargestellt werden.

Helga Simon's lebenspraktische Problematik ist gekennzeichnet von einem Defizit an Vertrauen und Selbstbewußtsein und einer dadurch nicht ungestört verlaufenden Autonomieentwicklung. Sie hat in ihrer Kindheit wenig Geborgenheit, soziale Nähe und Zuwendung erfahren. Darauf deuten mehrere Indikatoren in ihrer Lebensgeschichte: Die Scheidung der Eltern, die massive Angst vor einer endgültigen Kündigung dieser Beziehung durch den Selbstmordversuch der Mutter und das Fehlen von Bezugspersonen, die eine auf Vertrauen basierende Beziehung herstellen und die Entwicklung zu einer 'autonomen, mit sich identischen Person' zu fördern in der Lage gewesen wäre.

Dieses Defizit sucht sie zu kompensieren über die Installation eines äußeren Rahmens, der ihr den fehlenden inneren Halt im Leben geben soll. So sehr sie die Rahmung auch benötigt, erfährt sie ihn zugleich als massive Kontrolle über ihr Leben und als Verlust an Autonomie.

Aufgrund der spezifischen Sozialisationsbedingungen ist Helga nicht in der Lage, die Suche nach Ganzheit (Geborgenheit, soziale Nähe, Zuwendung) zu vermitteln mit ihrem Anspruch nach Autonomie. Der Ausschließlichkeitsbezug zwischen Ganzheit und Autonomie ist logisch angelegt und kann von Helga lebenspraktisch nicht in der Gestalt einer widersprüchlichen Einheit miteinander verbunden werden.

Ihre Ehe sollte den Rahmen abgeben, um Geborgenheit und Zuwendung auf Dauer zu etablieren. Bald erfährt sie die Rahmung jedoch als ein Kontrollsystem, das sie in ihrem Anspruch auf Autonomie massiv einschränkt. Schließlich trennt sie sich von ihrem Partner, erringt dadurch wieder neue Freiheitsräume in Richtung Autonomie, jedoch auch einen massiven Verlust an Geborgenheit und 'Ganzheit'. Ein Rest von 'Ganzheit' bleibt allerdings erhalten über die langfristig angelegten Beziehungen zu ihren beiden Töchtern. Sie ist im weiteren Verlauf ihrer Lebensgeschichte nie bereit, diese Beziehung aufzugeben.

Nach der Trennung beginnt sie, sich mit esoterischen Ganzheitsmodellen zu beschäftigen und kommt in diesem Zusammenhang in Kontakt mir einer Splittergruppe von Brahma Kumaris. Sie verläßt ihr Zuhause, um im Zentrum dieser Gruppe in Teneriffa das zu finden, was ihr in ihrem bisherigen Leben verwehrt wurde.

Sehr bald muß sie erkennen, daß auch in dieser Gemeinschaft ihr lebenspraktisches Problem nicht gelöst wird. Denn als Bedingung der ersehnten Ganzheitserfahrung wird von ihr die Verabschiedung von allen bisherigen Lebensbezügen - insbesondere die Trennung von ihren Kindern - verlangt und eine totale Unterwerfung unter eine Gottheit in der konkreten Gestalt der Sektenführerin, die sich als Mutter der Welt ausgibt. Zudem wird in der Gruppe ein freier Liebesring in Form von freier Sexualität praktiziert, das ihrem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit in langfristig angelegten Beziehungen widerspricht. Erneut wird Helga vor die Alternative gestellt: Entweder die Erfahrung von Ganzheit unter Verzicht auf Autonomie oder die Vertreibung aus der Ganzheit in die isolierte Autonomie. Damit würde sich das Drama ihrer Kindheit (Selbstmordversuch der Mutter) wiederholen: Sie wäre ganz auf sich selbst gestellt und der Bezugsperson verlustig gegangen. Sie steht unter dem Zwang, auf die Erwartungen ihres Umfeldes eingehen zu müssen, obwohl die Erfüllung dieser Erwartungen die Fremdbestimmung ihres Selbst miteinschließt.

Das Leben unter den Bedingungen des forciert geschlossenen Systems der Gruppe wird für Helga sehr bald unerträglich. Der Ausweg, nach Hause zurückzukehren, ist ihr verwehrt, da sich dadurch das Drama nur noch steigern würde. Insofern ist sie gezwungen, sich mit ihrem lebenspraktischen Problem auseinanderzusetzen und es einer Lösung zuzuführen. Sie gerät in eine Krise, die sich bis zur Handlungsunfähigkeit steigert. So ist sie nicht mehr in der Lage, sich in ein Hotel 'einzuchecken'. Mehrmals verläßt sie die Gruppe und kehrt danach wie unter Zwang 'reumütig' in den Schoß der Gruppe zurück. Diesen Zwang zur Rückkehr angesichts fehlender Alternativen schreibt sie den 'übernatürlichen Fähigkeiten' der Sektenführerin zu. Auf dem Höhepunkt der Krise kommt es zu einem offenen Kampf zwischen Helga und der Sektenführerin. Helga wird vor die Alternative gestellt: Entweder ihr Leben ganz dem 'Babba' zu übergeben oder die Gruppe sofort zu verlassen. Beide logisch sich ausschließenden Optionen sind ihr verwehrt, denn in beiden Fällen würde sie sich für ein System der totalen Kontrolle entscheiden müssen. Im ersten Fall für das geschlossene System der Gruppe und im zweiten Fall für das Abhängigkeitssystem ihres Zuhauses, dem sie durch den Beitritt in die Gruppe gerade entflohen ist.

Angesichts dieser alternativlosen Entweder-Oder-Entscheidung in der Gestalt eines Ultimatums, entscheidet sie sich nicht hundertprozentig für Babba. Damit gibt sie - zunächst von ihr unbemerkt - dem Ultimatum eine in Nuancen andere Bedeutung, indem sie nicht mehr ausschließlich auf die an sie gestellten Erwartungen eingeht, sondern anfängt, den alternativlosen Optionen einen eigenen Sinn zu geben. Sie hält die Option offen, in der Gruppe zu bleiben, allerdings unter der Bedingung, sich nicht total für Babba entscheiden zu müssen. Das bedeutet für Helga konkret, daß sie die Beziehung zu ihren Töchtern nicht aufzugeben bereit ist.

Die Sektenführerin kann von ihrem Ultimatum nicht abrücken, sonst würde sie vor der Gruppe ihre Autorität verlieren. Sie verlängert aber die Frist bis zur endgültigen Entscheidung nochmals bis zum nächsten Morgen. In dieser für sie horrenden Nacht beschließt Helga S. ein Spiel zu spielen und die Sektenführerin mit ihrer eigenen Taktik zu schlagen. Am nächsten Morgen übergibt sie scheinbar ihr Leben dem Babba, lebt noch einige Zeit in der Gruppe und bereitet heimlich ihrer Abreise nach Deutschland vor.

In diesem Spiel, das sie erst zu spielen in der Lage ist, nachdem sie gegen ihre bisherigen verpflichtenden Regeln verstoßen hat, macht sie eine Erfahrung, die ihr hilft, ihr Ausschließlichkeitsproblem praktisch zu lösen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie die an sie herangetragenen Erwartungen als absolute Größen betrachtet, auf die im Modus einer Entweder-Oder-Logik eingegangen werden mußte. An diesem Abend hatte Helga aber die Erfahrung gemacht, daß selbst einem Ultimatum eine etwas andere Bedeutung zugesprochen werden kann, die den Setzer des Ultimatums zwingt, den auf die beiden Optionen eingeschränkten Entscheidungsspielraum zu erweitern. Sie hat erfahren, daß lebenspraktisches Handeln in jeder Situation Freiheitsgrade erlaubt, indem der Situation eine eigene Bedeutung zugesprochen wird, die mit der vorgegebenen Bedeutung nicht unbedingt übereinzustimmen braucht, die aber sowohl einen Anschluß an die Vorbestimmtheit ermöglicht, zugleich aber neue Optionen eröffnet. Helga S. hat in dieser Nacht wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben bewußt ihre eigene Mitte lebenspraktischen Handelns erfahren und entdeckt.

Von dieser Mitte aus wird es möglich, auf Vorgegebenheiten nicht nur zu reagieren, sondern diese in einem kommunikativen Diskurs mitzugestalten. Bisher war das Ausschließlichkeitsproblem immer bezogen auf Erwartungen, die an sie herangetragen und denen sie zu entsprechen hatte. War bisher der Fokus ihrer Wahrnehmung auf die Erfüllung von Erwartungen gerichtet, so hat sich jetzt die Perspektive gewandelt in Richtung einer Fokussierung des Interesses auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Erwartungen. Helga betrachtet die Welt mit einem neuen Selbstbewußtsein, weil sie bei sich selbst angekommen ist und von dort aus die Welt neu in den Blick bekommt.

Die Lösung ihres lebenspraktischen Problems ist allerdings nicht zu sehen in der fortgesetzten Täuschung anderer, vielmehr in der Erfahrung der Offenheit von Optionen, die in einer ausweglos erscheinenden Situation selbst das Handlungsmuster der Täuschung erlauben, ohne sich selbst 'untreu' zu werden und die eigene Authentizität zu verlieren. Handeln aus der Lebensmitte heraus bedeutet, daß man an den Perspektiven von Autonomie und Ganzheit zugleich festhalten kann, ohne sie allerdings endgültig zu realisieren. Hatte Helga bisher Ganzheit immer außerhalb ihrer selbst gesucht und von Anderen erwartet, daß ihr Liebe und Vertrauen entgegengebracht wird, so entdeckt sie jetzt, daß sie die Ganzheit, die sie sucht, nur bei sich selbst finden kann, nämlich indem sie entsprechende Beziehungen eingeht und sie eigenständig in gegenseitiger Bezugnahme gestaltet. In dieser Art der Gestaltung von Beziehungen muß sie sich weder aufgeben, noch ist sie den Erwartungen und Vorgaben der Anderen willkürlich ausgeliefert. Helga hat in der Auseinandersetzung mit Helen L. Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen erworben.

Diese tiefgreifende Erfahrung und die veränderte Sichtweise führen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland auch zu veränderten Beziehungen sowohl zu ihrer Ursprungsfamilie als auch zu ihrem ehemaligen Mann und zu ihren Kindern.

Helga Simon hat unter dem Druck einer Lebenskrise für sich eine neuartige Lösungsstrategie gefunden, um ihr Lebensthema gültig zu bearbeiten. Die sich gegenseitig ausschließende Sehnsucht nach 'Ganzheit' und die Gestaltung ihrer Praxis in autonomer Regie bringt sie jetzt in ihrer Person zusammen. Sie hat erkannt, daß Erwartungen anderer nicht überfüllt werden müssen. Selbst unter den Bedingungen eines Ultimatums kann den Optionen eine eigene Bedeutung zugesprochen werden und damit die übermächtige Fremdbestimmung über eigenständiges Handeln unterlaufen werden.

Die Essenz ihres Lernprozesses in Auseinandersetzung mit Helene L. und ihrer Gemeinschaft faßt sie gegen Ende des Interviews so zusammen:

... und habe die Selbstfindung im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. Also, daß ich keinen anderen Menschen dazu brauche, sondern daß es wichtig ist, mit mir selber, was die Selbstfindung einfach ausdrückt, klar zu kommen. Und äh, ja, seitdem geht's mir wirklich gut. (I 557)

Diese Aussage ist ein deutliches Indiz, daß Helga S. das Ausschließlichkeitsdilemma, das sie von Kindheit an in Form einer Defiziterfahrung begleitete, in für sie befriedigender Weise gelöst hat. Zur Lösung dieses Problems hat die Gruppe, wenn auch unbeabsichtigt, einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Diese Einschätzung soll keineswegs die Machtansprüche und Unterwerfungsstrategien der Gruppe legitimieren, sie will vielmehr darauf verweisen, daß sich Konflikte und Problemlagen, die das individuelle Leben bestimmen, nicht auf Dauer unterdrücken lassen, sondern einer Lösung entgegenstreben, und sei es unter den Bedingungen, die eine autoritär strukturierte Gruppe vorgibt.

Die Probanden haben sich in einem krisenhaften und langen Prozeß einen mehr oder weniger autonomen Modus der Lebensgestaltung angeeignet. Die biographischen Verläufe haben gezeigt, daß dieses Ziel nicht direkt erreicht wurde, sondern über den Umweg eines Moratoriums, in dem das Lebensthema und die Selbstspannungen in einem entlastenden und zugleich in neuer Weise belastenden Milieu bearbeitet werden. In allen Fällen konnte aber gezeigt werden, daß unter den Bedingungen von Pluralisierung und Individualisierung Lebenssinn letztlich nicht einfach vorfindlich und als religiös Vorgegebenes übernommen werden kann. Vielmehr ist er jedem Mensch zur 'Selbstkonstruktion' aufgegeben. Diese Art der Praxis unterscheidet sich sowohl vom Konzept der Delegation von Lebenspraxis - denn die Konstruktion von Lebenssinn und die Gestaltung des eigenen Lebens ist nicht an Dritte abzugeben - als auch vom Konzept des Rückzugs in symbiotisch gelagerte Gesinnungsgemeinschaften - denn Lebenssinn läßt sich nur gewinnen in Auseinandersetzung mit konkreten lebenspraktisch-sozialen Bezügen.

5. Generelle Aspekte und Beobachtungen

Neben zahlreichen Einzelaspekten, die in der zusammenfassenden Darstellung nicht berücksichtigt werden können, sollen abschließend neun generelle Aspekte und Beobachtungen thematisiert werden.

(1) Will man den Menschen im Umgang mit den jeweiligen Gruppen gerecht werden, so muß die gesamte Lebensgeschichte berücksichtigt werden. Der Bearbeitung des Lebensthemas im Kontext der Gruppe sind andere Bearbeitungskontexte vorausgegangen. Was in einer isolierten Betrachtung als Besonderes der jeweiligen Gruppenkultur wahrgenommen wird, kann sich in der Analyse der gesamten Lebensgeschichte als Wiederholung von Mustern herausstellen, mit denen das Lebensthema bereits in anderen Kontexten (Familie, Partnerschaft etc.) bearbeitet wurde.

(2) Das Lebensthema kann stellvertretend in einer religiösen Gruppe bearbeitet werden, weil es am Ort seiner Genese 'blockiert' ist. Es haben sich in den Fallanalysen mindesten drei Arten der 'Verlagerung' gezeigt:

- Das lebenspraktische Problem wird in die Gruppe verlagert mit dem Ziel, die Entwicklungsdynamik und den Lösungsdruck stillzulegen. Das Problem soll eingefroren werden. (Beispiele dafür sind Lara Klein und Sigurd Lenzig.)

- Die Gruppe wird als Moratorium benutzt, um das Problem unter anderen Bedingungen erst bearbeitbar zu machen. (Beispiele dafür sind Ma Samvoda und Anna Sommer).

- Schließlich kann eine Gruppe als gestalterisches Mittel eingesetzt werden, um das Lebensthema zu entfalten (siehe Gertrud Fabian).

(3) Die je eigene Problematik eines Lebensthemas bedingt einen unterschiedlichen Zugriff auf eine Gruppe, da von jedem Individuum je eigene Kontexte der Gruppe in einen Zusammenhang mit dem Lebensthema gebracht werden. Die Hare Krishna-Gruppe stellt sich für Lara K. zuerst als Einheitsraum dar, danach als Manipulationsinstanz, für Sigurd L. als Schutzraum und für Gertrud F. als Gestaltungsraum. Ähnlich unterschiedlich wird von Maria Zeller, Niklas und Ellen Hofmeister die Vereinigungskirche kontextuiert.

(4) Zwischen Bleibern und Aussteigern zeigen sich in Bezug auf die Bearbeitung des Lebensthemas keine Unterschiede. Bleiber haben das lebenspraktische Problem, das sie mit der Gruppe in Verbindung bringen, entweder für sich befriedigend gelöst oder sie bearbeiten es noch im Kontext der Gruppe. Aussteiger dagegen konnten entweder das individuelle lebenspraktische Problem nicht lösen und haben die Gruppe deshalb gewechselt. Das war bei Lara Klein der Fall, die von Hare Krishna in eine Partnerschaft gewechselt ist, die erneut symbiotische Strukturen zeigt. Mit dem Ausstieg und Wechsel hat sie ihr lebenspraktisches Problem nicht gelöst, sondern erneut stillgelegt. Es ist zu erwarten, daß die implizite Dynamik des Lebensthemas zu erneuten Wechseln des Milieus führen wird. Oder die Gruppe wurde von Aussteigern als Moratorium benutzt, so daß das Lebensthema überhaupt bearbeitbar wurde. Nach einer für sie befriedigenden Lösung haben sie die Gruppe wieder verlassen und sind in die Alltagswelt zurückgekehrt. Typisch für letzteren Verlauf sind die Fallanalysen von Anna Sommer, Helga Simon und Kerstin Heller. Auch in der Biographie von Ma Samvoda und Niklas Hofmeister zeigt sich ein ähnlicher Verlauf, auch wenn beide die Gruppe nicht verlassen, sondern zu ihr Distanz gewonnen haben.

(5) In der Bearbeitung des Lebensthemas sind zwei diametral sich unterscheidende Lösungsstrategien auszumachen.

Im ersten Fall wird eine Lösung gesucht über den Rückgriff auf Bekanntes. Gerade in Krisen wird man versuchen, das Problem mit jenen Mitteln, Strategien und Routinen zu lösen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Im Modus des Rückzugs in symbiotisch gelagerte Gesinnungsgemeinschaften und der Delegation von Lebenspraxis wird diese Lösungsstrategie bevorzugt. Sie kann noch gesteigert werden, indem man die eigene Praxis unter eine wissenschaftliche Theorie oder religiöse Lehre subsumiert, um daraus die Sicherheiten und den Halt für das Leben abzuleiten.

Im zweiten Fall wird eine Lösung gefunden, indem die Person eine für sie neuartige Entdeckung macht. Das spezifische Merkmal einer Krise ist es, daß Routinen, Überzeugungen und bisher bewährte Handlungsmuster nicht mehr greifen, aber eine überzeugende Lösung noch nicht in Sicht ist. In der Fallanalyse von Helga Simon konnte gezeigt werden, daß erst in der Steigerung der Krise eine Lösung entdeckt wurde, die das seit ihrer Kindheit virulente lebenspraktische Problem bearbeitbar machte, weil sie es urplötzlich aus einer anderen Perspektive betrachten konnte.

(6) Die Probanden haben - unabhängig von der Offenheit bzw. Geschlossenheit des Milieus - ihre je eigenen Bezüge zur Gruppe und zur Außenwelt geschaffen und damit unterschiedliche Bedingungen hergestellt, wie sie ihr lebenspraktisches Problem bearbeiten.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich Lara Klein auch in Zukunft symbiotisch geschlossene Systeme suchen, die ein Leben in innerer Weite sichert unter weitestgehendem Verzicht auf die Widerständigkeit der Realität. Die Partnerschaft, die Lara eingegangen ist, enthält aber auch die Chance der konkreten Bearbeitung ihrer Problematik und damit eine Lösung in Richtung einer direkten Auseinandersetzung mit lebenpraktischen Belangen.

Als Ellen Hofmeister sich in England in einen Studenten verliebte, hätte sie die Chance zu einem autonomen Leben in einer langfristig angelegten Partnerschaft ergreifen können. Damals hatte sie jedoch keine Bezüge zur Alltagsrealität, so daß die Geliebtenrolle transformiert wurde in eine innerhalb des Regelwerks der Vereinigungskirche akzeptierte Mutter-Sohn-Rolle.

Bei Niklas Hofmeister waren aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland die Übergänge in die Außenwelt offener. Er konnte sich über Erfolg und Bewährung im Beruf in die Alltagswelt integrieren und wurde zugleich kritischer gegenüber einem System, das die Praxis über Ableitung aus Theorien zu bestimmen suchte.

(7) In allen Fällen, in denen die Gruppe als Moratorium benutzt wurde und eine Auseinandersetzung mit der Alltagspraxis, sei es über den Beruf oder soziale Beziehungen, stattgefunden hat, konnte das lebenspraktische Problem befriedigend gelöst werden. Betrachtet man den Gesamtverlauf dieser Biographien, so ist eine Veränderung des Bearbeitungsmusters eingetreten, die den Individuen erlaubt haben, ihre Lebenspraxis angemessener, d.h. mit weniger Leidensdruck zu gestalten.

In den Erzählungen der Probanden ist zudem deutlich geworden, daß sich auch die Gruppen in den letzten 25 Jahren gewandelt haben. In der Gründungsphase waren andere Strategien und Verhaltensmuster vorherrschend als heute. Gabi Fabian hat in ihrer Biographie überzeugend dargestellt, wie sich die Hare Krishna-Gruppe gewandelt hat von einer Religion, die ausschließlich in der Geschlossenheit eines Ashrams praktiziert wird zu einer Religion, die bestrebt ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren und das Konzept der Gemeindebildung favorisiert.

Auch die Vereinigungskirche scheint sich von einer Agitationsreligion ohne inhaltlichen und sozialen Problembezug und ohne Geselligkeitspotential (Schöll 1992, S.245 und Zwischenbericht der Enquete-Kommission 1997, S.99) gewandelt zu haben zu einer Kirche, die Konzepte der Gemeindebildung mit Merkmalen der individuellen Entwicklung, der Kontinuität und Vernetzung unterstützt. Zumindest in der Erzählung von Ellen Hofmeister über die Arbeit in ihrer Gemeinde kann dieser Innovationsprozeß nachvollzogen werden. Auch die Transformationsleistungen von der Agitationsreligion in London zu gemeindebildenden Strukturen in Deutschland wurden im Lebenslauf von Ellen H. sichtbar.

(8) Massive manipulative Vereinnahmungsstrategien von Seiten der Gruppen konnten in den Fallanalysen nicht festgestellt werden.

In zwei Interviews wird den Gruppen Manipulation vorgeworfen. Lara Klein äußert den Manupulationsvorwurf gegenüber Hare Krishna erst, als sie die Gruppe verlassen hat und aus entgegengesetzter Perspektive im Raster eines dualistischen Schemas ihre Zeit bei dieser Gruppe beurteilt. Gegen diese Sichtweise sprechen die folgenden Sachverhalte:

- Von den Leitern der Gruppe wird ihr der Wunsch abgeschlagen, sofort ganz in den Tempel zu ziehen und dadurch jeden Kontakt zur Außenwelt abzubrechen.

- Manipulation ist Teil der Sicht ihrer Wirklichkeit. Sie fühlt sich von jeder gesellschaftlichen Institution wie der Kirche und Politik etc. manipuliert.

- In der Fallrekonstruktion wird deutlich: Ihr Manipulationsvorwurf ist eine Reaktion auf den Umstand, daß sie aufgrund mangelnden Selbstbewußtseins zu einer autonomen Gestaltung ihrer Lebenspraxis (noch) nicht in der Lage ist.

Schon eher kann von manipulativen Tendenzen von Seiten der Sektenführerin im Fall von Helga Simon gesprochen werden. Helga Simon verbindet den Manipulationsverdacht mit telepathischen Fähigkeiten der Sektenführerin. In der Fallrekonstruktion konnte aber nachgewiesen werden, daß die manipulative Beeinflussung Ausdruck ihres lebenspraktisch angelegten Dilemmas war. Nachdem sie ihre Problematik gelöst hatte, löste sich zugleich auch der wahrgenommene Einfluß der Sektenführerin auf ihr Leben auf.

Wenn sachhaltig von Manipulation gesprochen wird, muß im Einzelfall nachgewiesen werden, daß der von den Probanden hergestellte Zusammenhang der Bearbeitung des Lebensthemas mit den Angebotsstrukturen der Gruppe einseitig von Seiten der Gruppe mißbraucht. Das ist dann der Fall, wenn der von Individuen hergestellte Kontext von der Gruppe einseitig für eigene Zwecke ausgenützt wird.

(9) Enttäuschungen von Seiten betroffener Eltern über gestörte Beziehungen zu ihren Kindern wandeln sich oft in Agressionen, die sich auf die Gruppen richten, in denen sich die erwachsenen Kinder engagieren. Bestenfalls können über entsprechende medienwirksame Aktionen von Seiten der organisierten Eltern die Gruppen in legitimatorische Schwierigkeiten gebracht werden. Die Bearbeitung der Beziehungsprobleme steht aber weiterhin aus und wird nach jeder öffentlichen Aktion umso dringender.

6. Literatur

Eliade,Mircea.: Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr. Frankfurt/M 1986

Helsper, Werner: Religion und Magie in der modernen Adoleszenz. (Habilitationsschrift).

Noam, Gil G.: Selbst, Moral und Lebensgeschichte. In: Edelstein, W. und Nummer-Winkler, G.Hg.): Moral und Person. Frankfurt/M. 1993, S.171-199.

Oevermann, U. u.a.: Die Methodologie einer "objektiven Hermeneutik" und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Soeffner,H.G. (Hg.): Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart 1979, S.352-434.

Schöll, Albrecht: Zwischen religiöser Revolte und frommer Anpassung. Die Rolle der Religion in der Adoleszenzkrise. Gütersloh 1992.

Schöll, Albrecht, Fischer, Dietlind: Lebenspraxis und Religion. Fallstudien zur subjektiven Religiosität von Jugendlichen. Gütersloh 1994.

Schöll, Albrecht: "Einfach das Leben irgendwie nicht verpennen”. Zur Funktion religiöser Deutungsmuster in der Adoleszenz. In: Karl Gabriel (Hrsg.): Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung. Biographie und Gruppe als Bezugspunkte moderner Religiosität, Gütersloh 1996, S.112-129.

Schütze, Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien 1. Fernuniversität Hagen 1987

V. Teilprojekt "Psychokulte/Esoterik" im Forschungs- projekt "Aussteiger,
Konvertierte und Überzeugte - kontrastive Analysen zu Einmündung,
Karriere, Verbleib und Ausstieg in bzw. aus 'neureligiösen' und
weltanschaulichen Milieus oder Gruppen"

Prof. Dr. Werner Fuchs-Heinritz, Fernuniversität Gesamthochschule Hagen,
unter Mitarbeit von Renate Kolvenbach MA und Dipl.-Päd. Charlotte Heinritz

Fragestellungen, Ziele

Die Ziele dieses Teilprojekts "Psychokulte/Esoterik" sind folgendermaßen verabredet worden:

"Kontrastierungen zwischen 'Aussteigern' und 'Verweilern'; Eruierung verschiedener Bleibe- und Ausstiegsmotive; Vergleiche in den 'Aussteiger-' und 'Verweilergruppen'; Feststellung individueller Dispositionen in Zusammenhang mit Gruppenangeboten und -strukturen aufgrund biographischer Verläufe.

Allgemein: Über die subjektiv-lebensgeschichtlichen Bedeutungsstrukturen Aussagen über 'Aussteiger' und 'Verweiler' für die unterschiedlichen religiösen Milieus zu erlangen, Formen und Verläufe von Verweilbiographien herauszuarbeiten und damit Erkenntnisse darüber zu gewinnen, in welcher Weise das eigene Handeln der Individuen, ihre Bedürfnisse nach Sinn und Gestaltung mit Gruppenangeboten und -strukturen zusammenwirken." (Leistungsbeschreibung, 28.11.1996) 12 bis 16 narrative Interviews sollten erhoben werden; die Interpretation sollte sich an den von A.Strauss und F.Schütze entwickelten methodologischen Kriterien orientieren.

Forschungsdesign

Die von A. Strauss begründete qualitative Methodologie geht von folgender Überlegung aus: In der sozialen Wirklichkeit vollziehen sich soziale Prozesse (z.B. biographische Verläufe) nicht in unendlicher Variation, sondern in von der Anzahl her überschaubaren typischen Ablaufformen. Hinter dieser Annahme steht die Erkenntnis, daß das soziale Leben durch Normen, Sitte, Brauch, Gewohnheit usw. geordnet ist. Hat man diese typischen Ablaufformen für einen Gegenstandsbereich identifiziert, so kennt man das soziokulturelle Repertoire, den Möglichkeitsraum, in dem sich der entsprechende soziale Prozeß verwirklichen kann. Dies Repertoire - abgebildet als Typologie von gegeneinander kontrastierenden Prozeßformen - informiert darüber, welche Ablaufformen ein sozialer Vorgang (in einer gegebenen gesellschaftlichen Situation) annehmen kann. Dies Repertoire ist das Ergebnis einschlägiger Forschung, ist die Theorie des in Rede stehenden sozialen Prozesses.

Die Frage nach "häufig" oder "selten" ist für den Versuch irrelevant, das soziokulturelle Repertoire von Prozeßformen zu identifizieren. Hier muß man sich vom Denkmodell der Repräsentativstudie lösen. Eine qualitative Studie mit 18 Interviews taugt sowieso nicht zum Schluß auf irgendeine Grundgesamtheit; Angaben über interne Verteilungen (etwa Prozentuierungen) wären sinnlos.

Damit eine Typologie kontrastierender Varianten für einen bestimmten sozialen Prozeß gebildet werden kann, wird bei Erhebung und Interpretation kontrastierend vorgegangen. Bei der Suche nach Befragten muß darauf geachtet werden, weit auseinanderliegende Fälle zu erreichen; das zweite Interview soll z.B. mit einem Befragten geführt werden, bei dem die Prozeßform vermutlich ganz anders ist als beim ersten Befragten, entsprechend das dritte usw. (Prinzip des theoretical sampling). Analog bei der Interpretation: Zunächst werden im Interviewmaterial die stark gegeneinander kontrastierenden Fälle gesucht und in ihrer Konstellation untersucht (Prinzip des maximalen Kontrasts). Danach werden benachbart liegende Fälle hinzugefügt (Prinzip des minimalen Kontrasts). Die Typen werden jeweils an einem Hauptfall entwickelt und dann anhand verwandter, aber weniger konturierter Fälle ergänzend beschrieben. Die Typen sind also Abstraktionen, gebildet aus dem Material mehrerer ähnlicher und zu anderen Fällen stark kontrastierender Fälle.

Als Instrument zur Erhebung von sozialen Prozessen in biographischer Dimension ist das von F.Schütze entwickelte narrative Interview geeignet. Es bringt den Befragten dazu, selbst erlebte Ereignisverläufe erzählend (sowie berichtend, bewertend usw.) darzustellen, "so wie sie sich zugetragen haben", d.h. als Geschichte, in die man selbst (handelnd, erleidend) verwickelt war. Die methodologische Annahme (erzähltheoretisch begründet) ist: Die Erzählung von selbst erlebten Ereignisverläufen erbringt eine hinreichend gute Abbildung der Geschehnisse damals, also valide Daten. Sprünge von narrativer zu berichtender, evaluativer oder argumentativer Darstellungsweise sind Indikatoren dafür, daß die Abbildfunktion des vergangenen Geschehens brüchig wird.

Grenzen von Forschungsansatz und Methode

a) Zwar rechnet die Erfahrungsregel des narrativen Verfahrens mit 25 bis 35 Interviews (nach dem Prinzip des theoretical sampling erhoben), um eine "Sättigung" der empirischen Informationen erreichen zu können, also um sicher zu sein, daß weitere Varianten (Typen) im Gegenstandsfeld nicht auftreten. Jedoch reichen die hier vorliegenden 18 Interviews ohne weiteres aus, die relevanten Dimensionen von Einmündung/Verbleib bzw. Ausstieg zu identifizieren. Durch Gedankenexperiment und aufgrund der einschlägigen Literatur können im Interviewmaterial nicht abgebildete Typen hypothetisch bezeichnet werden.

b) Das narrativ-biographische Interview fordert die Befragten zur Darstellung der Begegnung mit einer Gruppierung o.ä. und der Folgen als persönliche Erfahrung im lebensgeschichtlichen Zusammenhang auf. Zwar ergeben sich in diesem Zusammenhang vielfach Schilderungen von Situationen, Praktiken, Strukturen und Denkweisen in diesen Gruppen; biographisch-narrative Interviews geben jedoch nicht systematisch Auskunft über Gruppen, Seminarveranstalter usw.

c) Aus den Forschungen zur Konversion stammt der Gedanke, bei der Konversion (bzw. Dekonversion) handele es sich um einen derart einschneidenden Wandlungsprozeß, daß die ganze Biographie bis zur Wandlung von dieser her gefärbt, ja retuschiert sei. Das narrative Interview ist nun gerade zu dem Zwecke entwickelt worden, solche retrospektiven Umdeutungen am Text identifizieren zu können, und sieht hierzu viele textuelle Kriterien vor.

d) Die aufgeregte und oft grobschlächtige öffentliche Rhetorik zum Thema "Sekten" dürfte in den biographischen Interviews zu Tendenzen führen, auf diese öffentliche Rhetorik hin zu argumentieren, schärfer parteilich zu sprechen als es der persönlichen Erfahrung entspräche, oder Sachverhalte und Erfahrungen kontrolliert, quasi unter Selbstzensur darzulegen. Dafür finden sich in den Interviews in der Tat allerhand Beispiele. Um sie zu identifizieren, verfügt das narrative Verfahren aber ebenfalls über vielfältige Anhaltspunkte.

Erhebung und Auswertung

Im ersten Teil des narrativen Interviews wird der Befragte durch einen Erzählstimulus zur ausführlichen Erzählung eines (biographischen) Erfahrungskomplexes aus persönlicher Perspektive angeregt; der Interviewer stellt keine Fragen, sondern achtet darauf, daß der Befragte seine Erfahrungen möglichst erzählend vorbringt. Der zweite Teil besteht aus (narrativ angelegten) Nachfragen zum ersten, im dritten Teil sind exmanente Nachfragen möglich.

Der Erzählstimulus lautete:

(für Anhänger) "So, du weißt/Sie wissen ja, ich interessiere mich für besondere spirituelle Erfahrungen. Bitte erzähle/erzählen Sie jetzt ausführlich, wie du/Sie zur X-Gruppe/X-Erfahrung gekommen bist/sind und wie sich alles weitere ergeben hat.
(für ehemalige Anhänger) "... wie du/Sie zur X-Gruppe/X-Erfahrung gekommen bist/sind und wie du/Sie dich wieder gelöst hast/haben.
(für beide) Ich werde deine/Ihre Erzählung nicht durch Fragen unterbrechen, damit ich alles gut verstehen kann."

Im dritten Interviewteil sollten zu einigen Punkten exmanente Fragen gestellt werden (z.B. zur Religiosität der Eltern, zur Grundstimmung in der Jugendzeit, zu Schulweg, Berufsausbildung und Berufsweg, zum Verhältnis zu den Eltern heute). Zum Schluß des Interviews sollten äußere Daten erfragt werden (soweit sie sich im dem bisherigen Interviewverlauf noch nicht ergeben haben), z.B. Alter, Geburtsort, momentane Berufssituation, Familienstand.

Die Rekrutierung von Interviewpartnern fiel zunächst schwer. Durch Serienbriefe und darauf folgende Telefongespräche wandten wir uns an Experten im Umkreis der Kirchen, an Sektenberatungs-Stellen, an Medienvertreter, an wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten und an nicht institutionell gebundene Elterninitiativen. Wir trafen dabei meist auf geringe Kooperationsbereitschaft. Wenn hierfür Gründe angegeben wurden, so die folgenden: Skepsis gegenüber der Enquête-Kommission, ja Mißtrauen in deren Arbeit; Zweifel am Sinn des Forschungsvorhabens und allgemeine "Forschungsfeindlichkeit"; Wunsch, die zur Beratung gekommenen Menschen vor einer "wissenschaftlichen Durchleuchtung" zu schützen. Mit einiger Verzögerung gelang es dann aber, vor allem durch die Hilfe von einzelnen Sektenberatern und durch persönliche Bekanntschaft, geeignete Interviewpartner zu finden.

Erhebungszeitraum war Mai bis September 1997. Zur Durchführung der Interviews waren Fahrten innerhalb Nordrhein-Westfalens, aber auch Reisen nach Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Berlin, Brandenburg notwendig. Acht Interviews wurden mit "Anhängern" und zehn mit "ehemaligen Anhängern" geführt.

Für die Validität der erhobenen Daten gelten als wichtigste Kriterien, ob erstens der Befragte den Eingangsstimulus verstanden und akzeptiert hat, ob also ein narratives Interview überhaupt zustande kam, und zweitens der Narrativitätsgrad. Das erste Kriterium ist in allen Interviews erfüllt, das zweite ist in mindestens befriedigendem Grad gegeben.

Von den 18 Interviews werden drei Interviews nicht in Analyse und Ergebnisdarstellung einbezogen: Zwei Fälle können nach ihrer Haupterfahrung nicht einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden, sondern handeln von esoterischen Erfahrungen und Praktiken im allgemeinen (Astrologie, magische Kräfte, spezielle Heilkräfte, Kartenlegen usw.), ein Interview erwies sich wider Erwarten als unergiebig für die biographische Entwicklung.

Bei der Transkription sind wir den Regeln gefolgt, die das Teilprojekt von Prof.Dr.Streib entwickelt hat.

Zur Interpretation: Nach erster Durchsicht des einzelnen Interviews wurden zunächst die Interviewernotizen zur Befragungssituation und die äußeren Informationen über den biographischen Verlauf des Befragten zusammengestellt. Zehn Interviews wurden in der Interpretationsgruppe sequenzanalytisch durchgearbeitet, die anderen durchgesehen und knapper erörtert.


Reichweite des empirischen Materials

Als Beleg für die Streuweite des empirischen Materials und zur Information darüber, mit welchen Gruppierungen die Befragten zu tun haben bzw. hatten, einige Notizen zu diesen Gruppierungen, Seminarveranstaltern usw.:

Ayahuasca

Eine in Deutschland offenbar nicht organisierte Gruppe, die sich einem aus Brasilien kommenden "Kult" verbunden fühlt. Dieser will mit Hilfe der Droge Ayahuasca (auf pflanzlicher Basis) spirituelle Erfahrungen und auch therapeutische Wirkungen erreichen.

Bruno-Gröning-Kreis

Diese Gruppierung beruft sich auf den "Wunderheiler" Bruno Gröning (1906-1959). Grete Häusler hat auch nach seinem Tod den "Heilstrom" gespürt und sich seitdem für eine Verbreitung seiner Lehre eingesetzt. "Geistige Heilung", "Geistheilung" oder "Heilung auf geistigem Wege" geschieht danach, indem der Kranke die "Heilkraft" den Praktiken der Gruppierung folgend in sich aufnimmt. Hierbei ist eine spiritistische Vorstellung im Spiel: "Da die Aufnahme des göttlichen Heilstromes, weil geistiger Natur, nicht an Bruno Grönings materiellen Körper gebunden ist, kann man also auch heute noch, nach seinem Tode im Jahre 1959, Hilfe und Heilung erfahren." Seit Ende der 1980er Jahre wächst der Bruno-Gröning-Freundeskreis stark an, in dessen Lehre deutlich Elemente des "positiven Denkens" aufgenommen sind.

Hannes Scholl

Von Hannes Scholl (München) begründetes Verfahren unter wechselnden Namen, mit Elementen aus Landmark, Hinduismus, allgemeiner Esoterik.

Kontext

Eine GmbH mit Sitz in Berlin, gegründet 1994. Die Seminare werden von Reinhild und Ekkehard Drögsler geleitet. Das Grundseminar trägt den Titel "Beziehung und Kommunikation" o.ä. Fortgeschrittenenseminare (u.a. zu "Love and Success") werden angeboten. Grundgedanke ist, daß die Menschen eine Haltung zum Leben haben, die für viele Störungen und Mißerfolge verantwortlich ist, und die in ihrer Wirkung unterbrochen werden kann. Die Lebensberatung der Seminare schlägt vor allem vor: sich für einen heterosexuellen Partner entscheiden, heiraten und Kinder bekommen.

Landmark

Landmark Education ist eine Firma (Sitz in München) und nutzt ein von dem Amerikaner Werner Erhart entwickeltes Verfahren. Verfahren und Organisation sind zunächst als est, später als Centers Network oder Forum bekanntgeworden. Nach einem Einführungsabend für Interessenten kann man sich für das "Forum" melden, ein Wochenendseminar, das die Kernerfahrung vermittelt. Wer will, kann dann am "Forum in Aktion" teilnehmen, einer über einige Wochen hingehende Seminarreihe, die der Vertiefung der Prinzipien dient und ihre Anwendung üben soll. Kurse für Fortgeschrittene werden angeboten, nach denen man "Coach" bzw. "Trainer" werden kann, Berater für andere oder Leiter von Informationsabenden.

Landmark legt Wert auf soziale Vernetzung seiner Teilnehmer: Jeweils zwei Tage nach dem "Forum" wird ein Resultateabend veranstaltet, an dem die Teilnehmer des Forums ihre Erfahrungen mitteilen und Verwandte, Freunde, neue Interessenten für den Kurs mitbringen sollen. Es wird angeregt, daß die Absolventen des Forums die erlernten Arbeitsprinzipien in ihrem sozialen Feld (am Arbeitsplatz o.ä.) einsetzen; hierbei werden sie beraten durch erfahrenere Landmarker.

Life Coaching

Eine Firma (Craemer & Team GmbH & Co) mit Sitz in Bielefeld. Die Gründer, eine Psychologin und ein Soziologe, arbeiten nach ihrem Konzept seit 1986. Einem Prospekt zufolge: "Sie können lernen, nicht passives Opfer der Umstände zu sein, in denen Sie leben, sondern als eigener Regisseur die Umstände Ihres Lebens selbst zu gestalten. Im sportlichen Bereich würde man das so ausdrücken: LifeCoaching hilft Ihnen, mit einer optimalen mentalen Einstellung für Ihr Leben an den Start zu gehen."

Angeboten werden nach einem Grundseminar ("Training") und einem Fortgeschrittenenseminar auch thematisch orientierte Seminare (z.B. "Beziehungs-Training"). Life Coaching regt die Teilnehmer zur Bildung von Gruppen an, die sich weiterhin treffen und gegenseitig beraten.

Quadrinity Prozess

Dies Therapiekonzept, auch Hoffmann-Prozeß genannt, stammt aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wurde von Robert Hoffman begründet und wird seit ungefähr 1989 in Deutschland angeboten. Es hat Ähnlichkeiten mit Janovs Primärtherapie.

Die vier Bereiche der Persönlichkeit (daher Quadrinity): Körper, Gefühlsleben, Intellekt und Spiritualität, die normalerweise nicht miteinander harmonieren, sollen zu einem Ganzen gefügt werden. Von den Eltern hat man als Kleinkind Negativeigenschaften ("Muster") übernommen. Der Ablauf des eine Woche dauernden "Prozeß" ist folgender: Zunächst werden die Teilnehmer veranlaßt, die von den Eltern übernommenen "Muster" zusammenzustellen; unterstützt durch suggestive Mittel versetzen sich die Teilnehmer in ihre Kindheit zurück. An zwei Tagen schlagen die Teilnehmer auf Kissen ein und schreien dabei diese "Muster" heraus, um sie Mutter und Vater "zurückzugeben". Danach sollen sich die Teilnehmer in die Kindheit ihrer Eltern versetzen, um zu erfahren, daß diese die "Muster" wiederum von ihren Eltern übernommen haben. Dies soll zu einer inneren Versöhnung mit den Eltern führen. Ein weiteres Ziel ist die Hereinnahme des spirituellen Bereichs in das Selbst. Hierbei spielt ein "spiritueller Führer" o.ä. eine Rolle, über den sich aufgrund der vorliegenden Informationen nichts sagen läßt.

Die Veranstalter bieten keine weitere therapeutische Beratung an, sie raten nicht zur Gruppenbildung von Absolventen im Anschluß an die Seminare und empfehlen nicht den Besuch von Fortsetzungsveranstaltungen.

Silva Mind

Auch Silva Mind Control oder Silva Method, ein von dem Amerikaner José Silva in den 1940er Jahren begründetes Verfahren, das seit den 1960er Jahren international gelehrt wird. Es beruht auf den Gedanken, daß der Alphazustand des Gehirns benutzt werden soll (durch suggestive und selbsthypnotische Techniken) und daß eine Visualisierung von erdachten Orten und von zwei erdachten Helfern erreicht wird. Die Methode verspricht erhöhte Gedächtnisleistungen und allgemein höhere Intelligenzleistungen, beruflichen Erfolg, erhöhte Lösungskompetenz im sozialen Leben.

TNI

The Natale Institute, eine von dem Amerikaner Frank Natale 1979 begründete Seminarform, seit Ende der 1980er Jahre in Deutschland. Offenbar Mischung aus verschiedenen gruppentherapeutischen und esoterischen Konzepten und Praktiken.

ZEGG

Das "Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung", seit 1991 in Belzig, einer kleinen Gemeinde bei Berlin, geht auf Ideen und Versuche in der antiautoritären Studentenbewegung zurück. Es versteht sich als "experimenteller Freiraum für die Schaffung eines neuen Kulturmodells. [...] Das Zegg ist ein Studienort für neue Lösungen in den Bereichen des menschlichen Zusammenlebens, der Liebe, des Kinderaufwachsens, der Ökologie und eines autarken Überlebenswissens." Die Großgemeinschaft bietet Musik- und Kunstveranstaltungen an, arbeitet an ökologischen und friedenspolitischen Fragen, propagiert und praktiziert die freie Liebe. Seminarräume und Gästehaus können von Gruppen und Einzelnen gemietet werden, die hier eigene Veranstaltungen durchführen oder die Lebens- und Arbeitsweise des ZEGG kennenlernen wollen.

Trotz der breiten Streuweite dieser Gruppierungen bzw. Seminarveranstalter sind nicht alle einschlägigen einbezogen. Dies gilt vor allem für Scientology, jene Organisation, die wegen ihrer Geschichte, ihrer Durchsetzungserfolge und ihrer Vorbildwirkung auf andere Gruppen bzw. Bewegungen geradezu als Inbegriff von "Psychogruppe" gilt. Unser Projekt stand der Möglichkeit, Mitglieder und ehemalige Mitglieder dieser Organisation zu befragen, zunächst unbefangen gegenüber; wir erwarteten allenfalls Probleme des Feldzugangs. Nachdem dann aber die Kampagne aus Hollywood kam (u.a. Vergleich mit dem Schicksal der Juden), wurde deutlich, daß diese Organisation sich nicht scheut, ihre Medienmacht zu Irreführungen einzusetzen. Der Eindruck entstand, daß jede Befassung mit dieser Organisation zu einem Mißverhältnis von wissenschaftlichem Ertrag und möglichem "Ärger" führen könnte.

Hauptergebnis: Die Typologie

Hauptergebnis der Untersuchung ist die folgende Typologie. Die prozeßtheoretische Dimension, in der diese Typologie gefunden wurde, nimmt die Hauptfragen des Forschungsauftrags miteinander verknüpft auf: Art des Zugangs bzw. der "Einmündung" in eine Gruppierung, im Rahmen der biographischen Voraussetzungen; Folgen für die biographische Entwicklung. Welche Fragen und Haltungen, welche biographischen Perspektiven liegen bei der Person vor, die auf das "Angebot" einer Gruppe trifft und dieses für kurze oder längere Zeit annimmt, welche Passung stellt sich heraus, und welche Folgeentwicklungen ergeben sich daraus?

Sechs Typen wurden identifiziert:

A. "aus Interesse, lernbereit"

B. "auf der Suche nach Therapie"

C. "hingeschickt, veranlaßt oder unter Druck"

D. "auf der Suche nach einem Platz im Leben"

E. "um die Erfahrungen von nahen Interaktionspartnern zu teilen"

F. "auf der Suche nach Lebensgestaltungskraft"

Die Bezeichnungen der Typen heben die Varianten der Ausgangskonstellation heraus; von hieraus werden die im weiteren sich ergebenden biographischen Möglichkeiten identifiziert.

A. "Aus Interesse, lernbereit" ist eine aktive und überlegte Hinwendung zu einer Gruppierung, ohne daß ein Leidensdruck vorliegt oder der dringende Wunsch nach seelischer Heilung. Wer derart mit einer eigenen Lern- bzw. Suchstrategie auf ein Angebot zugeht, der hat gute Chancen, damit positive biographische Entwicklungen in Gang zu setzen.

B. "Auf der Suche nach Therapie" ist eine Hinwendung zu einer Gruppe bzw. einer Seminarform, die durch den Wunsch nach psychischer Heilung getragen wird. Wer so zu einer Gruppierung stößt, macht sich durch seine Bereitschaft, sich ähnlich wie von einem Therapeuten eine Zeitlang vertrauensvoll leiten zu lassen, abhängig von Konzept und Praktiken der Gruppe bzw. des Seminarveranstalters. Ob das günstig oder ungünstig für die weitere Biographie ausgeht, ist eine Frage der Passung von Heilungsbedarf und Heilungsmethoden.

C. "Hingeschickt, veranlaßt oder unter Druck" meint eine Ausgangskonstellation, die nicht intentional durch die Person selbst zustandekommt, sondern durch den Rat eines signifikanten Anderen, eine Art Geschobenwerden. Wer ein Angebot so annimmt, wer gar hingeschickt wird, wird mit problematischen, möglicherweise mit schlimmen Folgen für seine weitere biographische Entwicklung rechnen müssen.

D. Bei "auf der Suche nach einem Platz im Leben" kommt die Einmündung im Verlaufe einer allgemeineren Suchbewegung nach dem Platz zustande, an dem das Leben befriedigend geführt werden kann. Wer derart auf der Suche nach einem passenden Platz im Leben ist, wer also eher zu finden hofft als gezielt sucht, dessen weitere biographische Entwicklung hängt davon ab, was er findet und welche der vorher diffus gehegten Erwartungen sich hier erfüllen lassen.

E. Beim Versuch, "die Erfahrungen von nahen Interaktionspartnern zu teilen", kommt der Kontakt zu einem Seminarveranstalter o.ä. zustande, weil die Person den gleichen Weg gehen will, wie ihn ein Lebenspartner, ein naher Verwandter zuvor gegangen ist. Die Absicht ist hier, die einschlägigen Erfahrungen zu teilen, mit dem anderen gleichzuziehen, keine Entfremdung aufkommen zu lassen. Die Handlungsintention richtet sich weniger auf die Gruppierung, sondern auf den nahen Interaktionspartner, der einen Schritt voraus ist. Ähnlich wie im Typ C dominiert hier die Beziehungsdynamik das Interesse an der Begegnung mit dem Seminarangebot. Ungünstige Folgen für die biographische Zukunft sind wahrscheinlich.

F. Bei "auf der Suche nach Lebensgestaltungskraft" wirkt nicht ein Leidensdruck oder eine spezifische Heilungsabsicht, sondern ein relativ diffuser Wunsch, die Lebensführung aktiver und konturierter gestalten zu können, ohne daß man wüßte, wie das zu bewerkstelligen sei. Wer so auf der Suche nach Stärkung sowohl seiner Energie wie seiner Zielstrebigkeit ist, wer also eine Lebensführung überhaupt erst sucht, der wird bereit sein, sich ohne lange vorherige kritische Befassung mit dem Angebot einem gegebenen Verfahren zunächst einzufügen. Zu gegebener Zeit werde sich Erfolg oder Mißerfolg schon herausstellen. Anders als bei Typ B geschieht die Einmündung hier also mit einem kritischen Maßstab, der (unausgesprochen) von Anfang an wirksam ist.

Eine Ordnung nach "Aussteigern" und "Verweilern" erwies sich schon aufgrund erster Einsicht ins Material nicht als brauchbar. Einige Seminarveranstalter regen zwar die Bildung von Bekanntschaftsgruppen von Absolventen an, aber einen klaren Mitgliedschaftstatus gibt es nur bei wenigen Gruppierungen (vor allem Bruno-Gröning), also auch kein klares Ende dieses Status ("Ausstieg"). In welchem Sinne kann jemand, der ein Wochenseminar besucht und seitdem ein heftiger Gegner dieser Seminarform ist, als "Aussteiger" gelten? Ist jemand, der vor zehn Jahren das erste Mal ein dreitägiges Seminar besucht und letztes Jahr erneut, ein "Verweiler"?

Zur Verdeutlichung: der Fall Mauthner (zum Typ C gehörend)

Herr Mauthner ist zum Zeitpunkt des Interviews 36 Jahre alt. Er leitet zusammen mit seinem Bruder einen eigenen (kleineren) Betrieb. Seine Frau hat Krankenschwester gelernt, die Eheleute haben zwei Töchter, zehn und sieben Jahre alt.

Geboren ist er 1961 in einer kleinen Gemeinde im Münsterland. Er hat einen Bruder und eine Schwester, die drei Kinder werden in kurzen Abständen nacheinander geboren. Die Mutter ist labil und nicht ausreichend in der Lage, die Kinder zu versorgen, "und da war meine Oma noch im Haus, und die hat sich dann auch speziell, erst mal um mich gekümmert" (44:8-10).

Die Erziehung ist katholisch, den Gottesdienst besucht er noch mit 18, 19 Jahren regelmäßig, ohne allerdings ein "religiöser Mensch" zu sein. Nach fünf Jahren Gymnasium macht er eine Berufsausbildung als Industriekaufmann, schließt dann das Fachabitur ab. Nach einer Stelle im Außendienst macht er sich 1992 zusammen mit seinem Bruder selbständig.

1984 kommt Herr Mauthner in Kontakt mit der Hugo-Möller-Bewegung. Er wohnt noch im Hause der Eltern, seine ältere Schwester studiert und wohnt in Bonn. Sie bringt die Lehre eines Tages mit, die Mutter läßt sich gleich in die Gemeinschaft einführen.

Herr Mauthner ist zunächst skeptisch, denn er sucht nicht nach Heilung. "gut also ph sag mal so n viertel Jahr hab ich mich dagegen noch gesträubt bis März 85, da ph bin ich mehr nach dahin gezogen worden, das heißt also ich dacht okay dann haste vielleicht deine Ruhe, wenn de mal mitgehst und das Einführungsgespräch mitmachst" (2:9-13). Herr Mauthner läßt sich also einführen.

Zunächst interessiert ihn die Gemeinschaft mit ihrer Lehre sehr. Er spürt sogar etwas während der Kontaktaufnahme mit dem Geist von Hugo Möller. Probleme hat er nur damit, daß er in den Gemeinschaftsstunden keine Heilungserfolge vorweisen kann - er war ja vorher nicht krank und ist es auch jetzt nicht.

Mindestens ebenso wichtig ist, daß er in der Gemeinschaft einen interessanten Interaktionskreis findet: "sehr nette, junge Leute" (3:5) versuchen ihn zu integrieren, "und, es war eigentlich ne schöne Zeit also äh weil ich war zu der Zeit auch, auch noch n noch Single und es warn auch viele nette Mädchen da, in der Gemeinschaft und, ich bin also auch eigentlich ganz gerne hingegangen ja" (3:9-13). Die Vermutung liegt nahe, daß er ein zurückhaltend-schüchterner junger Mann ist, der schlecht Kontakt (auch zum anderen Geschlecht) finden kann. In der Gemeinschaft ändert sich manches, weil ihm die anderen (die "netten Mädchen") entgegenkommen. Weil nur wenige (junge) Männer zur Gemeinschaft gehören, macht man ihm Hoffnungen, in der Bewegung bald eine wichtige Funktion übernehmen zu können.

Nur wenige Wochen nach seinem Eintritt im Frühjahr 1985 lernt er - außerhalb der Gemeinschaft - seine heutige Ehefrau kennen. Diese ist der Gemeinschaft gegenüber skeptisch, versucht ihm das Mitmachen auszureden (gewiß auch wegen der "netten Mädchen"). Weil er aber nicht aufhört, am Sonntag zur Gemeinschaftsstunde zu fahren, statt mit ihr etwas zu unternehmen, trennt sie sich von ihm. Nach einigen Monaten gelingt es Herrn Mauthner, die Beziehung zu seiner Freundin wiederherzustellen. Die Mutter rät ihm von ihr ab; die Leiterin der Bewegung fragt Hugo Möller, ob die Freundin von Herrn Mauthner die richtige Frau sei (nein, eine andere würde auf ihn warten). Er aber steht zu seiner Freundin und heiratet sie 1987 gegen den Widerstand seiner Familie. Die Eheleute bekommen zwei Kinder (1987 und 1990).

Mit der Eheschließung ist die Konfliktgeschichte nicht zu Ende: "und, ich muß sagen, die ersten acht neun Jahre unserer Ehe war eigentlich immer ein Hin und Her, ich wollte meine gut meine Frau und meine Kinder das war meine Familie und nich meine Eltern, das war auch igendwo meine Familie und, ich hatte immer das Bestreben, gut zu beiden Seiten irgendwo n gutes Verhältnis zu haben und, auch meine Eltern deswegen nich nich fallenzulassen" (5:14-19). Herr Mauthner ist bis heute unsicher, welche Familie seine Familie ist. Bei der Frage, die zwischen seiner Mutter und seiner Ehefrau ausgetragen wird, ob er nämlich in der Hugo-Möller-Gruppierung bleibt oder nicht, handelt es sich nur um einen Teilaspekt der Problematik.

Zwei, drei Jahre lang nach der Heirat besucht er noch regelmäßig die Gemeinschaftsstunden und fühlt sich dort sehr wohl; mit seiner Frau hat er deswegen Dispute. Als er dann nicht mehr hingeht, redet seine Mutter auf ihn ein: "jetzt komm doch wieder und Sabine is is böse also die is die is negativ angeschlossen also die is, die hat die die negative Kraft und daß das nich gut für mich is und ich würde auch mit runtergezogen von ihr" (5:28-6:1). Die Verwandten und Bekannten aus der Gruppierung rufen immer wieder bei ihm an, um ihn zum Besuch der Gemeinschaftsstunde zu bewegen.

Zehn Jahre lang zieht sich das hin. 1996 droht seine Frau damit, ihn zu verlassen, daraufhin löst er sich ("bis mich von Eltern gelöst habe und damit von Hugo Möller"). Zusammen mit seiner Frau geht er in eine "Selbsthilfegruppe", die unterstützt wird von einer Sektenberaterin. Er bedauert, daß sich diese Arbeit auch gegen seine Eltern richtet: "weil ph sie sehen das als persönlichen Angriff gegen sie auch an" (6:20-21).

Herr Mauthner ist heute nicht fertig mit der Geschichte. Noch heute fragt er sich, weshalb er "da reingerasselt" (21:22-25) ist. Vater, Mutter und Schwester, auch Onkel und Tante sind heute noch in der Bewegung. Herr Mauthner sieht nach über zehn Jahren Mitgliedschaft wenig Möglichkeiten, sie durch Argumente davon abzubringen. Man trifft sich selten, nur noch zu den offiziellen Familienfeiern. Die Großeltern sehen die Enkel kaum noch; sie hatten versucht, die Kinder im Sinne der Bewegung zu beeinflussen, Herrn Mauthners Frau hatte sich dagegen verwahrt. "das sind auch Sachen die mir eigentlich weh tun weil irgendwo, sinds meine Eltern, aber letztendlich hab ich meine eigene Familie und meine Kinder und meine Frau stehen mir eigentlich, am nächsten" (9:14-17). Immer wieder versucht Herr Mauthner zu klären, welches seine Familie ist.

An zwei, drei Stellen deutet der Befragte an, weshalb ihm die Lösung von seiner Mutter so schwerfällt: Weil er als Kind wegen der Depressionen seiner Mutter von der Oma aufgezogen wurde und deshalb "bis jetzt immer das Gefühl hatte, daß, ja gut den Kontakt zu meiner Mutter, oder zu meinen Eltern nich, zu verlieren' und äh aufrechtzuerhalten" (44:13-15).

Auf den ersten Blick sieht es so aus, daß Herr Mauthner in der Bewegung gut zurechtgekommen wäre, hätte er nicht eine Freundin außerhalb der Gruppierung kennengelernt. Jedoch liegt der Geschichte eine Problematik seiner Persönlichkeit zugrunde, die sich so oder so als wirksam erwiesen hätte: Er sucht hartnäckig ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter, weil diese ihm als Kind eine solche Beziehung nicht gegeben hat. Deshalb läßt er sich von der Mutter in die Gruppierung hineinziehen, deshalb dauert es solange, bis er sich löst. Seine aus der Kindheit stammende Beziehungsproblematik hätte ihn so oder so beeinträchtigt, ein selbständiger Erwachsener zu werden.

Das Wichtigste bei Typ C ist, daß die Kraft, die in Richtung Gruppe bzw. Seminarangebot wirkt, jeweils von Verwandten, Lebenspartnern, Freunden oder Bekannten ausgeht, also aus dem engeren sozialen Umkreis der Person kommt. Es sind nicht die Gruppen bzw. Seminarveranstalter, die solchen Druck ausüben. Gewiß, in dem einen oder andern Falle gehören diejenigen Menschen aus dem engeren sozialen Umkreis bereits der Gruppe an bzw. nehmen am Seminarangebot teil. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine Bestätigung dafür, daß "bestehende persönliche Beziehungen oder der Aufbau emotionaler Bindungen zu Sektenmitgliedern eine wesentliche Rolle spielen, sei es für die Motivation zur Konversion oder für den eigentlichen Konversionsprozeß". Jedoch stellt sich bei genauerer Analyse heraus, daß z.B. die Mutter von Herrn Mauthner Druck auf den Sohn ausüben kann, weil sie die Mutter (in einer speziellen Sozialisationsgeschichte) ist, und nicht weil sie der Gruppe zugehört. Die negativen Folgen der Einmündung also ergeben sich weniger aus den Praktiken der Gruppe bzw. des Seminarveranstalters, sondern sind Folgen der Beziehungsdynamik mit einem nahen Interaktionspartner, die überhaupt erst zur Einmündung geführt hat.

So sei eine Hypothese gewagt: Wie schlimm die Geschichte für denjenigen ausgeht, der zu einer Gruppierung bzw. einem Seminarveranstalter "hingeschickt" wird, hängt nicht von der Gruppe bzw. dem Seminar ab, sondern von der Art und der Stärke der sozialen Beziehung, aus der heraus die Kraft des "Hinschickens" kommt.

Die Konstellation der Typen

Die Gesamtkonstellation der sechs Typen erschließt sich unter der Frage nach der Ausprägung der beteiligten Intentionalität:

Typ A ("aus Interesse, lernbereit") und Typ C ("hingeschickt, veranlaßt oder unter Druck") bilden die stärkste Kontrastbeziehung. Typ A geht aus Interesse, in Unabhängigkeit und mit eigenen Selektions- und Evaluationskriterien auf eine Gruppierung zu. Typ C hingegen wird (von nahen Interaktionspartnern) dorthin "geschickt", weiß nicht recht, was ihn erwartet, wird dominiert von der Beziehungsstruktur, aus der er geschoben wird.

Der Typ B ("auf der Suche nach Therapie") geht zwar intentional auf eine Gruppierung zu, aber ohne genaue Kenntnis, wohin der Weg führt, den man beginnt. Die Hoffnung, endlich psychische Heilung zu finden, ist stärker als das Informationsbedürfnis darüber, wohin man sich begibt; die Bereitschaft, sich zunächst vertrauend einzufügen, unterstützt auch nicht die Entwicklung und Aufrechterhaltung eigener Urteilskriterien. Insofern liegt Typ B zwischen Typ A und Typ C.

Ähnlich ist Typ F ("auf der Suche nach Lebensgestaltungskraft") einzuordnen: Mit der Hoffnung, zugleich mehr Tatkraft und mehr Zielstrebigkeit im Leben zu gewinnen, ordnen sich die Suchenden zunächst einmal den Angeboten und Verfahren ein, machen sich zuvor auch nicht gezielt kundig, sondern warten gewissermaßen Erfolg oder Mißerfolg ab.

Typ E ("um die Erfahrungen von nahen Interaktionspartnern zu teilen") ist Typ C ähnlich; auch er wird dominiert durch eine Beziehungsstruktur, die vor der Begegnung mit einer Gruppierung besteht und wirkt. Pointiert: Wird Typ C geschoben, so schiebt sich Typ E selbst.

Typ D ("auf der Suche nach einem Platz im Leben") ist in der Konstellation der Typen eine Marginalform: Die Suchbewegung ist derart allgemein, daß sie nicht in die Begegnung mit einer Gruppierung führen muß, sondern ganz anders ausgehen könnte (etwa: gelungene Einmündung in eine Berufskarriere). Ausgeprägte Intentionalität ist hier nicht wirksam, sondern eher ein Abwarten, was einem über den Weg läuft.

Zusammenfassend: Der stärkste Kontrast besteht zwischen Typ A und Typ C. Die Typen B und F liegen zwischen beiden, Typ E in der Nähe von Typ C. Typ D ist am Rande des Feldes zu finden.

Man könnte die Gesamtkonstellation der Typen auch unter der Frage skizzieren, ob krisenhafte Lebenszustände bei der Einmündung beteiligt sind.

In dieser Dimensionierung bildet der Typ B ("auf der Suche nach Therapie") eine mit Typ A ("aus Interesse, lernbereit") stark kontrastierende Beziehung - kein Fall von Typ A befindet sich in krisenhaftem Zustand vor der Einmündung, hingegen alle von Typ B. Krisenhafte Vorbedingungen sind auch deutlich in Typ C und Typ F (aber nicht durchgängig). Insgesamt: Die Typen A, D und E enthalten keine krisenhaften Vorausbedingungen für die Einmündung.

Überlegungen zur Vollständigkeit der Typologie

Gedankenexperimentell und angeregt durch die einschlägige Literatur kann man annehmen, daß folgende Typen in der Wirklichkeit vorkommen könnten:

G. Einmündung "aus Interesse", dann aber "übertölpelt"; ungünstige, wenn nicht katastrophale biographische Folgen

H. "hingeschickt, veranlaßt oder unter Druck", dann aber hineingefunden und passable biographische Aussichten entwickelt

Die mit G. bezeichnete Konstellation ist die Pointierung einer Darstellungsrichtung u.a. in sog. Aussteiger-Berichten, in Rechtfertigungs- und Abrechnungsschriften von Ehemaligen. Wiewohl bei der Begegnung mit der Gruppe bzw. dem Seminarangebot kritisch-distanzierte Aufmerksamkeit steht, kommt es dann gegen den eigenen Willen zu schlimmen Folgen für die Stabilität der Persönlichkeit und für die weitere biographische Entwicklung. Daß es diesen Verlaufstyp gibt, dazu bietet unser Material keinen Hinweis. Ungünstige Folgen (auch: psychische Zusammenbrüche) in einigen Fällen ergaben sich aus komplizierteren Konstellationen.

Die mit H. bezeichnete Konstellation kann gedankenexperimentell erschlossen werden: Die Nachrichten, ganze Unternehmen würden durch Seminarangebote "bearbeitet" (ein Topos in der öffentlichen Rhetorik), unterstellen ja, daß viele Menschen, die zum Besuch von Seminaren durch Vorgesetzte genötigt werden, daraus hinnehmbare und erträgliche, wenn nicht produktive Erfahrungen ziehen. Offenbar führt diese "Nötigung" in vielen Fällen zum "Mitmachen", wird also mindestens konformistisch aufgefangen und eingeordnet - anders sind die einschlägigen Nachrichten nicht interpretierbar.

Unser Material belegt diese Konstellation nur indirekt: Der Lebenspartner einer Befragten arbeitet - so berichtet sie - in führender Position in einem Betrieb, dessen Mitarbeiter alle die Arbeitstechniken der Gruppierung (auch gemeinsam während der Arbeit) anwenden und regelmäßig auf entsprechende Seminare gehen. Ihr Freund und seine Kollegen seien ganz überzeugt von der entsprechenden Lehre. Daraus ergibt sich eine Einschränkung: Über entsprechende Vorgänge innerhalb von Betrieben und Organisationen kann aufgrund unseres Materials nichts ausgesagt werden, dabei handelt es sich um eine offene Forschungsfrage.

Drittens kann gedankenexperimentell eine weitere Form erschlossen werden:

I. "Teilnahme in einer Beobachterposition"

Die Teilnahme geschieht hier zum Zwecke des bloßen Kennenlernens einer Gruppe bzw. einer Seminarform - etwa um darüber in den Medien berichten zu können. Weil dieser mögliche Typ aber nicht biographisch verankert ist, weil hier von Einmündung im Grunde nicht gesprochen werden kann, braucht er nicht weiter überlegt zu werden.

Versuch einer gesamtbiographischen Einordnung

Der Versuch, für die Typen A bis F jeweils Gemeinsamkeiten der Biographie insgesamt zu entdecken, hat kein Ergebnis erbracht. Trotz intensiver Suche konnte keine biographische Konstellation (etwa Orientierungsprobleme in der Schule, bei der Berufsfindung, bei der Partnersuche; Versuch, aus sozialer Isolierung herauszukommen) ermittelt werden, die allen Fällen eines Typs gemeinsam wäre, die gemeinsame Voraussetzung für die Einmündung in eine Gruppierung bildete. Die Gründe bzw. Auslöser dafür, ob jemand bei einer Gruppierung usw. bleibt oder nicht, sind demgemäß (vermutlich) nicht gesamtbiographischer Art, sondern aus den hier zentral gemachten Prozeßformen erklärbar. Daraus ergibt sich: Die in der Dimension Einmündung/biographische Folgen gefundenen Typen können in ganz unterschiedlichen gesamtbiographischen Prozeßformen auftreten.

Jenseits dieses Ergebnisses finden sich jedoch, die Typen in gewisser Weise übergreifend, bei der Mehrheit der Fälle Hinweise auf starke Störungen des Sozialisationsprozesses, genauer: der Identitätsentwicklung im Verhältnis zu den Eltern. Bei drei Befragten war die Mutter nicht in der Lage, das Kind zu versorgen und zu erziehen; eine Befragte mußte sich als Nachzügler selbst sozialisieren; die Väter von zwei Befragten haben Selbstmord begangen; bei drei Befragten ist das Verhältnis zu den Eltern durch Haß und starke Konflikte geprägt; neben einer Befragten steht noch heute ihre Mutter und flüstert ihr etwas ins Ohr. Bei zwei weiteren Fällen sind starke Konflikte mit den Eltern angedeutet. Von 15 Fällen wurden also 10 bzw. 12 stark, wenn nicht dramatisch in ihrer Identitätsentwicklung gestört.

Diese Hinweise müssen allerdings vorsichtig behandelt werden: Anteilswerte können nicht Ergebnis von qualitativer Forschung sein; eine Kontrollgruppe fehlt. Dennoch, der Eindruck kann nicht abgewiesen werden, daß im Gegenstandsfeld ein persönlicher Bedarf nach "Nachsozialisation" wirksam ist, ausgelöst durch tiefgehende Störungen der Identitätsentwicklung und des In-der-Welt-Seins.

Weitere Ergebnisse

Weder haben bestimmte Lebenskrisen noch Lebenskrisen überhaupt generell eine Auslöserfunktion für die Einmündung.

In keinem Falle liegt eine religiöse oder Glaubenskrise vor. Immer handelt es sich um biographische Prozesse im eigentlichen Sinne, bei denen allenfalls Voraussetzungen aus der religiösen Erziehung usw. eine Rolle spielen.

In keinem Falle kann die Einmündung als eine radikal-entschiedene Selbständigkeitsgeste gegen die Eltern aufgefaßt werden.

In keinem Fall führen mangelndes Verständnis oder Ablehnung bei signifikanten Anderen zu einer Stabilisierung der Einmündung und des weiteren Weges. Das empirische Material spricht eher für eine undramatische Rolle des engeren sozialen Umfeldes. Eher beeinflussen diejenigen, die zu einer Gruppierung gestoßen sind, ihre signifikanten Anderen.

In keinem Fall liegt eine Konversion im Sinne eines umfassenden Übergangs zu einem neuen Denk- bzw. Glaubenssystem vor. In einigen Interviews werden zwar in der Lebensgeschichte seit Kindheit und Jugend die Voraussetzungen für die heutige Welt- und Lebensanschauung herausgehoben, es fehlt aber die "Umkehr" ganz.

In keinem Fall gibt es Hinweise auf eine Selbstvergöttlichung als Ziel oder als Erlebnisdimension. In einigen Fällen unterscheiden die Befragten zwar Absolventen der Seminare als "transformierte" Menschen von anderen oder sehen sich und andere Absolventen als irgendwie erkennbare Gruppe. Darin liegen aber keine Ansprüche, einen übermenschlichen Status erreicht zu haben oder erreichen zu können.

In keinem Falle wird jemand in eine Gruppierung "hineinmanipuliert", niemand wird "übertölpelt". Der Typ C "hingeschickt, veranlaßt oder unter Druck" wird ja nicht von der Gruppierung hineingezogen, sondern von nahen Interaktionspartnern seines sozialen Feldes hineingeschoben. Die problematischen biographischen Folgen bei Typ C entstehen (wahrscheinlich) weniger wegen Lehre oder Praxis der Gruppierung, sondern eher als Folge der Beziehungsdynamik zu jenen nahen Interaktionspartnern, die den Druck ausübten.

Bei keinem Typ ist die Handlungsintentionalität bei der Einmündung ganz abgeschattet. Die Bezeichnung des Typs C "hingeschickt" soll ja die spezielle Kontur verdeutlichen und nicht etwa aussagen, daß die Betreffenden ohne Chance zum Einspruch geschickt worden wären. Auch beim Typ B "auf der Suche nach Therapie" ist eine eigene Tendenz erkennbar, und sei es auch nur die der Hoffnung, endlich in eine helfende Therapie zu kommen.

In keinem Falle ist die Begegnung mit einer Gruppierung usw. marktförmig ("Psycho-Markt") zustande gekommen. Immer waren es signifikante Andere, mindestens entferntere Bekannte, die die Aufmerksamkeit auf das Angebot gelenkt haben.

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Schibilsky, Michael, Religiöse Erfahrung und Interaktion. Die Lebenswelt jugendlicher Randgruppen. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1976

Schmidtchen, Gerhard, Sekten und Psychokultur. Reichweite und Attraktivität von Jugendreligionen in der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1987

Schmidtchen, Gerhard, Wie weit ist der Weg nach Deutschland? Sozialpsychologie der Jugend in der postsozialistischen Welt. Unter Mitarbeit von Michael Otto und mit einem Beitrag von Harry Schröder. Opladen: Leske und Budrich 1997

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http://www.bruno-groening.de/kreis/index.htm
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Lell, Martin, Das Forum. Protokoll einer Gehirnwäsche. Der Psycho-Konzern Landmark Education. München: dtv 1997

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http://itsnova.mach.uni-karlsruhe.de/~hirt/lec/presse/
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http://itsnova.mach.uni-karlsruhe.de/~hirt/lec/presse/sccs.html

zu Life Coaching:

Life Coaching. Basistraining. Bielefeld: Life Coaching o.J.

zu Quadrinity:

Goldner, Colin, "In einer Woche frei von Neurosen? Der Hoffmann-Quadrinity-Prozeß", Psychologie heute (1996, Juni), 16-17

Harlacher, Wolfgang Michael, "Der Mensch im Hoffmann-Prozeß", Esotera (1989, 3), 20-26

(he), "Katharthische Tiefenpsychologie neu aufgelegt", Materialdienst der EZW (1989, 6), 189-191

Quadrinity Prozess. Der Quadrinity-Prozess im Spiegel der Presse. Düsseldorf: PTG Quadrinity o.J. (Flugschrift)

zu Silva Mind Control:

Internet:http://cti.itc.virginia.edu/~jkh8x/soc257/nrms/silv.html
http://www.silvaintl.com/
http://www.talamasca.org/avatar/silva.html
http://www.talamasca.org/avatar/silvadynamics.html http://www.rapidnet.com/-jbeard/bdm/Cults/silva.htm

zu ZEGG:

Das ZEGG von A-Z. Hinweise für Besucher der Siedlung Belzig, o.J.

Duhm, Dieter, Angst im Kapitalismus. 9. Aufl. Lampertheim: Kübler 1974

Kulturmodell ZEGG Eros - Gemeinschaft - Neue Kultur. Belzig: ZEGG o.J.

Programm 1997. Belzig: ZEGG 1997

Reader zum ZEGG. Stellungnahme zu den Presseberichten zum Thema Sekte und interessante Archivtexte. Belzig: ZEGG Forschungs- und Bildungszentrum GmbH. April 1996

ZEGG-Rundbrief Nr. 1, 1997