4 Beratungs- und Informationssituation

4.1 Staatliche Informationsarbeit

Die Federführung für die Bundesregierung zu Fragen der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen liegt beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Von hier erfolgt auch die Herausgabe von Informationsschriften zu diesem Bereich für die Öffentlichkeit.

Zur Unterrichtung der Bundesregierung wurde im Bundesverwaltungsamt (BVA) 1993 das Fachreferat "Jugendsekten und Psychogruppen" eingerichtet. Es erstellt Berichte, Analysen und Evaluationen für die Bundesregierung im Hinblick auf notwendige gesetzliche Initiativen, zur Vorbereitung von Stellungnahmen und Berichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und seinen Ausschüssen. Die Information anderer staatlicher Stellen und der Öffentlichkeit liegt bislang nicht im Aufgabenbereich des Bundesverwaltungsamtes. Die Enquete-Kommission würde es aber begrüßen, wenn das Fachreferat in die Lage versetzt würde, insbesondere auch andere Dienststellen mit Informationen zu versorgen.

Informationsangebote für die Öffentlichkeit in bezug auf neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen werden zudem in allen Ländern bereitgestellt. In den meisten Fällen handelt es sich um fest eingerichtete Referate, die neben Öffentlichkeitsarbeit auch für die interne Informationsvermittlung zuständig sind. Das Bundesland Bremen hat lediglich eine Anlaufstelle für Bürgerberatung hierzu in einem Fachressort eingerichtet. Es besteht allerdings vielfach das Bedürfnis, daß die jeweiligen Landesbeauftragten mit den erforderlichen Sachmitteln ausgestattet werden.

Die interministeriellen Arbeitsgruppen des Bundes und der Länder zum Bereich der neuen ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen (Bund-Länder-Gesprächskreis) bzw. speziell zur Scientology-Organisation dienen im wesentlichen dazu, Informationen ressortübergreifend auszutauschen. Darüber hinaus wird möglicher Handlungsbedarf ermittelt und einzelne Maßnahmen (z. B. die Herausgabe von Aufklärungsbroschüren) ressortübergreifend abgestimmt. In einzelnen Ländern bestehen ebenfalls interministerielle Arbeitsgruppen zu diesem Bereich (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen). Interministerielle Arbeitsgruppen zur Scientology-Organisation bestehen in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Die mit diesem Thema befaßten Fachreferate in den einzelnen Landesministerien arbeiten auf diesem Gebiet mit den kommunalen Spitzenverbänden, Polizei u.a.m. zusammen. Ein zusätzliche Komponente bei der Informationsbeschaffung stellen kirchliche und private Beratungs- und Informationsstellen dar. So haben alle Fachreferate bzw. Kontakt- und Anlaufstellen der Bundesländer zumindest informelle Kontakte zu diesen Einrichtungen.

Rechtsgrundlage für die staatliche Informationsarbeit

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat in religiösen und weltanschaulichen Fragen zur Neutralität. In die Religions- und Weltanschauungsfreiheit kann aber von staatlicher Seite nur unter Abwägung der jeweils widerstreitenden Interessen zum Schutz verfassungsmäßiger Rechte Dritter oder zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung eingegriffen werden.

Die Bundesregierung nimmt die Informationstätigkeit zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten wahr, und zwar "in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen und Warnungen auszusprechen" (BVerfG, Beschluß vom 15.08.1989, 1 BvR 881/89). Ausgangspunkt für diese Feststellung war die - letztlich nicht zur Entscheidung angenommene - Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 1989. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in dieser Entscheidung (BVerwG, Urteil vom 23.05.1989, 7 C 2.87, in: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE -, Bd. 82, S. 76 ff.) eindeutig festgestellt, daß die Bundesregierung aufgrund der ihr zustehenden verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung zur Information und Aufklärung der Öffentlichkeit in dem Bereich neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen informieren und Warnungen aussprechen darf.

Die gleiche Auffassung vertritt auch die Europäische Kommission für Menschenrechte. Sie hatte über die Beschwerde eines Antragstellers zu entscheiden, der in einer Broschüre über neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen mit seinen Aktivitäten erwähnt und vor dem gewarnt werden sollte. Der Antragsteller sah hierin eine Verletzung von Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens-, Weltanschauungs- und Religionsfreiheit) der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. In ihrer Entscheidung gelangt die Kommission zu der Auffassung, daß ein Staat befugt sei, "in einer objektiven, aber kritischen Weise Informationen über religiöse Gemeinschaften und Sekten mitzuteilen". Die Kommission sah in der beabsichtigten Publikation keine "direkten Auswirkungen auf die Religionsfreiheit" des Antragstellers und damit keine Beeinträchtigung der durch Art. 9 geschützten Religionsfreiheit. Die Kommission erklärte daher den Antrag einstimmig für unzulässig im Sinne von Art. 27 der Konvention, da er offensichtlich unbegründet sei.

Das Recht zur Aufklärung und Warnung dürfte in gleicher Weise den Ländern zustehen, da für deren Hoheitsbereich entsprechende verfassungsmäßige Rechte gelten (OVG Hamburg, NVwZ 1995, 498, 501).

Die genannten Gerichtsentscheidungen zeigen, daß eine gesetzliche Grundlage für die staatliche Informations- und Aufklärungsarbeit nicht erforderlich ist. Auf dieser rechtlichen Bewertung beruhen bislang die Aktivitäten des Bundes und aller Länder.

Klar hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur staatlichen Finanzierung privater Aufklärungsinitiativen geäußert. Die Entscheidung vom 27. März 1992 (sog. Osho-Urteil, BVerwG 7 C 21.90 in: BVerwGE, Bd. 90, S. 112 ff.) stellt fest, daß der Staat durch die Finanzierung eines privaten Vereins, "der die Öffentlichkeit vor dem Wirken bestimmter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften warnen soll, in die Grundrechte der betroffenen Gemeinschaften" eingreife. Eine Förderung sei daher nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung möglich. Die Wahrnehmung einer grundrechtlichen Schutzpflicht für die Rechtsgüter von betroffenen Bürgern entbinde den Staat in diesem Falle nicht von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung. Im übrigen sei das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot des Staates dann verletzt, wenn er einen Verein fördere, der seinerseits auf religiöser oder weltanschaulicher Grundlage arbeite und damit in der religiös-weltanschaulichen Auseinandersetzung nicht neutral, sondern parteigebunden mitwirke.