5.4 Internationale Aspekte im Bereich neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen

5.4.1 Vergleichbare Problemlagen in anderen Staaten

5.4.1.1 Problembeschreibung und Auftrag der Enquete-Kommission

Bereits seit den siebziger Jahren gibt es in Europa eine intensive Auseinandersetzung mit dem Phänomen neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen.

Insbesondere die Scientology-Organisation wird seit langem - nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland - von einer kritischen Auseinandersetzung begleitet.

Sehr viele der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen sind international vertreten, wirtschaftlich wie auch missionarisch. Das jedoch ist für sich genommen nicht problematisch, da dies auch Merkmale der christlichen Kirchen, des Islam und des Buddhismus sind. Eine Reihe der Gruppierungen hat ihre Zentralen im Ausland (z. B. Scientology/USA, Moon bzw. Vereinigungskirche/Korea, Tranzendentale Meditation/Schweiz, Osho/Indien) und/oder ihre Tätigkeitsbereiche erstrecken sich in einen oder mehrere Drittstaaten (z. B. The Family in Südamerika). Soweit aus der Literatur, der Rechtsprechung und Berichten von Beratungs- und Informationsstellen und Aussteigern bisher bekannt wurde, verläuft die Tätigkeit nicht immer konfliktfrei im gesellschaftlichen Umfeld und im rechtlichen Bereich. Der Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments zu "Sekten in Europa" gibt hierzu ebenfalls Hinweise.

Die Dimension der internationalen Tätigkeiten neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen läßt sich bislang nur teilweise bestimmen. Einigen Gruppierungen wird ein erhebliches Bedrohungspotential für demokratische Staaten sowie eine hohe kriminelle Energie zugeschrieben. Aktenkundig sind Straftaten, die von Mitgliedern bzw. Anhängern neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen verübt wurden, und die mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen in Verbindung stehen. In den letzten Jahren haben sich zudem aufgrund von Klagen und Anfragen besorgter Bürger - nicht nur zu Scientology - einzelne europäische Parlamente mit dem Thema befaßt.

Einige Gruppen haben national eine geringe Bedeutung und sind vor Ort nicht in schwerwiegende politische Konflikte verwickelt bzw. schwerwiegender öffentlicher Kritik ausgesetzt. Sie bleiben aber durch ihre Einbindung in eine internationale, anderenorts bedeutsame und konfliktbehaftete Organisation latent problematisch. Ein Beispiel dafür wurde bei der Anhörung von Soka Gakkai deutlich, einer in Deutschland eher unauffälligen Gruppe von hier ca. 3000 Personen, die in Japan, den USA usw. jedoch ein hohes Gewicht hat.

Der Enquete-Kommission war bewußt, daß eine Beschränkung der Analyse und der Deskription des Phänomens neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland dem Gegenstand nicht gerecht würde.

Eine systematische Darstellung der vorhandenen Literatur von Untersuchungsberichten aus Europa fehlt bisher. Ebenso fehlt - und wird wohl auch weiterhin fehlen - eine systematische Darstellung der Rechtsprechung in diesem Bereich. Die Enquete-Kommission ist sich darüber im klaren, daß der Bericht diese Defizite nicht aufarbeiten kann. Eine solche Arbeit muß an die Wissenschaft verwiesen werden.

Die Enquete-Kommission war im Rahmen ihres Auftrages daran interessiert zu eruieren:

- welche quantitativen und qualitativen Dimensionen neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen in anderen Ländern haben und wie diese gesamtgesellschaftlich eingeschätzt und bewertet werden,

- ob und welche Konflikte, Probleme und Gefährdungspotentiale in diesem Zusammenhang aufgetreten sind und welche rechtlichen und/oder andere Lösungsmuster die Länder entwickelt haben,

- ob und welche Konsequenzen aus den parlamentarischen Untersuchungsberichten gezogen worden sind,

- welche Beratungs- und Informationsmöglichkeiten es in anderen Ländern gibt,

- welchen Stellenwert supranationale Institutionen wie das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, der Europäische Rat sowie die Parlamentarische Versammlung des Europarates diesem Phänomen zumißt und welche Möglichkeiten zur internationalen Zusammenarbeit bereits bestehen, ob diese ausreichend sind und welche noch benötigt werden.

Aus der politischen Beschäftigung mit dem Thema neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen sind folgende Berichte hervorgegangen:

Australien 1965 (Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sogenannter Anderson Report. Befaßt sich ausschließlich mit der Scientology-Organisation), Neuseeland 1969 (Der Bericht befaßt sich ausschließlich mit Scientology), Großbritannien 1971 (Sogenannter Foster Report. Dieser Bericht beschäftigt sich ausschließlich mit der Scientology-Organisation), Niederlande 1984 (Befaßt sich mit den hauptsächlich in den Niederlanden aktiven Gruppierungen, deren Einfluß auf ihre Mitglieder und den Auswirkungen auf die Volksgesundheit), 1987 Israel (Bericht einer interministeriellen Kommission zur Überprüfung von Sekten ("Neue Gruppen") in Israel), 1989 Spanien (Hauptanliegen war, die Feststellung der Angemessenheit der spanischen Gesetzgebung für die ordnungsgemäße Regelung des Phänomens), 1985 Frankreich (sogenannter Vivien Report), 1995 Frankreich (befaßt sich allgemein mit dem Phänomen Sekten in Frankreich und veröffentlicht eine Liste von Gruppierungen, von denen vermeintliche Gefahren für Individuen und Gesellschaft ausgehen), 1996 Belgien (Ziel war, eine Politik zur Bekämpfung von illegalen Praktiken von Sekten, die diese für die Gesellschaft und für die Individuen, insbesondere Minderjährige darstellen, zu entwickeln). Im Juli 1997 legte die Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" dem Deutschen Bundestag ihren Zwischenbericht vor. Im April 1998 hat das italienische Innenministerium einen Bericht zu "Religiösen Sekten und neuen magischen Bewegungen in Italien" dem Verfassungsausschuß des Parlaments vorgelegt. Ziel des Berichtes ist es, das Gefahrenpotential von "Sekten" für das Jubliäumsjahr 2000 auszuloten. Dieser Bericht konnte von der Enquete-Kommission nicht mehr ausgewertet werden.

Methodisch und von ihrer inhaltlichen Zielsetzung gehen die Berichte unterschiedlich an die Thematik heran.

In Erwägung der Ergebnisse dieser Berichte und zur Klärung der o. g. Fragen veranstaltete die Enquete-Kommission am 5. Juni und 22. September 1997 Anhörungen zur Situation und zum Umgang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen in Europa.

Teilnehmer der Anhörung am 5. Juni 1997 waren Prof. Dr. James A. Beckford, Großbritannien, Prof. Dr. Massimo Introvigne, Italien, Dr. Nicola Corti, Schweiz, Pfarrer Thomas Gandow, Deutschland, Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner, Deutschland und Prof. Dr. Nikos Passas, USA.

Ziel der Anhörung war, die Prüfung der Anhaltspunkte und Vorwürfe im Zusammenhang mit dem internationalen Agieren von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen.

Teilnehmer am "Internationalen Forum" am 22. September 1997 waren Frau Ursula MacKenzie, Großbritannien, Prof. Dr. Alexander L. Dvorkin, Rußland, Dr. George Krippas, Griechenland, Dr. Tobias Witteveen, Niederlande, Prof. Dr. Joan Manuel del Pozo Alvarez, Spanien sowie Prof. Stephen Kent, Kanada. Schirmherrin der Veranstaltung war die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth, MdB.

Ziel dieses "Internationalen Forums" war es, neben Informationen und Bewertungen aus Ländern, aus denen keine parlamentarischen Berichte über das Phänomen vorliegen, auch darüber Kenntnisse zu gewinnen, wie die Empfehlungen aus den Berichten in die gesetzgeberische oder gesellschaftliche Praxis umgesetzt worden sind.

Die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Prof. Dr. Süssmuth MdB, wies in ihrer Eröffnungsrede darauf hin, daß die Probleme und Konflikte im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen im Laufe des letzten Dezenniums an Schärfe zugenommen hätten. Es sei jedoch irrig anzunehmen, daß diese Probleme und Konflikte ohne eine internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gelöst werden könnten. Dies könne als ein Ergebnis der Berichte angesehen werden, die in den letzten Jahren in den europäischen Ländern entstanden seien. Viele der dort angesprochenen Gruppierungen seien international tätig und die Probleme und Konflikte, die in diesem Zusammenhang aufträten, seien nicht landesspezifisch.

Dem Vorwurf, die Bundesrepublik Deutschland sei ein intolerantes Land, in dem die Freiheitsrechte mißachtet würden, sei allerdings schärfstens entgegenzutreten. Artikel 4 des Grundgesetzes regele die Religions- und Weltanschauungsfreiheit und dieser Verfassungsartikel sei auch Richtschnur für die Enquete-Kommission. Wo jedoch andere Grundrechte verletzt würden, müsse der Staat eingreifen. Nur darum ginge es, und hier liege die schwierige Aufgabe der Kommission, dieses herauszuarbeiten und Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

5.4.1.2 Größe und Verbreitung neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen

Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen stellen in Europa eine gesellschaftliche Realität dar. Sie werden als Ausdruck einer modernen, sich in ständigen Veränderungsprozessen befindlichen Gesellschaft und einer Pluralisierung der Lebenstile gesehen. Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen sind nur eine Äußerungsform dieser Entwicklung.

Die Berichte der europäischen nationalen Parlamente und auch die Ergebnisse der Anhörungen der Enquete-Kommission haben gezeigt, daß die Problemlagen in diesem Phänomenbereich sich in Europa ähneln. Die Szene differiert nicht sonderlich, sondern sie weist nur einige lokale Sonderheiten auf. Es hat sich gezeigt, daß das Phänomen quantitativ und qualitativ schwer einschätzbar ist.

Quantitativ stellen neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen oder neue religiöse Bewegungen nach einhelliger Meinung der Experten in allen Ländern eine Randerscheinung dar. Nur wenige Gruppen besitzen eine effektive weltweite oder internationale Organisation mit entsprechenden Strukturen. Keineswegs alle international oder weltweit agierenden Gruppen sind konfliktträchtig oder zumindest nicht in der gleichen Weise. Es muß in diesem Zusammenhang angemerkt werden, daß sich manche der Gruppen in einem Stadium zwischen stabiler Institutionalisierung und Formen informeller Organisation befinden, also in den meisten Fällen gesellschaftlich zumindest geduldet, wenn nicht gar akzeptiert und integriert und nicht auffällig sind. Offizielle Daten und Statistiken aus den europäischen Ländern liegen allerdings nicht vor. Daten und Zahlen zu Anhängern oder Mitgliedern von Gruppen liegen hingegen aus der Bundesrepublik Deutschland aus repräsentativen empirischen Untersuchungen und für Österreich vom Statistischen Zentralamt (Österreich: 3,5% seien Anhänger von Gruppen, die nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts sind.) vor. Für Italien existieren Schätzungen, daß ca. 1,2 % der Bevölkerung Anhänger sogenannter neuer religiöser Bewegungen sind. Die sonst genannten Zahlen für Deutschland und auch für Europa beruhen weitgehend auf Schätzungen. Danach liegen in den weitaus meisten Fällen die Zahl der Mitglieder/Anhänger in einem Bereich bis 2 % der Bevölkerung. Dies gilt für eine nicht näher spezifizierte Vielzahl von Gruppen.

Die Angaben zur Zahl der Gruppen differieren stark, was auf dem unterschiedlichen Verständnis der Zugehörigkeit zum Gegenstandsbereich basiert. Für die Niederlande wird die Zahl der aktiven Gruppierungen auf etwa 2000 geschätzt. Dem französischen Bericht zufolge wurden dort 1995 170 Sekten gezählt. Für Großbritannien gibt die Datenbank von INFORM mehr als 2500 Bewegungen an.

5.4.1.3 Rechtliche Rahmenbedingungen

Verfassungsrecht/Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Aus den Eingangsstatements der Experten bei den Anhörungen der Enquete-Kommission wurde deutlich, daß die Situation in deren Ländern hinsichtlich des Auftretens und des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Phänomen durch spezifische individuelle und sozio-kulturelle Variablen gekennzeichnet ist.

Die Teilnehmer äußerten übereinstimmend die Meinung, daß mit einem sich differenzierenden sozio-ökonomischen Kontext auch ein Wandel gesellschaftlicher und individueller Wertmaßstäbe verbunden sei. Eine Ausdrucksform sei die Orientierung des Einzelnen in einer neuen religiösen oder weltanschaulichen Bewegung. Diese Ausdrucksformen leben zu können, sei Teil der demokratischen Verfassung der Länder. Die "Neuorientierung" kennzeichne allerdings nicht ein Desinteresse an Religion und Weltanschauung an sich.

Es gibt, nach Auswertung der vorhandenen Informationen, in Europa einen breiten gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich des Grundrechts der Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit, daß dieses keinen Einschränkungen unterliegen dürfe. Der Staat habe sich religiös und weltanschaulich neutral zu verhalten. Es müsse allerdings darauf geachtet werden, daß eben dieses Grundrecht nicht zum Deckmantel dafür benutzt werde, andere Interessen und Ziele (wirtschaftliche, politische oder andere) zu verfolgen. Es sei daher evident, daß formelle Gesetze zwar nicht die Religionsfreiheit beschneiden dürften, aber dort greifen müßten, wo die Grundrechte des Einzelnen oder geschützte Rechtsgüter verletzt würden. Der Staat habe die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger diesbezüglich zu schützen. Jeder habe das Recht, seine Religion frei auszuüben, soweit es nicht geltenden Gesetzen und den guten Sitten widerspreche.

Dr. Witteveen aus den Niederlanden problematisierte hierzu eine weitere Ebene, nämlich durch Ausübung von Religion am sozialen Leben teilzunehmen und damit auch zwangsläufig verschiedene Bereiche der rechtlichen Ordnung zu durchdringen und so auch vielleicht ungewollt Konflikte und Probleme hervorzurufen. Es sei leicht, der Beschränkung der Religionsfreiheit durch formelle Gesetze zuzustimmen, z. B. daß keine Menschenopfer dargebracht werden dürften oder bei polygamen religiösen Vorstellungen. Schwieriger sei das Problem, wenn man als Muslim z. B. der Überzeugung sei, religiös motiviert Tiere schächten zu können.

In Osteuropa hat die Problematik nach dem Niedergang des Kommunismus eine besondere Relevanz bekommen. Als ein Beispiel soll das an der Situation in der Russischen Föderation dargestellt werden.

Die russische Verfassung vom 12. Dezember 1993 befaßt sich in den Artikeln 13 (Pluralismus) , 14 (Gleichheit der Religionen), 19 (Gleichheitssatz) , 28 (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) und 29 (Meinungsäußerungsfreiheit, Zensurverbot) mit Religion, religiösen Vereinigungen und Weltanschauung. Die meisten Grundrechte stehen nicht unter einem besonderen Vorbehalt, alle jedoch unter dem allgemeinen Verfassungsvorbehalt der Nichtverletzung der Rechte Dritter (Art. 17 Abs. 3). Die Russische Föderation (Duma) verabschiedete 1990 ein Gesetz über die Religionsfreiheit. Darin wurde von der Gleichbehandlung aller Religionen ausgegangen und das Verbot festgeschrieben, an öffentlichen Schulen Religionsunterricht zu erteilen. Das Gesetz orientierte sich am amerikanischen Vorbild und für die amtliche Eintragung als religiöse Organisation genügte der Zusammenschluß von zehn Personen, die sich als religiöse Organisation bezeichneten. Eine Handhabe, die Zulassung zu verweigern, gab es nicht. In der 1997 verabschiedeten Neufassung des Gesetzes wird die besondere Rolle der russisch-orthodoxen Kirche als traditionelle Religion betont und auf die Bedeutung des Christentums als tradierte Werteinstanz hingewiesen. Nach dem neuen Gesetz werden als traditionelle Glaubensrichtungen außer dem Christentum, der Islam, der Buddhismus und das Judentum genannt. Dem Gesetz zufolge dürfen sich nur Organisationen, die mindestens 15 Jahre in Rußland tätig sind, als religiöse Organisationen registrieren lassen (Art. 9). Alle anderen religiösen Gemeinschaften unterliegen danach Beschränkungen.

Zivil- und Strafrecht

Im internationalen Vergleich ist als wichtiger Befund festzuhalten, daß es zumindest in westlichen Industriestaaten nirgendwo eine spezifische ordnungswidrigkeitenrechtliche oder strafrechtliche "Sektenregelung" gibt, sondern vorgetragene Beschwerden und Strafanzeigen aus der Bevölkerung heraus mit dem allgemein gängigen Instrumentarium des kodifizierten oder durch Gerichte festgelegten Rechts abgearbeitet werden.

Großbritannien

Religiöse Organisationen könnten sich nach den Ausführungen von Prof. Dr. Beckford in England und Schottland nicht als juristische Personen eintragen lassen, gerade weil sie Religionen seien. Sofern sie kommerzielle Geschäfte betrieben, müßten sie diese als Firmen anmelden. Wenn sie als gemeinnützig anerkannt werden wollten und die damit verbundenen steuerlichen Vorteile genießen wollten, müßten sie beim entsprechenden Aufsichtsamt (Charity Commissioner) einen Antrag stellen. Dieses gewähre keine Steuerbefreiung, in der Regel genüge aber die Tatsache der Anerkennung, um durch die Finanzbehörden von der Steuerpflicht befreit zu werden. Die gewinnorientierte Tätigkeit könne jedoch keinen Anspruch auf Gemeinnützigkeit erheben. Religiöse Organisationen, die keine geschäftlichen Interessen hätten, seien somit lediglich freiwillige Zusammenschlüsse, die keiner Meldepflicht unterlägen. Große religiöse Organisationen bestünden meist aus einer Mischung von gemeinnützigen Stiftungen, freiwilligen Vereinen und gewinnorientierten Betrieben.

Die englischen und schottischen Gesetze erlegten den Tätigkeiten mancher religiöser Organisationen bestimmte Einschränkungen auf, was die Durchführung von Bestattungen, die Anmeldung von Gebäuden für religiöse Zwecke, den Vollzug und die Eintragung von Eheschließungen, die Meldung von Geburten und die religiöse Betreuung von Gefangenen in Gefängnissen angehe.

Trotz des Grundsatzes, keine Religion bevorzugen zu dürfen, gebe es eine Neigung der Rechtsprechung, den Begriff Religion so auszulegen, daß die traditionellen Kirchen automatisch begünstigt würden.

Andere rechtliche Regularien beträfen die Verbreitung religiöser Botschaften: bis 1990 sei es ausdrücklich verboten gewesen, daß religiöse Organisationen per Rundfunk oder Fernsehen Werbung für sich machten. Nachdem dies 1990 durch ein neues Gesetz zugelassen worden sei, hätten insbesondere die Scientologen davon Gebrauch gemacht.

Italien

Der italienische Sachverständige erklärte, daß es spezifische rechtliche Rahmenbedingungen, um das Handeln der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen einzuschränken, in Italien nicht gebe. Bis 1981 habe jedoch im italienischen Strafgesetzbuch der Art. 603 existiert, der das Delikt "geistige Manipulation" behandelt habe. Diese Gesetzesnorm sei, da sie in der Vergangenheit hauptsächlich gegen charismatische katholische Priester und gegen Homosexuelle angewendet worden sei, 1981 vom italienischen Verfassungsgericht aufgehoben worden. Begründung sei gewesen, daß die Vorschrift so vage formuliert gewesen sei, daß sie faktisch gegen jede unliebsame Minderheit anwendbar wäre und damit eine Gefahr für die Demokratie darstelle.

Schweiz

Der schweizerische Sachverständige führte aus, daß neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen eine Berufung auf die Religionsfreiheit im Rahmen einer sogenannten "Korporationsbeschwerde" möglich sei, sofern sie im Interesse ihrer Mitglieder handelten und ihre weltanschaulichen und religiösen Ziele statuarisch verfolgten und damit unterstellt werden könne, daß sie Einzelbeschwerden von Mitgliedern umfaßten.

Eine Berufung auf die Gewerbefreiheit schließe allerdings den Aspekt der Religiosität der Körperschaft als vorherrschend aus und bringe den Verlust der Privilegien mit sich, die für Religionsgemeinschaften gälten.

USA

Der Sachverständige aus den USA machte auf die strikte Unterscheidung zwischen Glaubens- und Handlungsfreiheit in seinem Land aufmerksam. Jeder, der glaubhaft machen könne, daß seine Gruppierung eine Religion sei, habe Anspruch auf verfassungsmäßigen Schutz. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten habe 1981 entschieden, daß die Schutzwürdigkeit der Religionsfreiheit im Rahmen des Ersten Verfassungszusatzes nicht voraussetze, daß die religiösen Grundsätze für andere annehmbar, logisch, sinnvoll oder verständlich sein müßten.

Obwohl der Erste Verfassungszusatz den religiösen Individualismus begünstigt und seiner politischen Vertretung gewissermaßen zuarbeitet, kann empirisch festgehalten werden, daß die amerikanische Rechtsprechung die aus europäischer Sicht oft durchgängig erscheinende politische Tendenz zu ungewöhnlicher Privilegierung minoritärer und marginaler Religionen nicht unbesehen nachvollzieht, bzw. historische Veränderungen zu beobachten sind.

In einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages wird weiterhin die Auffassung vertreten, daß schon auf der rechtlichen Ebene alles in allem die Verhältnisse in den USA doch wesentlich weiter von einem System radikaler Trennung von Kirchen und Staat entfernt seien, als vielfach angenommen werde.

Griechenland

Der griechische Vertreter im "Internationalen Forum", Dr. Krippas, erklärte, daß beim griechischen Volk eine hohe Affinität zur orthodoxen Kirche festzustellen sei (95%). Er betrachte daher die Kirche als ein wesentliches Bollwerk gegenüber "Sekten" und Psychogruppen. Dr. Krippas führte weiter aus, daß der Gesetzgeber niemals die "sozialgefährliche Tätigkeit" von "Sekten" ignorieren dürfe. Das griechische Gesetz über Proselytenmacherei (Gesetz 1363/1938 Art. 4 Abs. 3) biete einen Ansatz dafür. Hiernach seien alle Methoden strafbar und müßten von Amts wegen verfolgt werden, die darauf zielten, "die religiöse Anschauung einer Person (...) zu erschüttern und zwar (...) durch Überredung (...), Versprechen eines Anreizes (...), materielle Hilfe (...), betrügerische Mittel (...), Ausnützen der Unerfahrenheit (...), ihres Vertrauens (...), ihrer Bedürftigkeit (...), mangelnder Intelligenz oder ihrer Naivität". Die Methoden, die die "Sekten" benutzten, um neue Mitglieder zu werben, setzten seiner Meinung nach immer eine irreführende oder täuschende Handlung voraus.

In allen modernen Rechtsordnungen liefen täuschende, irreführende oder arglistige Handlungen den bestehenden Gesetzen zuwider.

Zur griechischen Vorschrift hat sich auch der Europäische Gerichtshof geäußert, der den Einspruch eines Zeugen Jehovas, dem illegaler Proselytismus vorgeworfen worden war, zu behandeln hatte. Der Antragsteller hatte das Urteil des griechischen Kassationsgerichtshofes mit der Begründung angefochten, daß die oben genannte Rechtsvorschrift mit Art. 9 (sowie mit anderen Artikeln) der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar sei. Der Europäische Gerichtshof hat im konkreten Fall (Kokkinakis gegen Griechenland) zwar die Rechtmäßigkeit des griechischen Gesetzes nicht in Zweifel gezogen, hat aber festgestellt, daß es eine Verletzung von Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention durch das Urteil gegeben habe. In diesem Zusammenhang ist der griechische Staat zu einer Entschädigungszahlung verurteilt worden.

5.4.1.4 Rechtsstreitigkeiten

In allen westlichen Staaten sind Konflikte zwischen neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen mit Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu finden, die gerichtsanhängig gemacht wurden. Dies gilt namentlich für Scientology. Es gibt jedoch weder eine systematische Analyse des Fehlverhaltens dieser Gruppen als Kollektive, noch des Fehlverhaltens einzelner Mitglieder im Sinne einer Typologie des Unrechts. Eine solche Typologie ist aber nach Prof. Dr. Kerner notwendig, um anhand von wiederkehrenden Fallgruppenkonstellationen zu einer Typologie der rechtlichen Reaktions- und Sanktionsmöglichkeiten und dogmatisch überzeugenden juristischen Lösungen für die Bundesrepublik Deutschland zu kommen.

In vorläufiger Annäherung könnte eine derartige Typologie nach folgenden Ordnungskriterien vorgehen:

- Unterwanderung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft,

- Erschleichung ungerechtfertigter staatlicher Vorteile,

- Korporatives Unrecht,

- Schädigung von Dritten durch Mitglieder neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen,

- Schädigung von Interessenten, Kunden, Anhängern, Mitgliedern durch neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen oder deren Mitglieder.

Großbritannien

Prof. Dr. Beckford stellte dar, daß es in Großbritannien rechtliche Auseinandersetzungen vor allem mit der Scientology-Organisation im Zusammenhang mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit und mit Werbesendungen im Fernsehen gegeben habe.

Der Scientology-Kirche sei 1979 die Gemeinnützigkeit mit der Begründung verweigert worden , daß sie keine wirkliche Religion sei, sondern eine "Philosophie über die menschliche Existenz". 1996 sei von den Scientologen erneut die Gemeinnützigkeit beantragt worden.

Die Aberkennung dieses Status im Fall der Vereinigungskirche sei 1983 gescheitert, der Versuch dies gegenüber einer christlichen Sekte mit dem Vorwurf der Zerstörung von Familien zu tun, sei 1981 ebenfalls gescheitert. Der "Charity Commissioner" könne eine gemeinnützige Einrichtung anklagen, wenn die gemeinnützigen Ziele nicht mehr erfüllt würden oder keine ordnungsgemäße Buchführung vorgelegt werde. Die Aberkennung selbst obliege aber ausschließlich dem Obersten Gerichtshof.

Andere Streitigkeiten hätten sich vor allem auf den Vorwurf der Verleumdung, der Mißachtung der geltenden Arbeitsgesetze und der Erteilung von Baugenehmigungen bezogen. Diese Rechtsfälle hätten eine sehr kleine Zahl religiöser Gruppen betroffen und seien zwischenzeitlich alle beigelegt worden. Scientology sei 1980 damit gescheitert, eine Befreiung von der Arbeitgebersteuer zu erreichen.

Konflikte im Zusammenhang mit der Mitarbeit deutscher Staatsbürger in neuen religiösen Bewegungen seien nicht bekannt geworden.

Italien

Der Sachverständige aus Italien wies auf folgende Fallkonstellationen hin, bei denen es Anlaß zu juristischem Einschreiten gebe. Verstöße gegen Verbraucherrechte: der Konsument spiritueller Güter dürfe nicht weniger Schutz genießen als der Konsument von Schokolade oder Wein. Hier sei das Handels- und Zivilrecht gefragt, seltener das Strafrecht.

In Fällen der Ausübung von physischem Druck oder Drohungen, dem Mißbrauch der Schwäche von Minderjährigen und geistig labilen Menschen und der Anstiftung zu Verbrechen oder zum Selbstmord, sei die punktuelle Anwendung des Strafrechts erforderlich.

Schweiz

Aus der Schweiz wurden Streitigkeiten aus dem strafrechtlichen Bereich berichtet.

Vermögensdelikte: Bei Delikten im Bereich von Wucher und Betrug habe es Verurteilungen von Einzelpersonen gegeben, die in Zusammenhang mit deren sektiererischem Engagement gestanden haben.

Delikte gegen die Freiheit: Als wiederkehrende Thematik wurden hier Erpressung und Nötigung genannt; berichtet wurde sowohl von einer Verurteilung (Erpressung mittels schwarzmagischer Rituale) als auch einem Freispruch (Wunderheilung).

Im Falle von Freiheitsberaubung und Entführung werde meist das Ausland als Begehungsort verdächtigt (insbesondere die USA). Der schweizerische Bundesrat habe auf eine diesbezügliche Anfrage 1988 antworten müssen.

Sexualdelikte sowie Delikte gegen Leib und Leben: Bei Sexualdelikten wurde von einer Verurteilung berichtet, Körperverletzung infolge von Psychotechniken sei bisher durch kein Schweizer Strafgericht festgestellt worden.

Andere Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit seien dann verfolgt worden, wenn z. B. das Gesundbeten zu einem Verzicht auf andere medizinische Versorgung geführt habe.

Bei einer Verleitung zum kollektiven Selbstmord bleiben nach geltendem Recht überlebende "Sektenführer" straflos, wenn sie selbst daran teilgenommen und überlebt haben.

Generell wurde die Seltenheit erfolgreicher Strafverfahren hervorgehoben.

USA

Der Sachverständige aus den Vereinigten Staaten berichtete von zahlreichen Konflikten in unterschiedlichen Handlungs- und Rechtsbereichen: Mitgliederwerbung, "Gehirnwäsche", manipulative Therapien, elterliches Sorgerecht, Drogengebrauch, Steuerhinterziehung, Betrug, Arbeitsgesetze, Mißbrauch von Sozialleistungen, Einwanderungsgesetze.

Der Eindruck tatsächlichen Problemdrucks entsteht eher durch den historischen "Vorsprung" und die Größe der USA (die ja auch als Exportland von mindestens 90 % dieser Gruppen gelten könne) und der Vielzahl der Fälle, über die (auch) deshalb berichtet werden kann.

Das zweite Problem im Zusammenhang mit der Reichhaltigkeit des vorliegenden Konfliktmaterials ist auch ein qualitatives und betrifft nicht zuletzt die Aggressivität mit der Konflikte verfolgt und bearbeitet werden. Zum einen ist hier das Phänomen des "Deprogramming", das in Europa so gut wie keine Rolle spielt, zu erwähnen, zum anderen die gewaltsame Niederschlagung von Konflikten wie im Falle der Branch Davidians und einiger Vorläufer. Für die Heftigkeit, gerade auch der Gegenreaktion in diesem freizügigen Land, wurde keine Erklärung gegeben.

5.4.1.5 Internationale Verbindungen

Unstreitig war die Tatsache, daß einige neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen in den jeweiligen Ländern Teile internationaler Netze sind. Globalisierung sei nach Ansicht der Experten sowohl ein religiöses und kulturelles wie auch ein ökonomisches und politisches Phänomen. Religionsgemeinschaften nutzten nach Ansicht des amerikanischen Sachverständigen genauso wie internationale Firmen die Vorteile der Globalisierung und schrumpfender Entfernung und bauen komplexe Organisationsnetze in vielen Ländern, auch in solchen mit intaktem Bankgeheimnis oder Steuerparadiesen, auf.

Zwar werde nach seiner Meinung in manchen Gruppen bei der Geldbeschaffung möglicherweise mit religiöser Gaunerei gearbeitet. Eindeutige Beweise für illegale Machenschaften in Finanztransaktionen habe er nicht erkennen können.

Recht problematisch für den Einzelnen wäre die Verzweigung der jeweiligen Gruppe ins Ausland, wenn es zu Sorgerechtsprozessen komme.

Für die Gesamtproblematik wies der Sachverständige Gandow auf drei Aspekte hin: die Verlagerung von Aktivitäten ins Ausland, die Einwirkung vom Ausland auf Deutschland, die Invasion von Religionen, Kulten und diversen Gruppen in Mittel- und Osteuropa. Als Gründe hierfür sah er die ungefestigte gesellschaftliche Situation, die relative Schwäche der traditionellen Institutionen durch die sozialistische Vergangenheit und die relative Stärke der spirituellen "Eindringlinge".

5.4.1.6 Wahrnehmung in der Öffentlichkeit

Die Wahrnehmung neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen hängt von vielen sozio-kulturellen und anderen Faktoren (z. B. gesellschaftliche Einschätzung des Gefährdungspotentials, konkrete Rechtsstreitigkeiten usw.) ab. An dieser Stelle sei nur auf die unterschiedliche rechtshistorische Entwicklung der Religionsfreiheit in den USA und in Europa verwiesen. Auch in Europa lassen sich durchaus regional und gesellschaftlich bedingt unterschiedliche Wahrnehmungsweisen feststellen. Auf diesem Feld kann man zwischen der sozialen Wahrnehmung in Relation zur ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Situation in Westeuropa und der in den neuen Demokratien Osteuropas Unterschiede feststellen.

Das Aufkommen einer großen Vielfalt von neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaften sowie Psychogruppen spiegelt ein Phänomen wider, das sich auch auf anderen Gebieten in den westeuropäischen Industrienationen abzeichnet.

Als Ursachen können hierfür Individualisierungstendenzen und eine erneute Orientierung der Menschen an Normen und Werten herangezogen werden. Das Aufkommen dieser Gruppierungen - als Ausdruck eines gesellschaftlichen Pluralismus - ist nach Auffassung der Experten als eine gesellschaftliche Tatsache zu sehen, die erst einmal nicht weiter beunruhigen muß. Der Staat könne dieses nur passiv erdulden. Das zeige sich auch darin, daß erste Ansätze, informativ und aufklärerisch zu wirken, nicht von staatlicher Seite entstanden sind, sondern von Seiten der Kirchen und durch Eltern- und Betroffeneninitiativen unternommen wurden. Diese hätten die Probleme und Konflikte mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppe auch in den politischen Raum hineingetragen. Der Weltanschauungskampf zwischen den sogenannten Anti-Kult-Gruppen und den neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen habe an Schärfe zugenommen. Dieser Kampf werde durchaus nicht nur auf der ideologischen Ebene ausgetragen, sondern häufig genug auch vor den Schranken der Gerichte. Die vorliegenden parlamentarischen Berichte und die Ausführungen der Experten zeigten, daß die bestehenden Gesetze in der Regel ausreichten, im straf- und zivilrechtlichen Bereich Probleme zu lösen, ohne in Konflikt mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu kommen. Dies zeigten auch die in den letzten Jahren gefällten Urteile in Italien, Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland. Nach Auffassung der Experten heißt das nicht, daß der Freiheitsspielraum, den die demokratisch verfaßten Staaten böten, nicht von der Gruppe dazu ausgenutzt werden könne, ein Regime der Unfreiheit aufzubauen. Staatliche - religiöse und weltanschauliche - Neutralität bedeute darum auch nicht, die gesellschaftliche Entwicklung und die damit verbundenen Konflikte - auf welcher Ebene auch immer - zu ignorieren und die Sorgen und Beschwerden der Bevölkerung hierzu nicht ernst zu nehmen.

In den verschiedenen Ländern wird dem Problem allerdings unterschiedliche Aufmerksamkeit zuteil.

Großbritannien

Der Sachverständige stellt die öffentliche Meinung wie folgt dar:

- die akademische Meinung und die offiziellen Stellungnahmen der großen Kirchen: diese betonten die Notwendigkeit zur Sammlung, Auswertung und Verbreitung objektiver Informationen und lehnten "Gehirnwäsche" als Erklärung für den Beitritt zu solchen Bewegungen weitgehend ab. Die Anzeige mißbräuchlicher oder illegaler Methoden werde jedoch als äußerst wichtig erachtet;

- die öffentliche Meinung sei wahrscheinlich immer noch überzeugt, daß "Sekten" und Kulte eine potentielle Gefahr für Einzelne darstellten. Dies sei weitgehend auf die Arbeit von Journalisten und Programmverantwortlichen zurückzuführen;

- die Meinung traditioneller Kirchen und Bildungseinrichtungen: warnten junge Menschen manchmal vor den Gefahren der Mitgliedschaft, aber es habe bisher weder eine Behörde, noch eine politische Partei, noch irgendeinen der größeren Verbände gegeben, die einen Feldzug gegen die neuen religiösen Bewegungen ausgelöst hätten.

Darüber hinaus gebe es in Großbritannien mehrere Organisationen, die die öffentliche Diskussion über neue religiöse Bewegungen zu beeinflussen versuchten. Davon verfügten allerdings nur zwei (INFORM und FAIR) über ausreichende Mittel und Glaubwürdigkeit, um dies erfolgreich tun zu können.

Zusammenfassend lasse sich sagen, daß die neuen religiösen Bewegungen nur wenige Menschen wirklich beunruhigten und von noch weniger Menschen als ernste Gefahr betrachtet würden. Öffentliche Ängste würden von einem Bedürfnis nach Freiheit, Pluralismus und Toleranz aufgewogen.

Rußland

Der Sachverständige Prof. Dr. Dvorkin erläuterte, daß die Umbruchsituation in Rußland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch die Ausbreitung und Wirkungschancen von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen begünstigt habe. Scheinbar anders als in den westeuropäischen Ländern, sei von den Gruppierungen versucht worden, sofort in die Machtzirkel hineinzugelangen. Allerdings schienen ebensolche Versuche gegenwärtig auch in Großbritannien zu erfolgen. Die schwierige ökonomische Situation und die allgemeine Armut der Bevölkerung in der Russischen Föderation habe es für die reichen Kulte leicht gemacht, sich den Weg nach oben zu erkaufen. Werber seien oftmals mit einem Touristenvisum eingereist. Die Folge dieser Situation sei ein sprunghafter Anstieg der Mitglieder- bzw. Anhängerzahlen gewesen.

USA

Der Sachverständige aus den USA, Prof. Dr. Passas, machte auf die, vor dem Hintergrund des First Amendment, paradoxe Situation aufmerksam, daß die gesellschaftlichen Kontroversen und Konflikte in Verbindung mit den neuen religiösen Bewegungen in den Vereinigten Staaten wesentlich schärfer als in anderen Industrienationen geführt würden.

Der Sachverständige führte weiter aus, daß nach seiner Ansicht sowohl die "Antisektenbewegung" als auch Scientology die Strategie entwickelt hätten, den Gegner durch Überschütten mit Gerichtsverfahren auszubluten und in den Bankrott zu treiben. Die Bereiche, in denen sich die hauptsächlichen Konflikte ergeben hätten, seien alle auch auf dem Rechtsweg ausgetragen worden.

5.4.1.7 Beratungs- und Informationssituation

In den einzelnen europäischen Ländern sind in dem Zusammenhang mit den durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung entstandenen Konflikte und Probleme zahlreiche private und kirchliche Beratungs- und Informationsstellen entstanden. Die Beratungsarbeit in diesem Bereich wird in großen Teilen von freiwilligen Helfern oder von ehemaligen Mitgliedern neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen getragen. Zudem scheint die finanzielle Situation der privaten Initiativen von großen Problemen gekennzeichnet zu sein.

Großbritannien

Frau MacKenzie aus Großbritannien berichtete, daß die Beratungslage allgemein in Großbritannien als katastrophal zu bezeichnen sei. Die Initiativen erhielten keine finanzielle Unterstützung, weder von der Regierung, noch von den Ländern und Städten. INFORM (Information Network Focus on Religious Movements), deren Vorstandsvorsitzende Eileen Barker sei, sei 1988 gegründet worden. Hauptziel der Einrichtung sei, der Öffentlichkeit zu dienen, möglichst objektive, ausgewogene und aktuelle Informationen über neue religiöse Bewegungen anzubieten. Zu diesem Zweck würden Tagungen durchgeführt, eine Datenbank unterhalten, telefonische Anfragen beantwortet sowie Broschüren über die potentiellen Gefahren mancher Gruppen erstellt. Außerdem habe INFORM einen Beraterauftrag bei der "Metropolitian Police".

INFORM habe sich - zu Zeiten der konservativen Regierung unter Premierministerin Thatcher - über zwei Dreijahresdarlehen des Innenministeriums finanziert, den Verkauf eigener Publikationen, Geldmitteln religiöser Organisationen sowie gemeinnütziger Stiftungen und sei selbst als solche anerkannt und als GmbH verfaßt. INFORM beschäftige drei fest angestellte Mitarbeiter und zahlreiche Freiwillige. Seit 1997 werde die Arbeit von INFORM durch jährliche Zuschüsse (2000 engl. Pfund) des Innenministeriums finanziell unterstützt.

FAIR (Family Action Information and Rescue) sei 1976 auf Initiative von Paul Rose, einem ehemaligen Labour-Abgeordneten, und betroffenen Angehörigen von Mitgliedern der Vereinigungskirche gegründet worden. Heute sei sie eine freiwillige Vereinigung von Eltern, ehemaligen Sektenmitgliedern, Ärzten, kirchlichen und anderen betroffenen Personen, die das Problem der Mitgliedschaft in Sekten und Kulten nicht aus akademischer oder doktrinärer Sicht, sondern auf dem Boden der Menschenrechte und der gesellschaftlichen Verantwortung behandle (Selbstbeschreibung). FAIR sei nicht als gemeinnützig eingetragen, habe nur selten ausreichende Mittel für die Einstellung von Personal, nehme Beweise nur von sektenkritischen Personen an und operiere vor allem mit den Zeugenaussagen hunderter enttäuschter ehemaliger Mitglieder religiöser Bewegungen und deren Angehörigen.

Russische Föderation

Prof. Dr. Dvorkin führte aus, daß in Rußland erst sehr spät eine "Anti-Kult-Bewegung" entstanden sei. Diese sei von betroffenen Eltern und der russisch-orthodoxen Kirche initiiert worden. Über die Quantität und die Qualität der Beratung machte er keine Aussagen.

Österreich

Frau Dr. Valentin berichtete, daß in Österreich die Erzdiözese Wien bereits 1952 ein Sektenreferat eingerichtet habe, dessen Aufgabe es sei, die Szene zu beobachten. Zudem bestünden seit zwanzig Jahren Elterninitiativen, die sich mit der Thematik auseinandersetzten. Grundsätzlich könne man sagen, daß die Sekten- und Psychogruppenszene nicht so sehr von der in der Bundesrepublik Deutschland differiere. Auf staatlicher Ebene versuche man mittels Broschüren zu informieren und aufzuklären. Der österreichische Familienminister habe vorgeschlagen, daß die Familienberatungsstellen zum Thema Sekten qualifiziert werden sollten. Es werde daran gedacht, eine Beratungsstelle pro Bundesland einzurichten. Parallel hierzu sei bereits ein Projekt in Angriff genommen worden, in jedem Bundesland einen Schulpsychologen besonders mit der Beratung zu betrauen. Auf der Ebene der Gesetzgebung sei derzeit eine Gesetzgebung in der Begutachtungsfrist, die den Status der religiösen Bekenntnisgemeinschaft regeln soll. Vorgesehen sei hiernach, daß eine Gruppe von 100 Personen, die keiner anderen religiösen Gemeinschaft angehörten, um diesen Status ersuchen könnte. Eine Anerkennung könnte hiernach nach 15 Jahren Bewährung ausgesprochen werden und der Körperschaftsstatus verliehen werden. Auch wenn nach dieser Zeit die Mitgliederzahl 0,2% der Bevölkerung betrage, käme die Verleihung des Körperschaftsstatus in Frage. Ansonsten setze der österreichische Staat auf Information und Aufklärung. Ein Dialog mit den Gruppen finde nicht statt.

Spanien

Auch Prof. Dr. del Pozo Alvarez berichtete von der schlechten finanziellen Situation der spanischen Beratungs- und Informationsstellen. Zudem gebe es in Spanien landesweit nur zehn solcher Stellen. Man könne daher nichts Positives über die gegenwärtige Situation berichten.

5.4.1.8 Parlamentarische Auseinandersetzung

Belgien

Im Jahre 1996 veröffentlichte der parlamentarische Untersuchungsausschuß des Belgischen Repräsentantenhauses seinen Abschlußbericht. Ziel war es, "eine Politik zur Bekämpfung von illegalen Praktiken von Sekten und der Gefahr, die diese für die Gesellschaft und für die Individuen, insbesondere die Minderjährigen darstellen, zu entwickeln". Vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses habe es in Belgien keine "eigentliche Politik in dieser Sache" gegeben, mit Ausnahme des an den Staatssicherheitsdienst erteilten Auftrages (Sureté de l'Etat), Informationen "über alle Aktivitäten zu sammeln, zu analysieren und zu bearbeiten, die die innere Sicherheit des Staates und den Erhalt der demokratischen Ordnung gefährden bzw. gefährden könnten".

Der Ausschuß stellt hinsichtlich der quantitativen Dimension ein nur fragmentarisches Wissen fest. Straftaten, die im Rahmen von Sektenaktivitäten begangen würden, würden erst seit kurzer Zeit registriert, aber damit nicht notwendigerweise systematisch erfaßt. So würden z. B. Drogendelikte, obwohl sie in Beziehung zu Sektenaktivitäten stünden, nicht unter Sektenaktivitäten registriert. Festgestellt wurde zudem, daß die Polizeibehörden nicht über die nötigen Selektions- , Identifikations- und Informationsinstrumente verfügten, um rechtzeitig reagieren zu können. Der Mangel an personellen und materiellen Ressourcen zwinge die Behörden dazu, Prioritäten zu setzen. Insbesondere bei den Finanz- und Sozialbehörden sei keine Sensibilisierung für die Sektenproblematik festzustellen. Verurteilungen seien bisher nur aufgrund persönlichen Fehlverhaltens und nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation zustande gekommen. Nur wenige Sekten hätten bisher den Versuch gemacht, unmittelbar auf politische Parteien einzuwirken. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Möglichkeit der informellen Einflußnahme durch die Scientology-Organisation verwiesen.

Die Untersuchungskommission stellt in ihren Schlußfolgerungen fest, daß das existierende rechtliche Instrumentarium im großen und ganzen ausreiche, die "schädliche Politik der Sektenorganisationen zu bekämpfen". Konkret wird vorgeschlagen, eine neue Vorschrift in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, die die Ausnutzung einer Schwächesituation einer Person sowie die aktive Aufforderung zum Selbstmord unter Strafe stellt. Die Kommission regt zudem an, die zuständigen Stellen stärker zu sensibilisieren und die Koordination zwischen ihnen zu verbessern sowie die internationale Kooperation zu intensivieren und eine intensive Aufklärung der Öffentlichkeit zu betreiben, insbesondere von Jugendlichen. Der Ausschuß schlägt weiter vor, eine Stelle einzurichten, die sich mit der Beobachtung der Entwicklung und der Aktivitäten von Sekten befassen soll.

Frankreich

Auf den Vivien-Report, der 1985 in Frankreich erschienen ist, soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Der französische Bericht von 1995 konstatiert, daß von den Sekten Gefahren ausgingen, denen der Staat begegnen müsse. Hierzu sei die konsequente Anwendung des bestehenden juristischen Instrumentariums notwendig, das zur Ahndung gesetzeswidriger Handlungen - auch bei Sekten - zur Verfügung stehe. Die Justiz sei für dieses Thema zu sensibilisieren und über die Gefährlichkeit der fragwürdigen Gruppierungen zu informieren. Des weiteren sei Aufklärung in allen Bereichen notwendig. Der Bericht wählt bei der Frage, was eine Sekte sei, einen ethischen Ansatz. Eine Bewegung, die sich als religiös darstelle, gelte dann als Sekte, wenn eines oder mehrere von zehn Kriterien erfüllt seien, z. B. solche wie "geistige Destabilisation" der Mitglieder oder Versuche, öffentliche Einrichtungen zu unterwandern. Der Begriff wird auf jede Gruppierung angewendet, von der angenommene oder tatsächliche Gefahren für das Individuum und die Gesellschaft ausgehen. Der Bericht enthält zudem eine von den Nachrichtendiensten nach vermutlicher Gefährlichkeit zusammengestellte Liste von "Sekten".

Der Bericht stellt fest, daß von Sekten zweifellos erhebliche Gefahren ausgingen, denen der Rechtsstaat nicht tatenlos gegenüberstehen dürfe. Art. 2 der französischen Verfassung garantiere die Glaubensfreiheit, und darum müsse jede Maßnahme, die ergriffen werden sollte, sorgsam bedacht werden. Das bestehende Recht gebe eine Anzahl von Möglichkeiten, gesetzwidrige Handlungen von Sekten zu ahnden. Eine spezielle "Sektenjustiz" sei daher abzulehnen. Neben einer besseren Information der Öffentlichkeit und der Justiz (Richter) über Sekten und der konsequenten Anwendung bestehenden Rechts wird eine interministerielle Beobachtungsstelle mit direktem Zugang zum Premierminister vorgeschlagen.

Großbritannien

Sir John D. Foster veröffentlichte im Namen des britischen Unterhauses 1971 einen Bericht mit dem Titel "Enquiry into the Practice and Effects of Scientology". Auslöser für diese Untersuchung waren Vorkommnisse am sogenannten Hubbard College of Scientology in East Grinstead in den Jahren 1960 und 1966. In diesen Jahren kam es ebenfalls zu Anfragen bezüglich Scientology im britischen Parlament.

Der Bericht äußert scharfe Kritik am ideologischen System von Scientology und moniert insbesondere das rigorose Freund/Feind-Bild und den Umgang mit Kritikern von innen und von außen. Auch die Dianetik als Psychotherapie wird kritisiert, da sie sich nicht, wie in der Wissenschaft üblich, der offenen Diskussion stelle.

Der Bericht stellt fest, daß Scientology gesellschaftlich schädlich sei, und daß die angewandten Methoden eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit darstellten, und daß es Anhaltspunkte für die Indoktrination von Kindern gebe. Der Bericht stellt fest, daß es in Großbritannien jedoch nicht die Möglichkeit gebe, die Praktiken, die Scientology anwende, zu verbieten. In der Folge des Berichts versuchte die britische Regierung, das Einreiserecht nicht nur führender Mitglieder der Scientology-Organisation einzuschränken. Die Einschränkungen wurden im Jahre 1980 aber wieder aufgehoben.

Niederlande

Der 1984 erschienene niederländische Bericht geht einen ganz anderen Weg. Der niederländischen Kommission ging es in erster Linie darum, nicht für oder gegen eine bestimmte Gruppierung zu votieren, sondern Einsicht in die Aktivitäten zu bekommen, um zu beurteilen, ob für den Staat hieraus Handlungsbedarf erwachsen könnte.

Es wurde in diesem Zusammenhang nicht öffentlich bekannt gegeben, welche Bewegungen in die Untersuchung einbezogen wurden. Zur Erstellung des Berichts wurden alle erreichbaren Informationsquellen herangezogen. Zudem wurden auch die Gruppierungen, die Gegenstand des Berichts geworden sind, in mündlicher und schriftlicher Form an der Arbeit beteiligt.

Zusammenfassend stellt der niederländische Bericht fest, daß keine wirkliche Bedrohung für die geistige Volksgesundheit von den untersuchten Gruppierungen ausgehe. Auch die Behauptung, daß neue religiöse Bewegungen bei der Werbung neuer Mitglieder Zwang ausübten, habe sich durch die Untersuchung nicht bestätigt. Es bestünde keine Notwendigkeit, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Es seien daher keine speziellen gesetzgeberischen Maßnahmen erforderlich. Die Ergebnisse gäben keinerlei Anlaß, für eine Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten zur Auflösung von juristischen Personen zu plädieren, d. h. Bewegungen, die den Status einer "religiösen Gemeinschaft" haben, aufzulösen. Ziel der Studie sei auch gewesen, eine Beurteilung der staatlichen Politik gegenüber neuen religiösen Bewegungen zu ermöglichen. Allerdings dürfe die Studie auch nicht überbewertet werden, da sie - gerade in der Beschreibung der Gruppen - eine Momentaufnahme darstelle, die möglicherweise von neuen Entwicklungen - positiv wie negativ - eingeholt werden könne.

Spanien

Der 1989 veröffentlichte spanische Bericht konzentriert sich darauf, ob mit der gegenwärtigen spanischen Gesetzgebung angemessen auf die im Zusammenhang mit Sekten auftretenden Probleme reagiert werden kann. Methodisch baut der Bericht auf drei Säulen auf: 1) auf der Analyse von Dokumenten (z. B. europäische Berichte, Dokumentation über die spanische Gesetzgebung in den Bereichen weltlicher und religiöser Vereinigungen, Erziehung, Jugend, Strafgesetzbuch sowie Religionsunterricht, Verzeichnis der religiösen Vereinigungen, die im Register des Justizministerium aufgeführt sind, Petitionen, Anzeigen und Beschwerden), 2) Anhörungen (z. B. Mitglieder der Arbeitsgruppe "Vereinswesen und individuelle Freiheit", den Leiter der Abteilung Steuern und Abgaben des Finanzministerium, den Bürgerbeauftragten) und 3) die interne Debatte der Vertreter der Fraktionen.

Die Kommission fühlte sich explizit nicht zur "Überprüfung von Personen und Sekten" eingesetzt und nicht verpflichtet, einen genauen Katalog oder Namenslisten von Sekten zu erstellen. Der Bericht kommt zu der Gesamtbewertung, daß die spanische Gesetzgebung ausreichend sei, um Rechtsverstößen, die im realen oder nur scheinbaren Zusammenhang mit sogenannten Sekten oder Psychogruppen begangen werden, zu begegnen. Dies gelte sowohl in der Regelung der verfassungsmäßigen Rechte als auch zivil- und strafrechtlich gesehen. Unzulänglichkeiten in der administrativen Behandlung sehe man nur aufgrund der Tendenz, zur Erlangung steuerlicher Vorteile eine angebliche Gemeinnützigkeit ohne Gewinnstreben vorzutäuschen.

Die Kommission schlägt daher unter anderem vor, die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden, den Informationsaustausch zu verstärken, Informationen zu erarbeiten und Aufklärung im Erziehungs- und Kulturbereich zu betreiben. Empfohlen wird außerdem der Abschluß eines internationalen Abkommens über die Entführung Minderjähriger, um den "Informationsaustausch und die umgehende Rückführung der Minderjährigen, die illegal außer Landes verbracht wurden, und ebenso den Informationsaustausch über den Aufenthalt von außer Landes verbrachten Volljährigen zu erleichtern".

5.4.1.9 Europäisches Parlament

1984 erschien ein Bericht des Europäischen Parlaments "über die Tätigkeit gewisser 'neuer religiöser Bewegungen' innerhalb der Europäischen Gemeinschaft" (Cottrell-Bericht). Es handelt sich hierbei um eine revidierte Fassung aus dem Jahre 1983. Der Kern dieses Berichts besteht aus einer groben Zusammenfassung von Vorwürfen gegenüber den neuen religiösen Bewegungen. Die revidierte Fassung aus dem Jahre 1984 stellt fest, daß die bestehenden Rechtsvorschriften in den Mitgliedsstaaten weitestgehend ausreichend seien. Erforderlich sei die Entwicklung einer gleichberechtigten Koexistenz und Integration der Gruppen in die Gesellschaft, da diese heutzutage ein Charakteristikum der gesellschaftlichen Landschaft darstellten. Der Bericht formuliert eine Reihe "freiwilliger Leitlinien", an die sich die Gruppen halten sollten, so z.B. das Recht auf eine ausreichende Bedenkzeit vor Beitritt einer Bewegung zu gewähren, die Beachtung der Rechte von Kindern, das Recht, auch weiterhin soziale Kontakte nach außen aufrecht erhalten zu dürfen.

Im Februar 1996 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung zu "Sekten in Europa". Das Europäische Parlament fordert darin, unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, auf den Vertrag der Europäischen Union, insbesondere Art. F Abs. 2, Art. K. 1 Abs. 2, 5, 6, 7, 9 und Art. K. 3 und auf die Entschließung zu einer Charta der Rechte des Kindes vom 8. Juli 1992, die Mitgliedstaaten auf, enger in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, Informationen auszutauschen und den Status einer religiösen Gemeinschaft nicht automatisch zu verleihen, und zu prüfen ob die nationalen Rechtsvorschriften ausreichen, gesetzwidrigen Handlungen solcher Gruppen entgegenzutreten. Der Europäische Rat wird in der Entschließung ersucht, "alle Maßnahmen zu prüfen, vorzuschlagen und einzuleiten, (...) um die illegale Tätigkeit der Sekten in der Union einzudämmen und zu bekämpfen", des weiteren zu verhindern, daß diese in den Genuß gemeinschaftlicher Beihilfen kommen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Drittstaaten mit dem Ziel zu fördern, "vermißte Personen ausfindig zu machen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern" und "zu fördern". In dieser Entschließung beauftragt das Parlament seinen Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten, den zuständigen Ausschüssen der nationalen Parlamente vorzuschlagen, eine gemeinsame Sitzung dem Thema Sekten zu widmen und die Schlußfolgerungen hieraus dem Plenum vorzulegen.

Diese gemeinsame Sitzung fand am 21. November 1996 statt. Die Ergebnisse dieser Sitzung liegen seit September 1997 vor. Der aus dieser Sitzung entstandene Berichtsentwurf bemängelt, daß weder der Rat noch die Kommission die Empfehlungen der Entschließung aufgegriffen haben und weitergehende Schritte nicht erfolgt sind. Der Bericht stellt auch fest, daß in den mittel- und osteuropäischen Staaten ein "Anwachsen von Sekten zu beobachten ist und daß die staatlichen Behörden im Umgang mit dem für sie neuen Problem überfordert sind". Hinweise, die eine empirische Basis für diese Behauptung liefern, konnte die Berichterstatterin hierzu allerdings nicht finden.

Der Bericht des Europäischen Parlaments von 1997 stellt fest, daß die Verwendung des Begriffs "Sekten" Unsicherheit und Unstimmigkeit auslöse. In Anlehnung an den Text der Entschließung des Europäischen Parlaments vom Februar 1996 wird im Berichtsentwurf allerdings in der Folge das Wort "Sekten" verwendet, weil der Begriff in der genannten Entschließung nicht diskriminierend gemeint sei und gleiches auch hier gelte.

5.4.1.10 Parlamentarische Versammlung des Europarates

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat sich in ihrer Empfehlung 1178 von 1992 ebenfalls mit dem Thema "Sekten und neue religiöse Bewegungen" befaßt. In dieser Empfehlung schlägt die Versammlung vor, verstärkte Anstrengungen und Aufklärung über etablierte Religionen und über das Sektenphänomen auf dem Gebiet der Erziehung vorzunehmen, eine Registrierung aller Gruppierungen mit Korporationsstatus und fordert darin alle Staaten auf, die die Konvention zum Schutz des Kindes noch nicht unterzeichnet haben, dies zu tun. Zudem sollte der Schutz von Kindern in Sekten gestärkt werden und auf Einhaltung der Rechte zum Schutz der Arbeitnehmer hingewirkt werden, die für Sekten arbeiten. Um sich über den Stand der Maßnahmen auf europäischer Ebene zu informieren, fand im April 1997 in Paris eine Anhörung des Unterausschusses für Menschenrechte des Europarates über Sekten in Europa statt. Im Ergebnis weist die Anhörung nochmals auf die Schwierigkeit im Gebrauch der Terminologie hin, die auch zu Problemen in der Rechtsprechung führe. Es ergebe sich die Notwendigkeit, allgemein gültige Kriterien zu entwickeln, anhand derer man die Konfliktpotentiale einschätzen könne. Der Staat solle zwar neutral bleiben, aber angemessen auf Rechtsverletzungen oder Verletzungen gegen die Menschenwürde vorgehen. Was geistige Manipulation sei und wie sie verifiziert werden könne, müßten noch Kriterien entwickelt werden.

5.4.1.11 Fazit der parlamentarischen Berichte

In der methodischen Anlage, der Art und Weise des Umgangs mit den Anzuhörenden, sowie der Definition des Untersuchungsgegenstandes "Sekte" und den Konsequenzen für staatliches Handeln, sind die einzelnen Berichte geprägt von kulturellen und juristischen Besonderheiten eines jeden Landes.

Quantitative und qualitative Dimension

Gemeinsames Fazit der vorliegenden Berichte ist, daß die quantitative sowie auch die qualitative Dimension des Phänomens schwer einschätzbar ist. Die meisten Berichte kommen zu dem Schluß, daß die bestehenden Gesetze weitgehend ausreichen - mit kleineren Ergänzungen - um Probleme, die in dem Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auftauchen, juristisch abzuarbeiten.

Die Beurteilung der Lehren der Gruppierungen wird explizit aufgrund der Verfassungsartikel der einzelnen Länder, die Religions- und Gewissensfreiheit garantieren, in den Berichten ausgeschlossen.

Rechtsverletzungen

Die Belange von Bürgern können unter bestimmten Umständen geschädigt werden. Die Frage, ob der Staat Gegenmaßnahmen ergreifen könne, wenn er dies feststelle, wird unterschiedlich beantwortet. Die Gerichtsentscheidungen in den letzten Jahren zeigen deutlich, daß es Fälle gibt, in denen aus dem Umfeld heraus strafbare Handlungen begangen werden (Betrügereien, Fälschungen, Körperverletzungen, Mißhandlungen, Freiheitsberaubung). Die Berichte zeigen auch, daß in keinem Land Straftaten systematisch in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe erfaßt werden. In der Bewertung der oben gestellten Frage steht der Staat in dem Spannungsverhältnis zwischen dem Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit und konkreten gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die europäischen Staaten halten eine Reaktion auf das Phänomen für unerläßlich, aber in einer Form, die antidiskriminatorisch ist. Eine spezielle "Anti-Sekten-Gesetzgebung" wurde in den Parlamentsberichten, von den Teilnehmern des "Internationalen Forums" und von Seiten der gehörten Wissenschaftler abgelehnt. Das vorhandene rechtliche Instrumentarium wird für die juristische Auseinandersetzung mit der Problematik als im wesentlichen ausreichend erachtet.

Begriffliche Bestimmung des Gegenstandsbereichs

Die parlamentarischen Berichte sowie auch die Anhörungen der Experten zeigen die Schwierigkeiten auf, den Untersuchungsgegenstand "Sekte" wissenschaftlich klar zu definieren.

So definiert der belgische Bericht den Begriff "Sekte" überhaupt nicht. Dem Bericht angehängt ist allerdings eine Liste von Organisationen, die in dem Bericht erwähnt werden. Der niederländische Bericht weist auf die Schwierigkeiten hin, die die Kommission mit dem Begriff hatte. Da der Terminus in den Niederlanden eine stark negative Konnotation habe, verzichtete man auf seine Verwendung. Auch der Begriff "Kult" erschien für die Arbeit nicht brauchbar. Aufgrund dieser terminologischen Problematik benutzt man den Begriff "Neue religiöse Bewegungen". Im Gegensatz hierzu entwirft der französische Bericht einen detaillierten Kriterienkatalog, mit dem Gruppierungen unter dem Begriff "Sekte" eingeordnet werden können: "Geistige Destabilisierung, übermäßig hohe finanzielle Ansprüche, Bruch mit dem ursprünglichen Umfeld, Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes, Eingliederung der Kinder in die Organisation, antisoziales Gerede, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, Konflikte mit der Justiz, Unterwanderung der Wirtschaftskreisläufe, Infiltration der Staatsorgane". Der spanische Bericht verwendet, trotz der negativen Konnotation, die mit dem Begriff der Sekte auch in Spanien verbunden ist, den Terminus "Sekte". Als Begründung hierfür wird angeführt, daß der Begriff in Spanien so etwas wie Verkehrsgeltung habe.

Die vorliegenden europäischen Berichte behandeln im wesentlichen den Phänomenbereich der "sogenannten Sekten". Nur der belgische Bericht befaßt sich auf zwei Berichtsseiten mit den "Therapeuten". Der vom Einsetzungsauftrag der deutschen Enquete-Kommission noch mitbehandelte Bereich "Psychogruppen", wird von den Berichten sonst nicht thematisiert. Es scheint zudem so zu sein, daß der im Deutschen verwendete Begriff "Psychogruppe" im internationalen Sprachgebrauch nicht in diesem Sinne verwendet wird. Der kanadische Sachverständige des "Internationalen Forums" machte darauf aufmerksam, daß der englischsprachige Raum eher "Therapeutische Gruppe" oder, um den deutschen Begriff besser zu treffen, von einer "Pseudotherapeutischen Gruppe" spricht.

Auch die Teilnehmer des "Internationalen Forums" machten deutlich, daß es erhebliche Probleme mit der Begriffsdefinition gebe. Eine Konkretisierung des Begriffs wurde auch in der Anhörung nicht vorgenommen, sondern es wurde weithin mit einer aus dem Alltagsverständnis abgeleiteten Begriffsbestimmung operiert.

Ebenso verwendeten die internationalen Experten eine unterschiedliche Begrifflichkeit. Im englischsprachigen wissenschaftlichen Raum hat sich die Bezeichnung "Neue religiöse Bewegung" durchgesetzt. Eine Bezeichnung, wie sie auch von einem Teil der europäischen Experten verwendet wird. Andere verwenden auch weiterhin die Begriffe wie "Sekte" oder "Kult".


5.4.1.12 Umsetzung der parlamentarischen Berichte

Es ist aus den vorliegenden Informationen nur in eingeschränktem Maße zu beurteilen, in welchem Maße die Handlungsempfehlungen, die die einzelnen europäischen Kommission gegeben haben, in die rechtliche und alltägliche Praxis umgesetzt worden sind.

Die Empfehlung des sogenannten "Foster Reports" (" Enquiry into the Practice and Effects of Scientology", 1971), über Gesetze zur Kontrolle psychologisch orientierter Medizin nachzudenken, hat bisher nicht zur Verabschiedung entsprechender Gesetze geführt.

Nach Auffassung des niederländischen Experten sah der Gesetzgeber in den Niederlanden nach den Ergebnissen des Berichts keine Veranlassung tätig zu werden. Dies gelte für juristische Maßnahmen sowie aus Sicht der Volksgesundheit und der des Kindeswohls. Der Gegenstand finde in der aktuellen Debatte nur noch wenig Beachtung. Trotz des negativen Lichtes, in dem die Sekten immer noch stünden, werde auf die Politik kaum Druck ausgeübt, bestehende Regelungen zu verschärfen. Die niederländische Bevölkerung reagiere ebenso wie Bürger anderer Länder auf dieses Phänomen: skeptisch und besorgt. Die niederländische Haltung sei so zu kennzeichnen: Sekten stünden nicht über dem Gesetz; sie bekämen den Raum, der ihnen als Ausdrucksform geistiger Freiheit zukomme; zugleich habe man sich dafür entschieden, diese Gruppierungen nicht durch eine besondere Gesetzgebung zu stigmatisieren. Trotzdem sei gerade in einem Klima der Toleranz Wachsamkeit geboten.

Der spanische Bericht hat, nach Aussage von Prof. Dr. del Pozo Alvarez, wenig Widerhall in der Politik gefunden. Die politische Reaktion sei von ihm eher als allgemein und ausweichend empfunden worden. Auf parlamentarischer Ebene habe es nur wenige Initiativen im Hinblick auf die Umsetzung der Empfehlungen gegeben. So seien in den Provinzen einzelne Polizeibeamte für den Umgang mit der Problematik besonders ausgebildet worden. Insbesondere seien auch Fortbildungsveranstaltungen für Richter organisiert worden, damit diese besser auf die Rechte von Kindern, bei denen auch sogenannte Sekten in irgendeiner Weise beteiligt seien, eingehen können. Die Anregungen, Bildungsinstitutionen und die Forschung stärker einzubeziehen, spielten bis heute nur eine untergeordnete Rolle.

Der belgische Bericht habe - nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Brüssel - zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit und auch der staatlichen Stellen gegenüber dem Phänomen beigetragen. Die von der Untersuchungskommission geforderte Beobachtungsstelle sei in der Zwischenzeit eingerichtet worden. Die Kommission wollte keinesfalls bewußt oder auch unbewußt einen Zusammenhang herstellen zwischen gefährlichen Vereinigungen und "nur" normalem unkonventionellem Verhalten. "Es sei nie der Wille der Kommission gewesen, Verhalten zu normieren oder den Moralapostel spielen zu wollen". Welche längerfristigen Auswirkungen der Bericht haben wird, bleibt abzuwarten.

Hinsichtlich der Umsetzung der Empfehlungen des französischen Berichts liegen derzeit - bis auf die am 12. September 1996 eingerichtete und aus zwölf Mitgliedern bestehende interministerielle Beobachtungsstelle (Observatoire interministeriel) beim Premierminister (Mitglieder sind Senatoren, Psychiater, Kommunalvertreter, Erziehungsbeauftragte, Vertreter des Familienverbandes usw.) - keine Erkenntnisse vor.

5.4.1.13 Folgerungen für die Diskussion in Deutschland

Notwendige Analysen

Der sachverständige Strafrechtswissenschaftler nannte als ersten Ansatzpunkt eine Analyse darüber, ob es in ausländischen Regelungen gelungen sei, Tatbestände im Bereich des Außenwirtschaftsrechts, des Devisenkontrollrechts, des Steuer(straf)rechts so zu fassen, daß z. B. Geldwäschegesetze besser griffen als sie es in Deutschland tun. Damit könnten grundsätzlich auch neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen mit entsprechendem Gebaren erfaßt werden.

Prüfung des innerstaatlichen Strafrechts mit internationalem Bezug

Das Internationale Strafrecht (Völkerrecht, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen) halte bisher nichts Verwendbares für "Sektenfragen" bereit; somit verbleibe das innerstaatlich definierte Strafrecht mit internationalem Bezug, geregelt in §§ 4 - 7 Strafgesetzbuch. Interessant könnten hier sein: "Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter" (§ 5), "Auslandstaten gegen international geschützte Rechtsgüter" (§ 6). Diskussionswürdig sei z. B., ob der Subventionsbetrug (§ 6 Nr. 8) nicht auch auf andere Formen finanzieller Ausbeutung angewandt werden könnte, oder Straftaten wie die sexuelle Schädigung von Kindern damit erfaßt werden könnten. Hier mangle es aber an einer systematischen Aufarbeitung.

5.4.1.14 Internationale Zusammenarbeit

Bislang erfolgte internationale Zusammenarbeit

Alle Experten sowie auch die parlamentarischen Berichte brachten zum Ausdruck, daß das Phänomen neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen ein globales Problem sei, das daher auch global angegangen werden müsse. Das Europäische Parlament "ersucht den Rat alle Maßnahmen zu prüfen, vorzuschlagen und einzuleiten, die auf eine wirksame Anwendung des im Rahmen von Titel VI des EU-Vertrages (Maastricht-Vertrag) vorgesehenen Instrumentariums und der bestehenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft folgen, um die illegale Tätigkeit der Sekten in der Union einzudämmen und zu bekämpfen; (es) fordert den Rat auf, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten mit dem Ziel, vermißte Personen ausfindig zu machen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern, zu fördern".

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Santer, wies allerdings in einem Schreiben an die Enquete-Kommission darauf hin, daß die Tätigkeit der Enquete-Kommission der Bundesrepublik Deutschland nicht unter die Gemeinschaftskompetenzen, sondern, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip unter die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten falle. Der Berichtsentwurf über "Sekten in der Europäischen Union" stellt fest, "daß weder der Rat noch die Europäische Kommission die Empfehlungen aufgegriffen haben" , noch seien konkrete Schritte unternommen worden. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat in ihrer Empfehlung 1178 ebenfalls zur internationalen Zusammenarbeit aufgerufen.

Eine internationale politische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet findet zur Zeit nicht statt. Zwar finden in unregelmäßigen Abständen Anhörungen auf nationaler und internationaler parlamentarischer Ebene statt, eine sich daraus ergebende gemeinsame Linie ist jedoch nicht zu erkennen. Die einzelnen Länder setzen sich weitgehend isoliert mit dem Phänomen auseinander. Am 11./12. Dezember 1997 fanden in Paris deutsch-französische Gespräche zur gegenseitigen Information zum Themenbereich "Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen" statt. Ergebnis des Treffens war, den bilateralen Austausch fortzusetzen und die Kontakte auf der Arbeitsebene zu intensivieren.

Empfehlungen zur internationalen Zusammenarbeit

Der Ruf nach internationaler Zusammenarbeit wird in zahllosen Gremien erhoben, die faktische Umsetzung aber ist bisher kaum erfolgt.

Nach Prof. Dr. Passas stellt sich der Rahmen, innerhalb dessen gehandelt wird und bisher gehandelt werden kann, so dar, daß de facto eine Globalisierung organisationellen und ökonomischen Handelns vorliege, während de jure lediglich nationale Behörden existierten, die anfallende Probleme national regeln müßten. Prinzipiell gelte diese Situation für alle dergestalt Handelnden. Diese asymmetrischen Verhältnisse erzeugten jedoch Möglichkeiten der Verbrechensbegehung.

Beim hier vorliegenden Problemfeld neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen fehle es z. B. schon daran, daß keine international anerkannte Norm existiere, welche Formen als religiöse Praktiken anzuerkennen seien und dementsprechend Privilegien in Anspruch nehmen könnten.

Er forderte die Schaffung von Gremien mit Normierungsbefugnissen oder zumindest der Möglichkeit, Interessen der Normierung formulieren und aufstellen zu können. Dazu bedürfe es jedoch der Bereitschaft, nationale Hoheitsbefugnisse an internationale Organisationen abzugeben und mehr Akzeptanz gegenüber den damit entstehenden Kosten sowie Aufklärung über bestehende Risiken.

Voraussetzung um dies der Öffentlichkeit deutlich zu machen, seien objektive Studien über Schäden, die durch bestimmte Verhaltensweisen verursacht würden.

Bisher erfolge die internationale Rechtsverfolgung oft ad hoc und auf der Basis persönlicher Freundschaften über Grenzen hinweg.

Die Enquete-Kommission stellt fest, daß ein internationaler Informationsaustausch und eine länderübergreifende Zusammenarbeit im Bereich der Probleme mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen bislang nur in ersten Ansätzen existiert. Entsprechende Kontakte zwischen staatlichen Stellen verschiedener Länder sind eher Ausnahmeerscheinungen. Gerade in Anbetracht der Versuche bestimmter Gruppen (z. B. Mun-Bewegung, Scientology), weltweit präsent zu sein, oder des Auftretens problematischer Gruppierungen in mehreren Ländern (z. B. Sonnentempler, Aum-Shinri-Kyo) erscheint ein verstärkter Informationsaustausch nicht nur nützlich, sondern in hohem Maße geboten. Die Enquete-Kommission ist der Überzeugung, daß sowohl im Bereich der Aufklärung, als auch in Fällen von Rechtsverletzungen die Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen erheblich verbessert werden kann, wenn grenzüberschreitend Informationen ausgetauscht und gemeinsame Vorgehensweisen abgestimmt werden können.

Darüber hinaus ist es der Enquete-Kommission ein wichtiges Anliegen, daß die Diskussion auf internationaler Ebene versachlicht und nicht mehr vor allem von der Frage bestimmt wird, ob bestimmte Gruppen Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen können oder nicht. Es muß unter Wahrung der Freiheit der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung darauf hingewirkt werden, daß - ähnlich wie beim Verbraucherschutz - über die bedenklichen Risiken und Gefahren bestimmter Praktiken und Ideologien diskutiert wird und die Belange schutzwürdiger Opfer von staatlichen Stellen aufgegriffen werden.

Aus der Sicht der Enquete-Kommission ist es ferner wünschenswert, wenn auch die politischen Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Kirchen und andere Verbände bei internationalen Kontakten insbesondere zu ausländischen Partnerorganisationen Frage- und Problemstellungen aus dem Bereich der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen in ihre Beratungen einbeziehen.

5.4.2 Internationale Verflechtungen

Im Rahmen der Arbeit der Enquete-Kommission kommt der Betrachtung internationaler Verflechtungen von verschiedenen konfliktträchtigen Gruppen Bedeutung zu. Im Gesamtzusammenhang ist aber auch zu beleuchten, inwieweit aus dem Ausland stammende neue religiöse oder ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen in Deutschland aktiv wurden. Nicht alle haben die gleichen international festgefügten und miteinander verwobenen Handlungsstrukturen.

Einige der konfliktträchtigen Gruppen asiatischen (Ananda Marga, ISKCON, TM, Vereinigungskirche u.a.m.) oder amerikanischen (vor allem Scientology) Ursprungs haben eine weltweite Verbreitung, andere sind regional, etwa auf den deutschsprachigen Raum, d. h. Deutschland, Österreich, Schweiz, begrenzt (Fiat Lux, VPM u. a.).

Neben der Vereinigungskirche des Sun Myung Moon ist wohl die konfliktträchtigste, weltweit agierende international tätige Organisation Scientology mit Hauptsitz in den USA. Wie bei keiner anderen Organisation ist vom Gründer der Scientology-Organisation L. Ron Hubbard ein derartig weltweit umfassendes Verbreitungsnetz aufgebaut und installiert worden. Da die Anweisungen weltweit verbindlich sind, gelten auch sämtliche Inhalte für die Bundesrepublik Deutschland.

Seitdem sich deutsche Behörden und der Deutsche Bundestag intensiv mit den gegen Scientology erhobenen Vorwürfen befassen, hat sich die Scientology-Organisation bemüht, die kritische Haltung in Deutschland durch die Erzeugung internationalen Drucks zu bekämpfen. Wie keine andere Gruppierung nutzt die Scientology-Organisation hierfür materielle Ressourcen. Um die kritische Aufklärung über Scientology in Deutschland zu be- und wenn möglich irgendwann verhindern, benutzt die Scientology-Organisation als Mittel die in der Weltöffentlichkeit verbreitete Behauptung, daß in Deutschland Scientology und Religionen im allgemeinen in zunehmenden Maße staatlich unterdrückt und verfolgt würden. Der deutsche Staat sei - so die Propaganda - als verlängerter Arm der etablierten Kirchen zu sehen, der jede religiöse Abweichung überprüfe und Menschen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer "Minderheiten-Religion" diskriminiere. Nachprüfbare Tatsachen blieb die Organisation schuldig, statt dessen dienten unzutreffende Behauptungen in einer selbsterstellten Aufzählung als "Beweismittel". Da diese Vorgehensweise ohne Beispiel ist, wird hier die internationale Desinformationskampagne dokumentiert.

Internationale Gremien

Ausgehend von der oben beschriebenen Herangehensweise wurde Scientology mit entsprechenden Eingaben bei internationalen Gremien wie der OSZE-Konferenz, der UN-Menschenrechtskommission und dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Fragen der religiösen Intoleranz vorstellig. Immer wieder wurde betont, daß einzelne Mitglieder von Scientology angeblich wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu dieser Organisation "verfolgt" oder "diskriminiert" würden. Sowohl die OSZE-Konferenz als auch die UN-Menschenrechtskommission haben in der Vorprüfung diese Behauptungen zurückgewiesen. Von den genannten internationalen Gremien hat lediglich der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Fragen religiöser Intoleranz in früheren Berichten die scientologischen Vorwürfe ungeprüft aufgeführt. Nach seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland 1997 und zahlreichen Gesprächen u. a. mit dem Deutschen Bundestag, der Bundesregierung und Landesregierungen hat sich allerdings die Berichterstattung geändert. Nunmehr wird festgestellt, daß die deutschen Maßnahmen lediglich dazu dienen, Bürger und die liberale demokratische Ordnung zu schützen. Die Behauptungen der Scientology-Organisation werden ausdrücklich als "kindisch" verworfen.

US-Politik

Neben diesen Versuchen, die Haltung inter- und supranationaler Organisationen in ihrem Sinne zu beeinflussen, führte die Scientology-Organisation eine Kampagne in den USA mit dem Ziel, die Öffentlichkeit und maßgebliche Kreise in Kongreß und Administration gegen die kritische Auseinandersetzung mit der Scientology-Organisation in Deutschland zu mobilisieren. Als Argument diente auch hier die Behauptung, daß deutsche und auch amerikanische Staatsbürger wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu einer Minderheitenreligion und insbesondere zu Scientology diskriminiert und in ihren Bürgerrechten nachhaltig verletzt würden. Diese Argumentation macht sich dabei den Umstand zu Nutze, daß die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten in bezug auf die Religionsfreiheit einerseits und die Rechte privater und staatlicher Stellen andererseits in Deutschland und in den USA auf sehr unterschiedlichen kulturellen und staatsrechtlichen Ansätzen beruhen, ohne daß dies der breiten Öffentlichkeit beider Länder bekannt oder bewußt ist. Dazu zählt auch das unterschiedliche Verständnis von der Rolle des Staates hinsichtlich seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Bürgern. All dies führte zu gewissen Erfolgen dieser Kampagne, die gleichzeitig durch professionelle Lobbyarbeit im Kongreß unterstützt wurde und wird.

Höhepunkt der Kampagne waren Anzeigen der Scientology-Organisation in der New York Times und der Washington Post im Herbst 1994 und 1996, in denen der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen wurde, Mitglieder der Organisation ebenso zu behandeln wie das nationalsozialistische Deutschland die Juden bis hin zum Holocaust. Diese Anzeigen brachten zwar in der amerikanischen Öffentlichkeit nicht den erwünschten Erfolg und riefen bei den jüdischen Organisationen äußerst scharfen Protest hervor. Sie erregten gleichwohl weltweit Aufsehen und Medieninteresse. Das gilt auch für den offenen Brief von 34 Hollywood-Prominenten an Bundeskanzler Helmut Kohl vom 09.01.1997, in dem ebenfalls eine Parallele zwischen der Verfolgung der Juden im Dritten Reich und der angeblichen "Verfolgung" von Scientologen in Deutschland gezogen wird. Von diesem Brief haben sich einige Unterzeichner mittlerweile wieder distanziert.

Als Folge der intensiven und professionellen Lobbyarbeit bei Kongreßabgeordneten und im Außenministerium erreichte Scientology jedoch, daß die Bundesrepublik Deutschland von den USA mehrfach wegen "religiöser Diskriminierung" von Scientologen in teilweise scharfer Form kritisiert wurde. So haben verschiedene Kongreßabgeordnete 1997 eine Resolution im Repräsentantenhaus eingebracht, in der schwerwiegende Vorwürfe gegen Deutschland wegen religiöser und künstlerischer Diskriminierung erhoben wurden. In diesem mit großer Eile betriebenen Verfahren erhielt der deutsche Botschafter in den USA keine Gelegenheit, vor den Abgeordneten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. In der Abstimmung lehnte aber das Plenum des Repräsentantenhauses die Resolution am 09.11.1997 mit einer deutlichen Mehrheit von 318 zu 101 Stimmen ab.

Eine Anhörung der "Commission on Security and Cooperation in Europe" am 18. September 1997 unter Vorsitz von Senator D'Amato war ebenfalls Ergebnis der massiven Bemühungen der Scientology-Lobby. Zwar waren Fragen der generellen Religionsfreiheit in Europa das angegebene Thema, doch befaßte sich die Kommission fast ausschließlich mit der Situation von Scientology in Deutschland. Prominenten Scientologen wie John Travolta, Chick Corea und Isaac Hayes wurde auf der Anhörung ein Forum geschaffen, ihre Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland massiv vorzutragen. Auch ein Vertreter der Christlichen Gemeinde Köln erschien bei der Anhörung und beklagte die angebliche Diskriminierung seiner Vereinigung durch deutsche Behörden. Das Finanzamt Köln hatte dem Verein die Anerkennung als gemeinnützig entzogen. Die Christliche Gemeinde Köln hat den Rechtsweg beschritten.

Beim 3. OSZE-Implementierungstreffen in Warschau am 13.11.1997 kritisierte das Mitglied der US-Delegation David Little die deutsche Haltung zu Scientology.

Auch wenn das amerikanische Außenministerium sich zwar immer von dem Vergleich zwischen der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Juden und den deutschen Maßnahmen gegen Scientology öffentlich distanziert hatte, beklagt der Menschenrechtsbericht des Außenministeriums 1996 vermeintlich ausgrenzende Maßnahmen gegenüber Scientology allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Organisation. In diesem Zusammenhang hat Scientology eine Demonstration in Berlin initiiert, bei der eine als Freiheitsstatue verkleidete Frau immer wieder in den Blickpunkt gerückt wurde, so als ob Deutschland nicht die Freiheiten gewähren würde, die in den USA selbstverständlich seien.

Durch diese Kampagne haben sich weder deutsche Behörden noch die Enquete-Kommission in irgendeiner Weise nötigen lassen. Gegen alle im Laufe dieser "konzertierten" Aktion erhobenen Vorwürfe seitens des amerikanischen Kongresses und des US-Außenministeriums hat sich die Bundesregierung mit allem Nachdruck verwahrt. Das Thema war auch Gegenstand unmittelbarer Gespräche zwischen Außenministerin und Außenminister beider Länder.

5.4.3 Delegationsreise in die USA

Die Enquete-Kommission hat stets die außenpolitische Komponente sowohl ihrer eigenen Arbeit wie auch der deutschen Haltung zu Scientology im Blick gehabt. Vor dem Hintergrund der im Herbst 1997 gebündelt aufgetretenen Ereignisse beschloß die Kommission, im Februar 1998 nach Washington zu reisen, um dort die deutsche Haltung zu Scientology zu erläutern, Fehlwahrnehmungen zu korrigieren und den amerikanischen Parlamentariern ebenso wie im Außenministerium ein realistisches Bild der eigenen Arbeit zu vermitteln. Dies erschien besonders wichtig, um damit Vorurteile über eine vermeintliche Einschränkung der Religionsfreiheit auszuräumen. Auch wollte die Kommission auf ihrer Reise Informationen über die Scientology-Organisation erhalten sowie Erfahrungen sammeln, wie Politik und Gesellschaft in den USA mit dem Phänomen der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen, speziell mit Scientology, möglichen Konflikten sowie den Opfern umgeht.

Eine Delegation der Enquete-Kommission reiste vom 23.02. - 27.02.1998 nach Washington. Sie führte Gespräche mit Kongreßabgeordneten, Vertretern des Außenministeriums, Vertretern der Helsinki-Kommission, Vertretern jüdischer Organisationen, Vertretern religiöser Minderheiten, Anwälten, Aussteigern und Angehörigen sowie Eltern- und Informationsinitiativen.

In den Gesprächen mit Politikern und Vertretern des Außenministeriums wurden die politischen Strategien Scientologys deutlich. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, über Lobbyarbeit im amerikanischen politischen Raum Einfluß auf die deutsche Haltung zu Scientology zu nehmen. Sie hat versucht, das Thema der vermeintlichen religiösen Diskriminierung von Scientologen in Deutschland zu einem Thema der bilateralen Beziehungen zu machen und so über die Außenpolitik ihre Lage in Deutschland zu verändern. Nach ihrer Maxime, immer den "ruin point" des Gegners ausfindig zu machen und gegen ihn zu verwenden, versucht Scientology auf die Verbrechen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus abzustellen, um Deutschland im Ausland zu diskreditieren. Die Existenz der Enquete-Kommission wurde von Scientology dahingehend umgedeutet, daß in Deutschland religiöse Minderheiten insgesamt überprüft und verfolgt würden. Die Religionsfreiheit in Deutschland - so die Behauptung - werde nun allgemein nicht mehr gewahrt.

Gezielt hat sich Scientology für seine Lobbyarbeit vor allem Vertreter von Minderheiten im Kongreß gesucht, um ihre grundsätzlichen Bemühungen zum Schutz von Minderheiten für sich auszunutzen. So blieb die Argumentation dort nicht ungehört.

Auch die historisch bedingte Sorge der Amerikaner um die Religionsfreiheit überhaupt konnte sich Scientology zunutze machen. Denn in fast allen Gesprächen mit Vertretern des amerikanischen Staates wurde die Delegation mit der Sorge konfrontiert, daß in Deutschland möglicherweise Einzelne wegen ihrer Religionszugehörigkeit staatlicherseits verfolgt und ausgegrenzt würden. Diese Sorge wurde auch von Gesprächspartnern geäußert, die nach eigener Bekundung keine Sympathie für Scientology hegten. Daß Scientology gerade in den USA mit dem Streuen eines solchen Verdachts Besorgnis hervorrufen kann, ist angesichts der Entstehungsgeschichte der USA nicht verwunderlich. So wurde gegenüber der Delegation daher immer wieder betont, daß der amerikanische Staat von religiösen Dissidenten gegründet worden sei, die als religiös Verfolgte Zuflucht gefunden hätten. Von daher sei die Religionsfreiheit ein überaus hohes Gut, das es auf der ganzen Welt zu schützen gelte. Auch eine zweite geschichtliche Phase in den USA kam den Scientologen bei ihrer Lobbyarbeit sicher zugute: Die McCarthy-Aera der 50er Jahre, in der Einzelpersonen wegen ihrer Zugehörigkeit zu kommunistischen Gruppen verfolgt wurden, ist der Delegation von seiten der amerikanischen staatlichen Vertreter als weiterer Grund für die Achtsamkeit gegenüber der Sanktionierung Einzelner benannt worden.

In den Gesprächen mit Kongreßabgeordneten und dem Außenministerium wurde evident, daß ein weiterer Teil der Hubbardschen Lehre über die Bekämpfung des Gegners strikt befolgt wird, nämlich auch Unwahrheiten über den Feind zu konstruieren, wenn es nützlich ist. So wurde die Delegation zu vermeintlichen Einzelvorfällen befragt, die nachweislich unwahr sind oder mit Vermutungen konfrontiert, die auf falschen Darstellungen der Scientologen beruhen. So konnte die Delegation z. B. klar stellen, daß niemals Kinder von Scientologen von öffentlichen Schulen ausgeschlossen worden seien, daß Chick Corea in Deutschland auftreten könne und dies wie jeder andere Künstler auch tue und daß die Behauptung John Travoltas, zu seinem Film 'Phenomenon' sei ein Boykott-Aufruf erfolgt, eine gezielte Desinformation gewesen sei. Vielmehr sei das Hamburger Filmfest 1996 mit dem Film 'Phenomenon' eröffnet worden.

Die Delegation machte deutlich, daß die Religionsfreiheit in Deutschland nicht zur Disposition stehe. Sie berichtete über ihre Arbeit und stellte klar, daß nicht der Glauben des Einzelnen Thema der Kommission sei, sondern daß der Deutsche Bundestag aufgrund von zahlreichen Petitionen betroffener Bürger sich zum Ziel gesetzt habe, die im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen aufgetretenen Konflikte zu klären. Diese Klärung sei Ziel ihrer Arbeit, nicht die Erstellung einer "Schwarzen Liste".

Die Delegation wies immer wieder darauf hin, daß Scientology in Deutschland als totalitär ausgerichteter Konzern eingestuft werde. Deutschland hege aus seinen geschichtlichen Erfahrungen Wachsamkeit gegenüber der Verletzung von Freiheitsrechten. Es sei besonders sensibel gegenüber allen Formen von Totalitarismus. Darüber hinaus werde die Scientology-Organisation in der Bundesrepublik Deutschland als politisch extremistische Bestrebung eingeschätzt. Dafür lägen tatsächliche Anhaltspunkte vor.

Da infolge der gezielten Informations- und Desinformationspolitik Scientologys Wissenslücken über das Vorgehen Scientologys in Deutschland selbst bestanden, hat die Delegation darüber aufgeklärt, daß Scientology nie den Weg zum Bundesverfassungsgericht gewählt habe, um seine angebliche Religionseigenschaft abschließend klären zu lassen, daß Scientology nie gegen die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden geklagt und die Klage gegen die bayerischen Maßnahmen bei der Einstellung im öffentlichen Dienst zurückgezogen habe.

Desinformationspolitik betrieb Scientology auch während des Besuchs der Delegation in Washington und ließ beispielsweise verlauten, daß das Mitglied der Enquete-Kommission, Frau Abgeordnete Renate Rennebach, die Lehre Hubbards in Deutschland verbieten lassen wolle, was die Delegation in ihren Gesprächen richtig stellte. Strategisch reagierte Scientology auf den Besuch mit einer einberufenen Konferenz zur Kritik an der Enquete-Kommission, an der auch Vertreter religiöser Minderheiten teilnahmen. Die von Hubbard vorgeschriebene Einschüchterungstaktik des Gegners versuchte Scientology auch gegenüber der Delegation anzuwenden. Eine Gruppe von scientologischen Demonstranten wartete vor und nach jedem Termin auf die Delegation mit Sprechchören, Transparenten und Kameras.

Die Kongreßabgeordneten, die ihre Sorge um die Bewahrung der Religionsfreiheit in Deutschland aufgrund von scientologischen Eingaben zum Ausdruck brachten, räumten ein, daß ihnen die Praktiken und die Struktur der Organisation gänzlich unbekannt seien. Auch die Existenz der Rehabilitation Project Forces, die von Scientology-Aussteigern als Straflager bezeichnet werden, war nicht bekannt. Es ist nicht abzusehen, ab wann sich amerikanische staatliche Stellen wie bereits früher für die Organisation interessieren werden. Gleichwohl betonten sowohl Kongreßabgeordnete wie auch Vertreter des Außenministeriums, daß die Organisation in den USA nicht gut angesehen sei, und sie sich auch selbst davon distanzierten. Aber die Gespräche mit der Delegation der Enquete-Kommission müssen als erster Schritt gewertet werden, auch die Kenntnisse über Scientology auf amerikanischer Seite zu vertiefen.

Die Gesprächspartner berichteten, daß in der Öffentlichkeit der USA die Scientology-Organisation in der letzten Zeit zunehmend kritisch wahrgenommen werde. Besonders die Berichterstattung in den Medien zu Scientology habe an kritischer Schärfe zugenommen. Die dadurch eher feindlich gewordene Stimmung basiere auf der Aufdeckung der Vorgänge um die Steuerbefreiungen durch den Internal Revenue-Service (Steuerbehörde), die Untersuchungen zum Tod von Lisa McPherson sowie den Prozeß um CAN, innerhalb dessen Verfahren Scientology CAN bis zur Vernichtung der Existenz beklagt und schließlich übernommen habe.

In den Gesprächen mit Anwälten, Aussteigern, Angehörigen und Informationsinitiativen wurden der Delegation die bereits aus Deutschland bekannten Vorwürfe gegen die Scientology-Organisation sehr nachhaltig bestätigt. Vor allem wurde deutlich, daß die Scientology-Organisation insbesondere in den USA mit zwei unterschiedlichen Gesichtern auftritt. Die helle, mit Hollywood-Prominenten sozial angepaßt und scheinbar vorbildhaft zur Schau gestellte Fassade von Glanz und Reichtum auf der einen und die dunkle totalitäre Binnenstruktur auf der anderen Seite einschließlich der Ausbeutung ihrer Mitglieder und der massiven Bedrohung, Verfolgung und Einschüchterung Andersdenkender.

Die Hollywood-Prominenz spielt eine besondere Rolle bei Scientology. Bestimmte Künstler dienen als Werbeträger und werden strategisch im politischen Raum eingesetzt. So konnte John Travolta nicht nur im Kongreß, sondern auch im Weißen Haus Deutschland der vermeintlichen religiösen Diskriminierung von Scientologen bezichtigen. Die Gesprächspartner bestätigten die Einschätzung, daß die Scientology-Organisation langfristige politische Pläne hege. Ihr erklärtes Ziel sei "Clear Planet", was eine scientologisch beherrschte Welt bedeute. In ihr dürften ausschließlich Scientologen regieren und hätten nur Scientologen Bürgerrechte. Um dies zu erreichen, würden Kritiker aggressiv und skrupellos bekämpft, denn die scientologische "Ethik" dulde keine Andersdenkenden. Gegen die Praktiken der Bekämpfung von Kritikern und Ex-Mitgliedern richtete sich heftige Kritik. Scientology versuche, in Ausnutzung des amerikanischen Rechtssystems Kritiker gezielt gesteuerten Prozeßlawinen auszusetzen, um sie durch drohenden finanziellen Ruin zum Schweigen zu bringen, da in den USA jeder Prozeßbeteiligte seine Kosten tragen muß, auch wenn er das Verfahren gewinnt. Aus Sorge vor den möglichen Folgen gebe es daher in den USA nur wenige Anwälte, die gegen die Organisation arbeiteten. Staatliche Hilfe für Opfer gebe es nicht.

Dennoch laufen zur Zeit gegen Scientology einige wesentliche Verfahren. Dazu gehören der in der Öffentlichkeit stark beachtete Fall um den Tod der Scientologin Lisa McPherson, Verfahren wegen Copyright-Verletzungen seitens der Organisation, das von CAN angestrengte Wiederaufnahmeverfahren wegen Rechtsmißbrauch sowie ein Schadensersatzprozeß, in dessen Verlauf die Struktur der miteinander verbundenen scientologischen Organisationseinheiten aufgedeckt werden könnte. Damit müßten nach Einschätzung von Experten die ehemals erlangten Steuerbefreiungen wieder verhandelt und gegebenenfalls aberkannt werden.

Nach Aussagen von Betroffenen arbeitet Scientology auch mit der Verleumdung der Gegner. Indem Gerüchte in der unmittelbaren Umgebung oder bei Klienten ausgestreut würden, werde Einschüchterung versucht. Zur Abwehr von Kritik und Erarbeitung von "Gegenmaßnahmen" unterhalte Scientology seinen eigenen Geheimdienst, das "Office of Special Affairs" (OSA). Ein Aussteiger, der selbst als "intelligence officer" für das OSA tätig war, berichtete, daß zur Ausspähung der Gegner z. B. Telefon- und Kreditkarten abgerufen und Flugtickets überprüft und Privatdetektive zur Sammlung von Informationen eingesetzt würden. Alle Informationen mündeten in eine Akte über die betreffende Person.

Die Reise insgesamt wird von der Enquete- Kommission als erfolgreich beurteilt. Die Delegation hat deutlich gemacht, daß sie keine Scientology-Kommission und kein Untersuchungsausschuß zur Überprüfung des religiösen Bekenntnisses der deutschen Bürgerinnen und Bürger ist. Sie hat festgestellt, daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA völlige Übereinkunft gibt, daß niemand wegen seiner religiösen Zugehörigkeit diskriminiert werden darf und klargestellt, daß dies in Deutschland nicht passiert.

Es ist auch deutlich geworden, daß die Frage der Religionsfreiheit nur eine Facette in den bilateralen Beziehungen ist und daß die amerikanischen Gesprächspartner sowohl die Demokratie in Deutschland als auch den deutschen Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte in der ganzen Welt hoch einschätzen.

Der Umgang mit dem Phänomen der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen ist in beiden Ländern verschieden. Er basiert auf der unterschiedlichen Geschichte und der unterschiedlichen Bewertung der Rolle des Staates. Präventives Handeln des Staates zum Schutz des Einzelnen vor unseriösen Praktiken einer Religionsgemeinschaft wurde von den amerikanischen staatlichen Vertretern abgelehnt. Die Betroffenen allerdings hielten Aufklärung für die richtige staatliche Maßnahme und ließen die Delegation wissen, daß sie sich durch die Arbeit der Enquete-Kommission und das deutsche Vorgehen gegen Scientology ermutigt und gestärkt fühlten. Darüber hinaus wurde von diesen Gesprächspartnern in den USA eindeutig bestätigt, daß es sich bei Scientology um eine Organisation handelt, die politische Ziele verfolgt.